Die EZB hat am Donnerstag trotz der Bankenkrise und Börsenturbulenzen die Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Das sagen Volkswirte und Finanzmarktexperten zu den Beschlüssen:

Carsten Mumm, Chefvolkswirt von Donner & Reuschel: "Die EZB ist auf einer gefährlichen Gratwanderung"

"Der Inflationsdruck in der Eurozone ist weiterhin viel zu hoch und ein breiter Disinflationsprozess hat noch nicht begonnen, wie EZB-Direktorin Isabel Schnabel kürzlich noch einmal betonte. Vor allem die noch immer steigende Kerninflation bereitet den Notenbankern Sorge. Daher ist die Erhöhung der Leitzinsen nur folgerichtig. Eine Abkehr vom geplanten geldpolitischen Straffungspfad aufgrund der Turbulenzen im Bankensektor wäre diesbezüglich kontraproduktiv gewesen.

Allerdings muss die EZB ihren Fokus neben der Inflationsbekämpfung jetzt auch auf den Erhalt der Stabilität des Finanzsystems richten. Gerade in dieser Phase sehr hoher Verunsicherung kommt es darauf an, die Psyche vieler hochnervöser Marktteilnehmer zu beruhigen und die entsprechenden Bemühungen von Regierungen, Regulierern und Finanzinstituten zu unterstützen.

Beide Ziele gleichzeitig zu erreichen ist eine Gratwanderung, denn es zeigt sich, dass drastische Zinserhöhungen unerwünschte Kettenreaktionen auslösen und dadurch das Finanzsystem destabilisieren können. Die Aktionen und Äußerungen vonseiten der EZB, der Fed & Co. werden daher in den nächsten Monaten ein noch wichtigerer und wesentlicher Einflussfaktor an den Börsen bleiben."

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Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank: "Das war sehr mutig, aber auch sehr richtig"

"Europas Währungshüter haben mit dem heutigen Schritt eine härtere Gangart eingeschlagen als angenommen – und sich eben nicht auf eine Verschiebung oder Aussetzung des Zinserhöhungszyklus verständigt. Das war sehr mutig, aber auch sehr richtig. Notenbanken sind in allererster Linie der Geldwertstabilität verpflichtet. Der Hinweis, einen Baukasten zur Liquiditätsversorgung der Finanzsysteme jederzeit bereit stellen zu können, sollte den Marktturbulenzen entgegenwirken, obgleich die Finanzmärkte vom heutigen Zinsschritt negativ überrascht wurden."



Sparkassenpräsident Helmut Schleweis: "Diesem Schritt müssen weitere folgen"

Die Inflation setzt sich weiter fest und beeinflusst immer weitere Teile der Wirtschaft. Dieser Entwicklung müsse entschlossen entgegengetreten werden, sagte der Präsident des Sparkassenverbandes DSGV, Helmut Schleweis. „Es ist richtig, die Leitzinsen weiter zu erhöhen, um die Inflation weiter wirksam zu bekämpfen. Dem heutigen Schritt werden voraussichtlich noch weitere folgen müssen“, so Schleweis.  Es zeige sich, so der DSGV-Präsident, dass die Inflation hartnäckiger sei als erhofft. Das dürfe sich nicht weiter verfestigen.

Ausschlaggebender Preistreiber seien ursprünglich vor allem die Energiekosten gewesen. „Diese höheren Kosten – die sich neben teurer Energie auch aus anderen Teilen der Lieferketten speisen – werden nun zunehmend an die Kunden weitergereicht. Diese Entwicklung muss möglichst schnell umgekehrt werden“, so Schleweis. Zunehmende Schwierigkeiten bereiteten auch die in einigen Branchen gestiegenen Lohnkosten.  Schleweis: „Hohe Zinsen drohen zwar die Wirtschaftsleistung zu schwächen, eine dauerhaft hohe Inflation könnte aber noch größeren wirtschaftlichen Schaden anrichten. Deshalb ist der Kurs der EZB richtig.“  

Alexander Krüger, Chefvolkswirt von Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank: "Die EZB wird im Notfall die Inflationsbekämpfung zugunsten der Finanzmarktstabilität opfern"

"Die EZB hat sich vom Trubel im US-Bankensektor nicht aufhalten lassen. Sie betont die Widerstandsfähigkeit des EWU-Bankensektors und steht notfalls für Eingriffe bereit. Ihre Inflationsprojektion für 2023 hat die EZB zwar gesenkt, die Inflationsskepsis bleibt jedoch sehr hoch. Eine Leitzinserhöhungsabsicht stellt die EZB explizit nicht mehr heraus. Wie weit die Leitzinsen noch steigen werden hängt davon ab, ob systemische Risiken unter der Decke gehalten werden können. Klar ist, dass die EZB im Fall der Fälle die Inflationsbekämpfung zugunsten der Finanzmarktstabilität opfern wird."

Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank: "Zeichen von Vertrauen in die Solidität der Banken"

"Die EZB hat sich auch von den Turbulenzen im Bankensystem nicht von ihrem angekündigten Zinskurs abbringen lassen. Das drückt berechtigtes Vertrauen in die Solidität des europäischen Bankensystems aus. Trotzdem müssen Notenbanken und Aufsicht auch in Europa Gewehr bei Fuß stehen, um im Einzelfall schnell stabilisieren zu können. Wirtschaft und Finanzsystem müssen von einer Dekade Nullzinsen entwöhnt werden. Das ist eine mühsame Aufgabe."

Friedrich Heinemann, ZEW-Experte: "Klassischer Zielkonflikt"

"Fed und EZB mussten immer damit rechnen, dass die konsequenten Zinserhöhungen negative Nebenwirkungen für die Finanzmärkte haben können. Die Zentralbanken dürfen aber nicht übersehen, dass auch eine sich verfestigende Inflation ganz erhebliche Stabilitätsrisiken mit sich bringt. Insofern besteht ein klassischer Zielkonflikt: Eine entschlossene Inflationsbekämpfung ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Genau davor haben Kritiker der jahrelangen Nullzinspolitik ja immer gewarnt. Mit den Turbulenzen um SVB und Credit Suisse zeigt sich jetzt deutlich, unter welchen Stress die Zinserhöhungen den Bankensektor setzen. Kommt es zu einer umfassenden Bankenkrise, dann wird auch die EZB ihren Zinserhöhungskurs abbrechen müssen. Dennoch ist es richtig, dass die EZB heute noch einmal einen großen Zinsschritt gemacht hat. Alles andere wäre ein Zeichen der Panik gewesen und hätte die Verunsicherung noch vergrößert."