Darf sie oder darf sie nicht? Die Debatte darüber, ob und wie sich die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Geldpolitik im Kampf gegen den Klimawandel engagieren soll, nimmt an Fahrt auf. Sowohl EZB-Präsidentin Christine Lagarde als auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann äußerten sich schon Ende Januar während einer Frankfurter Konferenz zu diesem Thema. Im selben Monat gab die Notenbank die Etablierung eines Zentrums für Klimawandel bekannt, und die Frage wird bei der EZB-Strategieüberprüfung zur Sprache kommen, deren Ergebnisse im Herbst dieses Jahres erwartet werden.

Bei einem eminent politischen Punkt der Debatte scheint mittlerweile Klarheit zu herrschen: Es steht in Einklang mit dem Mandat der EZB, sich mit diesem Thema überhaupt zu beschäftigen. Lagarde zufolge hat der Klimawandel Auswirkungen auf das primäre Ziel der Bank: Preisstabilität. Extreme Wetterereignisse könnten kurzfristige Volatilitäten bei Produktion und Preisen hervorrufen und - wenn das Thema außen vor bliebe - dauerhafte Auswirkungen auf Wachstum und Inflation haben. Und Weidmann verwies darauf, dass der Klimawandel die Mandate der Bank zu Preis- und Finanzstabilität tangiere.

Prinzip der Marktneutralität der Maßnahmen würde aufgegeben

Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang der Klimawandel künftig in der praktischen Geldpolitik eine Rolle spielen wird, denn eine "Ökologisierung" der Geldpolitik ist wirtschaftspolitisch hoch umstritten. Aber auch die praktische Umsetzung wäre alles andere als trivial - der Teufel steckt hier im Detail. So würde die Einführung grüner Kriterien in der Geldpolitik bedeuten, das Prinzip der Marktneutralität der monetären Maßnahmen aufzugeben. Dieses Prinzip zielt darauf ab, Preisverzerrungen möglichst zu vermeiden, da sie dem Funktionieren der Märkte abträglich sind. Mit Fug und Recht darf allerdings gefragt werden, ob dieses Prinzip nicht ohnehin bereits Schaden genommen hat - man schaue etwa auf den starken Einfluss der akkommodierenden Geldpolitik auf die Preise für Vermögenswerte wie Immobilien und auf die Bewertung der Aktienmärkte.

In der praktischen Umsetzung einer "grünen" Geldpolitik könnte die EZB ihre Käufe von Green Bonds erhöhen. Sie würde damit zu einem noch mächtigeren Akteur in diesem Marktsegment, das zu 42 Prozent aus Staatsanleihen und 58 Prozent aus Unternehmensanleihen besteht. Über ihre Kaufprogramme für den Unternehmens- und den öffentlichen Sektor (CSPP und PSPP) hält die Bank bereits etwa ein Viertel der in der Eurozone verfügbaren Green Bonds.

Eine Ausweitung dieser Käufe hätte beachtliche Folgen: Eine stärkere Präsenz der EZB in diesem noch immer engen Marktsegment - 273 Milliarden Euro von europäischen Emittenten, wovon 217 Milliarden Euro im Rahmen des CSPP für Zentralbankkäufe relevant sind - würde zu einem Verdrängungseffekt bei privaten Investoren führen. Hierzu käme es wohl nur dann nicht, wenn es infolge der Botschaft und Aktivitäten der EZB eine Preisdifferenzierung gäbe: eine systematische Prämie für die Emission grüner Wertpapiere, die es derzeit nicht gibt. Eine derartige Prämie würde vermutlich zu mehr Emissionen von Green Bonds führen.

Um einen ökologischen Wandel deutlich zu unterstützen, müsste sich infolge der EZB-Maßnahmen allerdings auch die sektorale Ausrichtung des Marktsegments verändern. Vor allem müssten vermehrt Emittenten aus der Industrie zum Einstieg ermuntert werden, da diese Branche das größte Potenzial für eine CO2-Reduktion hat. Derzeit sind hingegen vor allem Banken und Versorger aktiv. Zusammen machen diese beiden Sektoren fast die Hälfte des Green-Bond-Index aus (28 und 18 Prozent).

Darüber hinaus könnte die EZB bei ihren Käufen von Unternehmensanleihen auch außerfinanzielle - also ökologische - Analysekriterien berücksichtigen. Angesichts des Umfangs ihres Engagements im Corporate-Bond-Bereich hätte dies große Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung. Dabei stellt sich allerdings die Frage, welche Indikatoren verwendet werden könnten. EZB-Präsidentin Lagarde beklagte einen Mangel an unternehmensspezifischen Daten zum Thema Klimawandel und eine fehlende Standardisierung - trotz der europäischen Taxonomie.

Hinzu käme die Frage der Vorgehensweise. Am effektivsten wäre wohl die Einführung von Ausschlusskriterien. Bestimmte Unternehmen auszuschließen oder die Käufe auf die Klassenbesten zu beschränken würde allerdings die Refinanzierungsbedingungen der Unternehmen mit niedrigen Ratings verschlechtern - nicht gerade der beste Weg, um ihnen bei der notwendigen Energiewende zu helfen.

EZB entscheidet de facto über den Energiemix der Zukunft

Und schließlich ist anzumerken, dass die EZB durch eine Integration von Umweltkriterien in ihre Geldpolitik de facto über den Energiemix der Zukunft und die Modalitäten des ökologischen Übergangs mitentscheiden würde. Insbesondere die Frage, ob bestimmte kohlebasierte Aktivitäten auszuschließen sind oder nicht, birgt politischen Sprengstoff und dürfte zu intensiven Diskussionen zwischen den Ländern der Eurozone und der Notenbank führen.

Die Staaten selbst haben den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft eingeleitet - unter Berücksichtigung ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Aspekte. Sollte die EZB beschließen, Klimaziele bei ihrer Geldpolitik zu berücksichtigen, so muss der Plan klar und präzise sein und diesen Übergang begleiten. Er muss in den Green Deal der EU-Kommission integriert werden und auch die Konsequenzen berücksichtigen, die ein Ausstieg der Notenbank aus den Wertpapierkaufprogrammen haben wird, selbst wenn dies ferne Zukunftsmusik ist.

Ganz an der Seitenlinie stehen bleiben wird die EZB vermutlich nicht, aber sie muss ihre Maßnahmen genau abstimmen. Denn wie auch Christine Lagarde betonte: Am Ende ist die EZB zwar ein Akteur beim Kampf gegen den Klimawandel, aber nicht der Treiber. In erster Linie ist es die Aufgabe der Regierungen, ihrer Verantwortung nachzukommen. Investoren sind bereit, sie dabei zu unterstützen.

 


Franck Dixmier
Global CIO Fixed Income bei Allianz Global Investors

Dixmier hat Wirtschaft und Finanzwesen an der Dauphine-Universität in Paris studiert und arbeitet seit 1995 bei Allianz Global Investors (AGI). Seit 2015 leitet er den Anleihenbereich bei AGI und ist Mitglied des Investmentkomitees.

Allianz Global Investors ist eine Tochter der Allianz Gruppe und verwaltet für private wie für institutionelle Anleger derzeit rund 580 Milliarden Euro.