Gelockerte Corona-Beschränkungen lassen die Reiselust wieder aufleben, die Geschäfte der Tourismusbranche florieren. Trotz Pandemierisiken könnte sich der Aufschwung fortsetzen. Von Florian Hielscher, Euro am Sonntag
Endlich! Nach zwei Jahren voller Einschränkungen kann man in diesem Jahr wieder richtig verreisen. Und es hat sich eine enorme Reiselust aufgestaut: Laut Statistischem Bundesamt stieg die Anzahl der Übernachtungen in Deutschland im ersten Halbjahr 2022 um 146,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Neben heimischen Zielen geht es auch wieder in die Ferne. Erlebten in der Pandemie vor allem Individualreisen wie Camping einen Boom, stehen mit gelockerten Beschränkungen und Vorgaben nun wie der beliebte Urlaubsziele für Pauschal reisen wie das Mittelmeer hoch im Kurs.
Die wiederkehrende Reiselust befeuert das Geschäft bei Buchungsportalen und Reiseanbietern und spiegelte sich bereits in den Unternehmensergebnissen wider: Airbnb, der Vermittler alter nativer Unterkünfte, meldete im zweiten Quartal 2022 ein Viertel mehr gebuchte Übernachtungen und Events als im Vorjahr. Dies sorgte für einen Umsatzanstieg zum gleichen Vorjahreszeitraum um 58 Prozent. Auch beim Online Reiseanbieter Booking Holdings, bekannt für Portale wie Booking.com oder Kayak, klingelten die Kassen. Zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Pandemie hat sich die Zahl der Zimmerübernachtungen im zweiten Quartal vollständig erholt und lag sogar über dem Niveau von 2019. Entsprechend konnten die US-Amerikaner ihren Umsatz aus dem Vorjahresquartal nahezu verdoppeln und nach Verlusten nun wieder einen Nettogewinn ausweisen.
In Deutschland erreichte der Touristikkonzern TUI im zweiten Quartal des laufenden Jahres bereits wieder 84 Prozent des Vorpandemieniveaus des Jahres 2019. Die Rückschläge durch die Pandemie lassen die Unternehmen also zunehmend hinter sich.
Mögliche Spaßverderber
Anhaltender Boom bei Reise-Aktien
Verschiedene Einschränkungen könnten der Reiselust also einen Dämpfer verpassen. Die Börse scheint diese Unsicherheiten ein Stück weit bereits einzupreisen. Die Kurse bei Booking, Airbnb, Expedia oder TUI kamen in den letzten Monaten wieder etwas zurück. Dennoch besteht weiter Optimismus, dass der Boom anhält: Schätzungen der US-Bank JP Morgan gehen davon aus, dass die Zahlen der gebuchten Übernachtungen und Events bei Airbnb und Booking in den verbleibenden Monaten des Jahres über den Vergleichszeiträumen von 2019 liegen werden. Einzig beim Booking-Konkurrenten Expedia erwarten die Experten niedrigere Buchungszahlen.
Auch die Unternehmen selbst blicken positiv auf die kommenden Monate. Gegenüber dem Vorjahr erwartet Airbnb im dritten Quartal ein Wachstum bei Übernachtungen und Events wie im zweiten Quartal. Zudem sollen die durchschnittlichen Tagessätze leicht über denen des Vorjahres liegen. Der Hannoveraner Konzern TUI rechnet damit, dass die Kapazitäten im diesjährigen Sommer annähernd das Niveau des Vorpandemiesommers 2019 erreichen werden. Auch Booking-Geschäftsführer Glenn Fogel stimmte die Anteilseigner auf erfolgreiche Monate ein: „Wir erwarten für das dritte Quartal einen Rekordumsatz und arbeiten intensiv mit unseren Kunden und Partnern zusammen, um eine extrem geschäftige Sommerreisesaison zu ermöglichen.“
Die US-Bank JP Morgan kann dem angekündigten Rekordquartal bei Booking zwar viel abgewinnen, verweist aber auf eine Verlangsamung des Wachstums im dritten Quartal. Die Börsen würden womöglich mit noch höheren Wachstumsraten kalkulieren. Allerdings erwartet JP Morgan, dass Online-Reiseunternehmen künftig effizienter werden und höhere Margen als vor der Pandemie erzielen können. Der aufgestauten Reiselust sei Dank.
Booking Holdings Aktie
Die US-Amerikaner bieten unter verschiedenen Marken ein breites Spektrum an Möglichkeiten zu Online-Reisebuchungen, von Hotels über Flüge und Mietwagen bis hin zu Restaurants. Wegen des höheren Engagements im Bereich alternativer Unterkünfte (beispielsweise Häuser und Apartments statt Hotels) sehen Analysten Booking besser positioniert als Konkurrenten wie etwa Expedia. Die breite Aufstellung bietet große Wachstumschancen, angesichts derer scheint die Bewertung der Aktie moderat.
AirBnB Aktie
Als Vermittler von Zimmern, Ferienwohnungen oder außergewöhnlichen Unterkünften kassiert Airbnb eine Gebühr, ohne selbst Unterkünfte zu besitzen. Nach Einschätzung von Analysten ist Airbnb geografisch besser diversifiziert als Konkurrenten und kaum von Werbung abhängig. Der sportlichen Bewertung der Aktie stehen starkes Wachstum und gute Aussichten gegenüber. Zuletzt kündigte das Unternehmen ein Aktienrückkaufprogramm über zwei Milliarden Dollar an.
TUI Aktie
Der Konzern erwartet für das Gesamtjahr ein signifikant positives bereinigtes Ebit; einen konkreteren Ausblick blieb das Unternehmen schuldig. Analysten zeigten sich zuletzt skeptischer. In dem gebeutelten Aktienkurs sollte viel Negatives wie die Verschuldung bei gestiegenen Zinsen eingepreist sein. Neue Im- pulse erhoffen sich Anleger durch den Wechsel an der Spitze. Anfang Oktober übernimmt Sebastian Ebel den Chefposten. Abwarten.