Das Finanzministerium hat die Verrechnungsregeln für Termingeschäfte endlich konkretisiert. Bei Aktienverlusten kassierte es einen richterlichen Tiefschlag. Von Stefan Rullkötter
Privat beschäftige ich mich kaum mit dem Thema Geld, es liegt einfach auf meinem Sparbuch und Girokonto." Das wiederholte Outing von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz als Anlagemuffel könnte ein Indiz sein, warum er als Bundesfinanzminister Gefallen daran findet, Börsenanlegern das Leben schwer zu machen. Versteckt in einem Gesetz zu Meldepflichten bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen hatte er Ende 2019 fast unbemerkt neue Regeln zur Verlustverrechnung durchgedrückt, die ein Jahr später nur marginal korrigiert wurden.
Die Folgen für Privatanleger sind gravierend: Mit Aktien, Anleihen und Zertifikaten erlittene Totalverluste sind schon seit 2020 nicht mehr unbegrenzt, sondern nur noch bis zu einer Höhe von 20 000 Euro jährlich mit realisierten Kursgewinnen verrechenbar. Nicht berücksichtigte Miese können zwar als Verlustvortrag in Folgejahre verschoben werden. Aber auch dafür gilt wiederum die 20 000-Euro-Verrechnungsgrenze.
Zudem können Anleger realisierte Verluste aus Termingeschäften ab dem Jahr 2021 generell nur noch bis zur Höhe von 20 000 Euro pro Jahr verrechnen. Ein Ausgleich mit anderen Kapitalerträgen ist seit diesem Jahr nicht mehr möglich.
Neues Schreiben zur Abgeltungsteuer
Welche Anlageprodukte als Termingeschäfte gelten, war bislang jedoch völlig unklar. Am 3. Juni veröffentlichte das Bundesfinanzministerium (BMF) nun endlich das lange erwartete Anwendungsschreiben "Einzelfragen zur Abgeltungsteuer" ergänzend zum Schreiben vom 18. Januar 2016 (Gz. IV C 1 - S 2252/19/10003 :002). Zertifikate, Optionsscheine und Knock-out-Produkte werden darin steuerlich nicht den Termingeschäften zugeordnet, sondern als "sonstige Kapitalforderungen" eingestuft. Sie fallen damit grundsätzlich nicht unter die auf 20 000 Euro pro Jahr begrenzte Verlustverrechnung.
Im Vorfeld der Veröffentlichung des BMF-Schreibens gab es Gerüchte, dass das Ministerium sogenannte CFDs (Contracts For Difference) als Termingeschäfte einstufen würde. Dies hat sich nun bewahrheitet. Bei diesen Anlageprodukten bleibt es wie bei Swaps, Forwards und Futures somit bei der auf 20 000 Euro limitierten Verlustverrechnungsgrenze pro Jahr.
Auffällig daran ist: Diese Konkretisierung entspricht exakt einer gutachterlichen Empfehlung von Professor Klaus-Dieter Drüen von der Ludwig-Maximilians-Universität München aus dem Februar 2021, das der Deutsche Derivate Verband (DDV) gemeinsam mit der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und der Börse Stuttgart vorgelegt hatte. "Das ist eine gute Nachricht für viele Anleger - sie können die diversen Absicherungsmöglichkeiten dieser Wertpapiere nun weiterhin auf vielfältige Weise nutzen", sagt Henning Bergmann, geschäftsführender DDV-Vorstand.
Rechtliche Schwachpunkte aufgedeckt
"Für Knock-out-Zertifikate kann es trotzdem zu einer Verlustverrechnungsbeschränkung kommen, wenn die Zertifikate ausgestoppt werden. In diesem Fall können Verluste nur bis zur Höhe von 20 000 Euro pro Jahr mit anderen Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden", warnt dagegen Daniel Sahm, Partner der Steuerkanzlei Gärtner & Sahm in Rottenburg bei Landshut.
Der Spezialist für Besteuerungsfragen bei Kapitalanlagen hat noch einen weiteren Schwachpunkt im neuen BMF-Schreiben ausgemacht. Konkret geht es um die Darstellung der Reihenfolge verschiedener Verlustverrechnungskreise. "Hier sind zwischenzeitlich acht aufeinanderfolgende Schritte erforderlich. Die Verlustverrechnung findet zudem nur im Rahmen der Steuerveranlagung statt", moniert Sahm. Die wenigsten Anleger dürften auch nach der Konkretisierung der Regeln noch durchblicken - und künftig auf Hilfe von Steuerberatern angewiesen sein.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Außerdem gibt es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die aktuellen Regeln zur Verlustverrechnung. "Die asymmetrische Besteuerung ist eine Benachteiligung - Gewinne und Verluste sollten unbegrenzt gegengerechnet werden können", fordert Bergmann. Hier bleibe andernfalls eine Unwucht in der Steuergesetzgebung bestehen. "Warum Ausbuchungsverluste und Veräußerungsverluste steuerlich unterschiedlich behandelt werden, ist nicht ersichtlich", ergänzt Sahm. "Hier wird sich in der Steuerpraxis erst noch zeigen, ob der Gesetzgeber nicht ein weiteres Mal nachbessern muss." Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die Gerichte mit den neuen Verlustverrechnungskreisen befassen.
Praxis bei Aktienverlusten beanstandet
Einen Vorgeschmack darauf, wie das für den Gesetzgeber ausgehen könnte, liefert der Bundesfinanzhof (BFH) mit einem aktuellen Beschluss, der - rein zufällig - am selben Tag wie das neue BMF-Schreiben veröffentlicht wurde (Az. VIII R 11/18).
Darin hält das oberste deutsche Steuergericht die Verlustverrechnungsbeschränkung bei Aktienveräußerungsverlusten für verfassungswidrig. Nach Auffassung des BFH gibt es keinen Grund, Steuerzahler bei der Verrechnung von Verlusten aus Geldgeschäften unterschiedlich zu behandeln. Verluste aus Aktiengeschäften müssten also betrachtet werden wie solche aus anderen Kapitalanlagen.
Zur weiteren Klärung legen die obersten Finanzrichter dem Bundesverfassungsgericht einen Musterfall zur Entscheidung vor. Geklagt hatte ein Ehepaar aus Schleswig-Holstein, das bei der Veräußerung von Aktien ausschließlich Verluste erzielt hatte und diese in der Steuererklärung mit anderen Kapitaleinkünften verrechnen wollte - was das Einkommensteuergesetz seit 2009 nicht mehr zulässt. Sie würden keinen Grund erkennen, warum diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich in Ordnung sei, monierten die klagenden Anleger im Finanzgerichtsverfahren.
Kleine Beträge, große Wirkung
Auch wenn es bei dem Fall nur um überschaubar anmutende 4819 Euro Verlust aus Aktienverkauf und 3400 Euro positive Kapitaleinkünfte geht: Die Folgen des Urteils könnten für Olaf Scholz, die gesamte deutsche Finanzwelt und für viele Anleger gewaltig sein. Denn die Zahl der privaten Börseninvestoren, die Aktien, Fonds und andere Wertpapiere halten, ist hierzulande auf 12,4 Millionen gestiegen - so viele wie seit dem Jahr 2001 nicht mehr.
Realisierte Börsenverluste
Grundregeln für Anleger
Mit der Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 wurden Grundsätze für das Verrechnen von Verlusten bei Kapitaleinkünften etabliert.
Aktiengeschäfte
Verluste aus Aktienverkäufen sind nur mit Gewinnen aus anderen Aktienverkäufen verrechenbar ("erster Verlustverrrechnungstopf"), nicht aber mit Kursgewinnen aus Fonds und Anleihen oder mit Zinserträgen und Dividenden. Miese können nur von der Depotbank verrechnet oder in der Steuererklärung geltend gemacht werden, wenn Aktionäre Anteile tatsächlich verkaufen. Der Bundesfinanzhof hält diese Besteuerungspraxis allerdings in einem neuen Beschluss für verfassungswidrig (Az. VIII R 11/18).
Andere Wertpapiergeschäfte
Verluste aus Kapitalvermögen, die keine Aktienverluste sind, lassen sich mit sämtlichen positiven Kapitalerträgen verrechnen, ebenso mit Zins- und Dividendenerträgen (sogenannter zweiter Verlustverrechnungstopf). Das betrifft beispielsweise Verluste, die durch an Vorbesitzer gezahlte Stückzinsen beim Kauf von festverzinslichen Papieren, aus dem Verkauf von Anteilen an Aktienfonds, von Zertifikaten auf einen Aktienindex, von Anleihen, von CFDs auf Aktien und von Genussscheinen entstehen.
Verlustvorträge
Nicht ausgeglichene Verluste aus Kapitalvermögen sind seit 2009 nur in künftige Veranlagungsjahre vortragbar. Ein Verlustrücktrag in frühere Zeiträume ist nicht möglich.
Ausländische Quellensteuer
Bei Geldanlagen im Ausland kann, je nach Doppelbesteuerungsabkommen, eine ausländische Quellensteuer von zwölf bis 50 Prozent auf die erzielten Kapitaleinkünfte erhoben werden. In diesem "dritten Verlustverrechnungstopf" summieren Depotbanken diese Pauschalabgabe. Der nicht rückforderbare Teil der Quellensteuer wirkt sich mindernd auf die deutsche Abgeltungsteuer (25 Prozent plus 5,5 Prozent Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer) aus.
Verlustverrechnung bei Ehepaaren
Zusammen veranlagte Ehegatten und eingetragene Partner können eine Verlustverrechnung zwischen ihren Einzelkonten und -depots durchführen lassen. Dafür müssen sie einen gemeinsamen Freistellungsauftrag (maximal 1602 Euro) bei der Depotbank einreichen. Andernfalls kann eine Verrechnung nur über die Steuererklärung (Anlage KAP) erfolgen. In dem Fall müssen sie zusätzlich eine Verlustbescheinigung, die jedes Jahr bis zum Stichtag 15. Dezember bei den betreffenden Depotbanken zu beantragen ist, vorlegen. Letzteres gilt auch für ledige Anleger, die Kunde bei diversen Banken sind und ihre realisierten Verluste depotübergreifend verrechnen möchten.