Neue Investoren suchen, klinische Fehlschläge wegstecken und die klinische Pipeline von vier übernommenen Firmen in die eigene Medikamentenentwicklung integrieren - um sich auf dem Markt zu behaupten, hat Medigene in seiner inzwischen mehr als 21-jährigen Firmengeschichte sein Geschäftsmodell mehrmals neu erfunden.
Das Unternehmen mit Sitz in Martinsried bei München zählt zu den Pionieren unter den deutschen Biotechfirmen. Mit Veregen, einer Salbe zur Behandlung von Genitalwarzen, die von Partnern in 19 Ländern verkauft wird, hatte Medigene als erste deutsche Biotechfirma ein Produkt auf dem Markt. Die eigene Forschung und Entwicklung hat Medigene inzwischen ganz auf Heilmittel zur Behandlung von Leukämie ausgerichtet. Die Gesellschaft setzt dabei auf drei unterschiedliche Ansätze in der Immuntherapie, mit denen das Immunsystem gegen Krebszellen mobilisiert wird. Vor allem in den USA stehen Immuntherapien in der Krebsforschung vor dem klinischen Durchbruch.
Die Musik spielt in den USA
Bei Medigene läuft die erste Wirksamkeitsstudie für den am weitesten fortgeschrittenen Kandidaten in der Forschungspipeline gerade erst an. Die Gesellschaft ist dabei bis Ende 2019 gut durchfinanziert. Eine Kapitalerhöhung spülte im Juni diesen Jahres 46,4 Millionen Euro in die Kassen. Neben Medigene haben zuletzt 4SC, Paion und Cytotools frisches Geld eingeworben. Und für Wilex ist ein solcher Schritt nach dem Absprung des Kooperationspartners Roche unumgänglich.
Internationale Geldgeber sind auch die Zielgruppe auf der BioEurope 2015, die vom 2. bis 4. November in München stattfindet. Die Fachkonferenz ist eine der größten Investorenveranstaltungen in Europa, auf der börsennotierte und private Biotechfirmen ihre Geschäftsmodelle und klinische Studienergebnisse präsentieren.
Nach den zahlreichen Produktzulassungen der vergangenen Jahre hat sich unter den Investoren Aufbruchstimmung breitgemacht. Der Nasdaq Biotechnology Index als maßgebliches Börsenbarometer der Branche hat sich seit 2012 mehr als verdreifacht. Die Korrektur der vergangenen Monate, zuletzt verstärkt durch politische Debatten in den USA um mögliche Begrenzungen für rasant gestiegene Arzneikosten, ändert dabei nichts an den langfristig positiven Perspektiven für die Branche: Mehr als die Hälfte aller neu zugelassenen Medikamente kommt aus den Labors von Biotechfirmen.
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Kaum heimische Investoren
Diese Aufbruchstimmung ist in Deutschland bislang kaum angekommen. Vor allem für private Firmen wird es immer schwerer, sich eine langfristige Finanzierung zu sichern. Seit dem Platzen der Börsenblase zur Jahrtausendwende ist die Zahl der heimischen Wagniskapitalgeber kontinuierlich zurückgegangen.
Und das ist das Problem: Gerade das Beispiel Medigene zeigt, dass ohne internationales Kapital nichts mehr läuft. US-Investoren zeichneten bei der Kapitalerhöhung vom Juni 70 Prozent des Emissionsvolumens, ganze vier Prozent der Abnehmer stammen aus Deutschland.
Mit gravierenden Folgen für das operative Geschäft. "Die klassische Produktentwicklung, wie sie in den USA und in der Schweiz den Ton angibt, steht in Deutschland vor Finanzierungsproblemen. Die Firmen sind deshalb gezwungen, ihr Geschäftsmodell an diese Realitäten anzupassen", erklärt Siegfried Bialojan, Leiter des Bereichs Gesundheit der Unternehmensberatung Ernst & Young Deutschland, und verweist auf den Erfolg der TecDAX-Mitglieder Morphosys und Evotec. Beide Firmen generieren regelmäßigen Cashflow über Forschungsallianzen mit der Pharmaindustrie - und finanzieren damit die eigene Medikamentenforschung.
Anders als etwa in Frankreich mit seinen Steuervergünstigungen fehle es hierzulande völlig an Anreizen vonseiten der Politik, um das Privatkapital stärker für Investments in die Biotechnologie zu mobilisieren, beklagt Horst Domdey, als Geschäftsführer der BioM München und Sprecher des Cluster Biotechnologie Bayern ein langjähriger Kenner der Szene. Zudem gingen im Venture-Capital-Bereich die heimischen Investoren aus, die ein Konsortium mit ausländischen Geldgebern anführten und vor Ort das operative Geschäft der investierten Firmen begleiteten.
Deutsche Biotechs haben deshalb die Suche nach Geldgebern ins Ausland verlagert. Affimed, eine auf Antikörper gegen Krebs spezialisierte Firma aus Heidelberg, feierte im September 2014 ihr Börsendebüt an der Nasdaq. Einen Monat später folgte Probiodrug aus Halle/Saale an der Euronext Amsterdam. "Im aktuellen Marktumfeld wird es darauf hinauslaufen, dass auch andere deutsche Biotechs einen Börsengang an der Euronext oder der Nasdaq anstreben", meint Igor Kim, Analyst bei Oddo Seydler. Aktuell strebt die Berliner Firma Noxxon Pharma ein Listing in Amsterdam und Paris an.
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Spekulativer Kick
Ausgewählte deutsche Biotechs bieten auf dem aktuellen Kursniveau gute Kaufargumente. Reine Medikamentenentwickler wie Medigene, Paion oder 4SC haben dabei den größten Kurshebel nach oben und unten. Paion hat nach dem klinischen Flop des Schlaganfallwirkstoffs Desmoteplase den eigenen Exitus durch einen Kurswechsel abgewendet. Schafft das Anästhesiemittel Remimazolam in der derzeit laufenden klinischen Endphase III den Durchbruch, wird Paion in Zukunft profitabel arbeiten.
Remimazolam muss dabei beweisen, im Vergleich zu herkömmlichen Mitteln eine schnellere Narkotisierung mit weniger Blutdruckabfall bei den Patienten sowie ein schnelleres Erwachen nach dem chirurgischen Eingriff auszulösen. In den USA laufen zwei Studien für kurzfristige Eingriffe in Darm- und Lungenspiegelungen, während das Präparat in Europa bei Herzoperationen getestet wird. Die möglichen jährlichen Spitzenumsätze in den drei Anwendungsgebieten beziffert Vorstandschef Wolfgang Söhngen auf jeweils 500 Millionen US-Dollar. Geht alles glatt, will Paion 2017 die Zulassungsanträge einreichen.
Insgesamt drei klinische Kandidaten gegen Krebs hat 4SC in der Pipeline und setzt dabei vor allem auf Resminostat. Derzeit laufen die Vorbereitungen für eine Wirksamkeitsstudie zur Behandlung von kutanem T-Zell-Lymphom, einer Tumorerkrankung des Immunsystems, für Patienten mit einer Vorbehandlung durch Chemotherapie. Wegen des hohen medizinischen Bedarfs könnten im Idealfall die klinischen Daten aus dieser Phase-II-Studie als Basis für einen Zulassungsantrag unter Vorbehalt dienen. Dementsprechend niedriger wären die Entwicklungskosten. Zugleich wartet 4SC auf die Ergebnisse der laufenden klinischen Studien, die der japanische Partner Yakult nächstes Jahr bei Leberkrebs präsentieren wird. Einen erfolgreichen Verlauf vorausgesetzt, bilden die Daten die Basis für eine eigene Wirksamkeitsstudie in dieser Indikation.
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Wo Abwarten angesagt ist
Vorsicht gilt dagegen bei Cytotools. Bei der auf Verfahren zur Wundheilung spezialisierten Firma hat sich die mehrfach angekündigte Zulassung von DermaPro in Indien wieder verschoben. Eine weitere Kapitalerhöhung soll eine Studie in den USA finanzieren. Keine größeren Produktumsätze verzeichnet bislang auch Sygnis. Das Unternehmen entwickelt Verfahren für die Sequenzierung von Genfragmenten, wie sie in der personalisierten Medizin gefragt sind. Sygnis setzt dabei auf Eigenvermarktung. Weil den entsprechend hohen Anlaufkosten bislang keine nennenswerten Einnahmen gegenüberstehen, wird eine weitere Kapitalerhöhung unumgänglich sein. Überschaubar blieben bislang auch die Erlöse bei der auf Hauterkrankungen spezialisierten Firma Biofrontera. Durch den plötzlichen Rücktritt des Vorstands machte wiederum Mologen zuletzt von sich reden. Die klinischen Studien mit Impfstoffen, die das Immunsystem gegen Tumore aktivieren sollen, kommen dagegen nicht vom Fleck. Ebenfalls seit Jahren auf die Marktzulassung wartet Epigenomics mit seinem blutbasierten Früherkennungstest für Darmkrebs. Anleger sollten auch hier die weitere Entwicklung besser an der Seitenlinie beobachten.
Dauerläufer mit kritischer Masse
Das aus Anlegersicht beste Chance-Risiko-Profil bieten die von BÖRSE ONLINE zuletzt empfohlenen Schwergewichte Qiagen, Morphosys und Evotec. Qiagen ist führender Player bei Analysesystemen zur molekularen Früherkennung von Krankheiten. Wegen des zu erwartenden Gewinnschubs ist die Aktie derzeit attraktiv bewertet. Morphosys geht mit zwei eigenen Antikörpern in Wirksamkeitsstudien gegen verschiedene Leukämiearten vor. Zudem gibt es eine wachsende Zahl von auslizenzierten Produkten in fortgeschrittenen klinischen Entwicklungsstadien - mit entsprechenden Einnahmen für Morphosys. Dasselbe gilt für die Firma Evotec, die sich auf präklinische Frühforschung konzentriert hat.