Chaozhu, ein Dorf in der chinesischen
Provinz Kanton: In einer
Nacht des Jahres 1940 packte die
Familie des Dorflehrers ihre Habseligkeiten,
fuhr zur Küste und stieg in ein
Fährschiff nach Hongkong, in die sicher geglaubte
britische Kronkolonie. Es herrschte
Krieg zwischen Japan und China, Flieger
der japanischen Luftwaffe hatten das Dorf
bombardiert und die einzige Schule zerstört.
Mit an Bord war auch Li Ka Shing, der
zwölfjährige Sohn der Familie, 1928 im Jahr
des Drachen geboren, dem chinesischen
Horoskop gemäß ein Glück verheißendes
Jahr. Und Glück sollte in Lis Leben tatsächlich
eine wichtige Rolle spielen.
In Hongkong lebte die Familie in bitterer
Armut. Nach ihrer Ankunft war der Vater
an Tuberkulose erkrankt, er starb, als Li 14
war. Der Junge brach die Schule ab, um die
Familie zu ernähren. Er fand einen Job als
Lehrling in einer Fabrik, die Plastikblumen
herstellte, schuftete dort sieben Tage die
Woche. Wenn er nach Hause kam, setzte
er sich hinter seine Bücher und holte die
fehlende Schulbildung nach.
1950 machte sich Li mit seiner Firma
Cheung Kong ("Langer Fluss") selbstständig,
deren Name auf Chinas größten Fluss
anspielte, den Jangtse. Wer erfolgreich sein
wolle, so Li später, müsse andere Menschen
und Meinungen akzeptieren. Wie
der Jangtse. "Warum ist der Jangtse ein so
starker Strom? Weil er viele kleine Flüsse
aufnimmt und dadurch erst groß wird."
Cheung Kong wuchs schnell. Das Unternehmen
stellte Plastikblumen her, die damals
vor allem in Europa und Amerika populär
waren. Jeden Morgen holten Hausfrauen
aus den benachbarten Armenvierteln
die Blumen ab und brachten abends
kunstvoll geschnürte Buketts zurück. Binnen
weniger Jahre wurde das Unternehmen
zum Marktführer. Später erweiterte Li das Sortiment und produzierte auch
Plastikspielzeug für westliche Unternehmen
wie den US-Hersteller Hasbro. Aus Lis
Fabrik kamen die in den 60er-Jahren in den
USA erfolgreichen G.I.-Joe-Figuren.
Geschäfte "Made im Golfclub"
Als der Jungunternehmer das Grundstück
kaufen wollte, auf dem seine Fabrik
stand, stellte sich der Eigentümer quer. Li
wurde klar, dass Grundbesitz das eigentliche
Gold dieser Stadt war. Das Territorium
der Kolonie war begrenzt, der Hunger nach
Immobilien groß. Die Stadt war gezwungen,
in die Höhe zu wachsen.
Als Ende der 60er-Jahre die von Mao inspirierte
Kulturrevolution auch nach Hongkong
übergriff und es zu sozialen Spannungen,
Ausschreitungen und Bombenanschlägen
kam, flohen viele Geschäftsleute
ins Ausland und schlugen ihre Immobilien
zu Spottpreisen los. Li kaufte alles, was er
in die Finger bekam - Geschäftshäuser,
Wohnhäuser, Fabriken. Als sich die Situation
in der Kronkolonie wieder beruhigte,
war Li einer der größten Immo-Besitzer
Hongkongs. Er hatte Zugang zu den prestigeträchtigen
Golfclubs der Stadt, die normalerweise
nur britische Expats als Mitglieder
aufnahmen. Die Einheimischen,
beeindruckt von seinem Erfolg, gaben ihm
den Namen Chi Yan ("Superman").
1979 wurde das alte britische Handelshaus
Hutchison Whampoa übernommen.
Hongkong wurde zu dieser Zeit von den
jahrhundertealten "Hongs" dominiert,
kolonialen Unternehmen, die sich im Besitz
von britischen Familien befanden. Vor
allem drei Hongs gehörte praktisch ganz
Hongkong: Jardine Matheson, Hutchison
und Swire. Michael Sandberg, Chef der
Hongkong and Shanghai Bank (HSBC), fädelte
den Deal ein. Im Golfclub hatte er Li
kennengelernt und schnell erkannt, dass
der Tycoon sein Mann war, um den Turnaround
des mit hohen Krediten belasteten
Traditionsunternehmens zu schaffen. Im
September 1979 schockte Sandberg die Finanzelite
mit der Nachricht, dass Cheung
Kong einen kontrollierenden Anteil an Hutchison
übernommen habe - übrigens für
weniger als die Hälfte des Buchwerts. Li
sicherte sich damit Werften, Hafenanlagen
und Immobilien, und Sandberg erhielt
dank Lis Beziehungen Zugang zum Markt
auf dem chinesischen Festland.
Mit dem stabilen Cashflow aus dem
Schifffahrts- und Hafengeschäft investierte
Li nach und nach in andere Geschäftszweige:
Ölgesellschaften, Hotels, Einzelhandel,
Versorgungs- und Telekomunternehmen.
Er wurde zum Global Player und
beteiligte sich auch an Unternehmen in
den USA und Europa. Hutchison Whampoa
wurde zum erfolgreichsten Konglomerat
Hongkongs und ist heute mit jährlichen Erträgen
von über 50 Milliarden Dollar eine
der wertvollsten Firmen weltweit. Von
jedem Dollar, der in Hongkong ausgegeben
wird, so sagt man, gehen fünf Prozent an
Li Ka Shing. Und Hongkong sei längst das
"private Königreich" des Tycoons.
Li hatte auch ein gutes Gespür für das ITBusiness.
2007 entschied er sich, 120 Millionen
Dollar in Facebook zu investieren.
Heute ist sein Anteil 900 Millionen Dollar
wert. 2007 investierte er in Skype, das damals
noch Verluste machte. Ein Jahr später
kaufte Ebay das Unternehmen für 2,5 Milliarden
Dollar. Auch im Mobilfunkgeschäft
mischte Li mit. 1999 verkaufte er seine britische
Firma Orange für 15 Milliarden Dollar
an den Mannesmann-Konzern und
wurde so zum größten Einzelaktionär von
Mannesmann. Die spätere Übernahme von
Mannesmann durch Vodafone brachte ihm
einen milliardenschweren Anteil am weltgrößten
Mobilfunkunternehmen ein.
In 45 Sekunden in Stockwerk 70
Li, vom Wirtschaftsmagazin "Asiaweek"
zum "mächtigsten Mann Asiens" gekürt,
zählt heute zu den fünf einflussreichsten
Milliardären der Welt. Sein Vermögen wird
von "Forbes" auf 31 Milliarden Dollar geschätzt.
Er ist damit der reichste Mann Asiens
und nimmt auf der Liste der reichsten
Menschen der Welt Rang 8 ein.
Sein Lebensstil ist bescheiden. Kein Privatjet,
keine Jacht, keine teuren Villen. Er
gilt als sparsam, trägt einfache Anzüge,
seine Seiko-Armbanduhr kostet weniger
als 50 Dollar, und er wohnt heute noch in
dem gleichen Haus, das er vor 50 Jahren
gekauft hat. Er spendet regelmäßig einen
Teil seines Vermögens für gute Zwecke,
steht jeden Tag um fünf Uhr auf, spielt eine
Stunde Golf (meist mit dem Filmproduzenten
Raymond Chow), und bis zum Mittagessen
hat er praktisch alle wichtigen internationalen
Zeitungen gelesen. Seine vielleicht
einzige Extravaganz ist sein Büro im
obersten Stockwerk des Cheung-Kong-Centers
im Herzen von Hongkong. Es hat einen
Swimmingpool und den schnellsten Aufzug
der Welt: Er braucht weniger als 45 Sekunden
bis zum 70. Stockwerk.
PEB