Die Aktien in Wien haben in diesem Jahr stark an Wert verloren. Mittel- und langfristig orientierten Investoren eröffnet das gute Gelegenheiten zum Einstieg in den Aktienmarkt in Österreich. Von Emmeran Eder

Der Schnee fehlt zwar weitgehend noch, aber die Skisaison beginnt in Österreich trotzdem wieder. Nach dem Ende der Pandemie rechnen Hoteliers und Tourismusmanager des Landes mit einem hohen Nachholbedarf bei Urlaubern. Wenn diese in Massen strömen, spürt das auch die Volkswirtschaft der Alpenrepublik. Der Tourismus trägt immerhin 15 Prozent zum Bruttoinlands­produkt bei, rund doppelt so viel wie in Deutschland, wobei das Wintergeschäft erheblich bedeutender ist als das im Sommer.

Vorteile von Österreich

Neben dem wieder aufblühenden Tourismus weist die Wirtschaft Österreichs noch weitere Pluspunkte auf. Die Abhängigkeit vom Gas ist geringer als in Deutschland, weil Austria rund 50 Prozent seines Energiebedarfs mit Wasserkraft stillt. Zudem werden durch die Gasleitung Druschba, die von Russland über die Ukraine und die Slowakei nach Österreich führt, immer noch 20 Prozent der normalen Menge gepumpt. Anders als Nordstream 1 wurde diese nicht stillgelegt, wahrscheinlich, weil Putin sonst noch mehr Geld verlieren würde. Zudem waren die Gasspeicher zu ­Beginn des Ukraine-Kriegs zur Hälfte gefüllt, deutlich mehr als in Deutschland. Die österreichische Regierung hat schnell reagiert und bezieht jetzt den Großteil des Gases für das Land aus ­Norwegen und über Italien, das Flüssiggasterminals besitzt.

Trotzdem haben Industrie und Verbraucher auch mit stark gestiegenen Gas- und Strompreisen zu kämpfen. „Die schönen Zeiten der Vergangenheit mit billigem russischem Gas sind wohl für immer vorbei“, sagt Wolfgang Matej­­ka, Geschäftsführer der Wiener Vermögensverwaltung Matejka & Partner. Vor allem für die Chemie-, Stahl- und Aluminiumindustrie sind die hohen Energiepreise ein großes Problem. 

ETF

Gute Wirtschaftsdaten in den Alpen

Da die Wirtschaft Österreichs breit aufgestellt ist, hat diese den Krieg und die Gaskrise bisher gut überstanden. 2022 wird mit einem Plus beim BIP von 4,7 Prozent gerechnet, 2023 mit einem BIP-Zuwachs von 0,3 Prozent. Das Land schlittert also nicht in eine Rezession. Die Arbeitslosenquote liegt bei sechs Prozent, die Staatsverschuldung beträgt 78,5 Prozent, das Haushaltsdefizit 3,8 Prozent vom BIP. Die volkswirtschaft­lichen Daten sind somit solide. Allerdings haben die Verbraucher mit der hohen Inflation von 10,7 Prozent zu kämpfen, die den Konsum dämpft. Auch die Nachfrage nach Immobilien leidet stark unter den explodierenden Preisen für Baustoffe und den höheren Zinsen für Hypothekendarlehen. Das waren aber nicht die Hauptgründe dafür, dass der Leitindex ATX in diesem Jahr weit stärker nachgegeben hat als der DAX.

Von seinem Top im Januar bis zum Tief Ende September fiel er um 35 Prozent, der DAX dagegen um 27 Prozent. Die Wirtschaft Austrias ist stark mit Osteuropa verflochten. Da der überwiegende Teil der Anleger an der Wiener Börse aus dem Ausland kommt, haben diese den österreichischen Aktienmarkt mit Russland in Verbindung gebracht und nach Kriegsbeginn ihre Depots geleert. „Dieser Ausverkauf war übertrieben“, sagt Matejka. Denn nur einige wenige Unternehmen wie die Raiffeisenbank International und der Energieversorger OMV haben ein bedeutendes Russland-Geschäft und waren betroffen.  Inzwischen beginnen viele Investoren zu realisieren, dass Österreich vorwiegend mit seinen direkten osteuro­päischen Nachbarn wie Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien und Ungarn viel Handel betreibt, aber nicht mit Russland. Daher hat der ATX in den letzten Wochen von seinem Tief wieder kräftig aufgeholt. Von seinem Jahrestop ist er aber noch viel weiter entfernt als der DAX. „Der ATX hat Aufholpotenzial“, so Matejka. Schon in der Corona- und der Finanzkrise sackte der ATX weit stärker ab als der DAX. In der anschließenden Hausse performte er den deutschen Leitindex dann aber aus. Das könnte dieses Mal erneut der Fall sein.

Erste Group

Günstige Bewertungen für Österreich-Aktien

Vor allem auch deshalb, weil die Marktkapitalisierung gering ist. Sie beträgt beim ATX 52 Milliarden Euro, das ist gerade mal so viel wie die der Bayer-Aktie im DAX. Es muss nur wenig Kapital an die Wiener Börse fließen, damit das Barometer sich erholt. Allerdings ist der ATX wegen seiner geringen Liquidität auch schwankungsanfällig.Zudem ist der Index mit einem KGV von 6,2 für 2023 sehr günstig bewertet. Beim DAX liegt es bei 11,5. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis befindet sich bei 0,92 (DAX: 1,56). Damit ist der ATX sogar billiger als zum Tiefpunkt der Corona-­Krise. „Für Langfrist-Investoren ist das ein guter Einstiegszeitpunkt“, meint Matejka. Die günstige Bewertung sei nicht mit der Energiesituation zu erklären, so der Vermögensverwalter. Vielmehr sei eine heftige Rezession eingepreist, nach der es aber gegenwärtig nicht aussieht. Positiv für den österreichischen Index ist auch, dass Banken mit einem ­Anteil von 32 Prozent der am höchsten gewichtete Sektor in dem Barometer sind. Die profitieren aktuell von den steigenden Zinsen. Attraktiv ist vor allem das Indexschwergewicht Erste Group. Aber auch zyklische Werte wie der Stahlhersteller Voestalpine haben Potenzial.

Dieser Artikel erschien zuerst in Euro am Sonntag 49/2022. Hier erhalten Sie einen Einblick ins Heft.

Voestalpine