Der Deutschland-Chef von Colliers International Group zu den Herausforderungen der Immobilienbranche durch Inflation, Ukraine-Krieg und ESG Von Stefan Rullkötter
Durch den Kauf von Büro-, Gewerbe- und Wohnimmobilien glauben viele Investoren, sich gegen eine Geldentwertung wirksam schützen zu können. Denn die Mieteinnahmen sind in der Regel an die Inflationsrate gekoppelt.
Bei der Auswahl der Objekte ist für eine gute Rendite aber Fingerspitzengefühl gefragt: Neben der Lage werden für Mieter Gebäudeeigenschaften und variable Nutzungsmöglichkeiten immer wichtiger. Es ist etwa absehbar, dass sich flexible und modern gestaltete Büros in zentralen Lagen verknappen, Standardbüros ohne flexible Raumgestaltung häufiger leer stehen werden.
Bei den oft komplizierten Transformationen will Matthias Leube, Deutschland-Chef des Immobilientransaktionsberaters Colliers, seine Kunden effektiv begleiten. Der Immobilienexperte erklärt im Gespräch mit €uro am Sonntag, wie die Betongold-Branche die Herausforderungen durch Inflation, Ukraine- Krieg und ESG-Kriterien meistern kann.
Euro am Sonntag: Herr Leube, die steigenden Zinsen drücken mächtig auf die Stimmung an den Immobilienmärkten. Zeichnet sich hier ein Ende der seit 2005 laufenden Boomphase ab?
Matthias Leube: Durch die steigenden Zinsen ist die Finanzierung von Immobilieninvestments bereits deutlich komplexer geworden. Vorteile im aktuellen Marktumfeld haben daher vor allem eigenkapitalstarke Investoren wie beispielsweise Offene Publikumsfonds und Versicherungen. Doch wir sehen auch, dass andere Investoren mit höherem Risikoprofil die Chancen nutzen.
Es kann also auch Profiteure der hohen Inflationsraten im Euroraum geben?
Die Erhöhung der Zinskosten wird zwar viele der aktiven Investoren im Markt belasten. Die rasante Entwicklung der Inflation in Deutschland macht aber zugleich die Investition in Gewerbeimmobilien attraktiv. Insbesondere Bestandsobjekte mit Indexklauseln werden von diesem Umfeld profitieren.
Wie bewerten Sie im Vergleich dazu den Immobilienmarkt des Vorjahres?
Nach einer beeindruckenden Jahresendrally 2021, der voranschreitenden Erholung der pandemiegeprägten Vermietungsmärkte sowie den Aussichten auf einen beschleunigten Konjunkturaufschwung 2022 hatten wir einen überdurchschnittlichen Jahresauftakt erwartet. Auch der Abschluss marktprägender Großtransaktionen, allen voran die milliardenschwere Übernahme der Alstria Office Reit AG durch Brookfield, trugen dazu wesentlich bei.
Die Börsenkurse reiner Immobilienkonzerne sind zuletzt deutlich gesunken, während Immobiliendienstleister und Maklerkonzerne oft noch in der Nähe ihrer Höchststände notieren. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Der Immobilienmarkt ist nach wie vor solide. Die aktuellen Kursschwankungen sind nur eine Momentaufnahme und unter anderem durch erschwerte Finanzierungsbedingungen und gestiegene Baukosten zu erklären. Immobilienberater haben generell den Vorteil, dass sie die gesamte Bandbreite der Investoren beraten können. Wenn etwa Core-Investoren, die sich auf erstklassige Objekte in Toplagen konzentrieren, im aktuellen Marktumfeld etwas zögerlicher agieren, kommen nun Value- Add-Investoren, die den Fokus auf Objekte mit Renovierungs- und Umwidmungspotenzial legen, stärker zum Zug.
Ein Ende des Ukraine-Kriegs ist weiterhin nicht absehbar. Wirkt sich dieser politische Unsicherheitsfaktor auch auf den deutschen Immobilienmarkt aus?
Wir alle sind schockiert von den Folgen der russischen Aggression. Geopolitische Risiken werden heute sicher in einem ganz anderen Maß bei Investmententscheidungen berücksichtigt als noch vor dem Kriegsausbruch. Direkte Einflüsse auf das Investmentgeschehen in Deutschland sind derzeit noch nicht festzustellen, die Konsequenzen für die westliche Wirtschaft im Allgemeinen aber noch nicht überschaubar.
Wie positionieren Sie sich in diesem Umfeld als Transaktionsberater?
Wir gestalten unsere Transformation programmatisch so offen, dass wir auf alle Eventualitäten vorbereitet sind. Insgesamt verfolgt Colliers das Ziel, den Bereich Wohnen als gleichwertige Säule neben dem Bereich Gewerbeimmobilien zu positionieren. Dazu wollen wir die heutige Personalstärke von 60 Mitarbeitern mindestens verdoppeln. Im vergangenen Jahr hat unser Team im Bereich Wohnen Verkaufstransaktionen mit einem Gesamtvolumen von rund 1,2 Milliarden Euro betreut. In den meisten Servicebereichen ist Colliers an seinen Standorten und deutschlandweit in der Regel aktuell bereits unter den ersten drei Beratern nach Transaktionsvolumen.
Wo liegen Ihre geschäftlichen Schwerpunkte in Deutschland?
Neben den Standorten München und Nordrhein-Westfalen gibt es auch am Standort Berlin wichtige Transformationsbewegungen, um die zahlreichen Opportunitäten der Bereiche Investment und Vermietung in der deutschen Hauptstadt noch besser zu koordinieren. Denn Berlin spielt in den Investment- und Mietmärkten inzwischen in einer Liga mit London und Paris.
Wollen Sie hierzulande auch durch Unternehmensakquisitionen wachsen?
Wir werden auch weiter punktuell auf Wachstum setzen, wenn es etwa über die Zukäufe strategisch interessanter Unternehmen geht oder die Einführung neuer Business-Standorte auf der Deutschland-Karte von Colliers.
Was bedeuten Daten für das Geschäft von Immobiliendienstleistern?
Daten sind die Basis digitaler Geschäftsprozesse. Das gilt auch für die Transaktionsberatung. Um marktrelevante Daten noch besser zu erfassen und auszuwerten, werden wir in Kürze unseren Daten- und Research-Bereich neu ausrichten. Wir verfügen bereits über eine 20-köpfige Research-Abteilung, die alle wichtigen Regionen und Assetklassen in Deutschland abdeckt.
Binden Sie hier auch Ihre Kunden ein?
Bei der Interaktion mit Kunden sind weitere digitale Lösungen in Arbeit und werden den Austausch mit Kunden auf ein anderes Qualitätsniveau bringen. Außerdem prüft Colliers derzeit Optionen für weitere Zukäufe von Beratungskompetenzen, die noch nicht ausreichend zukunftsstabil ausgeprägt sind.
Wie wird sich die Immobilienwirtschaft in nächster Zeit weiterentwickeln?
In den kommenden fünf Jahren steht der Immobilienwirtschaft die stärkste Transformation bevor, die sie jemals erfahren hat. Diese Veränderungen betreffen das Geschäftsverhalten der Marktteilnehmer im Allgemeinen - aber auch den wertschöpfenden Umgang mit Daten, um nur ein Beispiel für den tiefgreifenden Wandel in der uns umgebenden Wirklichkeit zu nennen.
Wie wollen Sie sich im umkämpften Wettbewerb der globalen Immobiliendienstleister langfristig behaupten?
Mit unserem Transformationsprogramm rüsten wir Colliers für die Zukunft. Damit wir nach Möglichkeit immer einen Schritt vor dem Wettbewerb sind, unsere Kunden bestmöglich beraten können und ganz generell die Zukunftsfähigkeit unseres Geschäfts sichern. Die Aufgaben, die vor der gesamten Immobilienbranche liegen, sind fundamental, auch wir haben als Beratungsunternehmen gerade erst mit deren Bewältigung angefangen.
Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang das Thema Kommunikation?
Mit strategisch vorbereiteten Research- Impulsen möchten wir uns weiter als "Thought Leader" positionieren. Hier werden digitale Formate eine zentrale Funktion wahrnehmen, wie wir sie während der Corona-Pandemie etabliert haben und nun weiterentwickeln.
Wie wollen Sie Ihre angestrebte Transformation auch bei gesellschaftlich wichtigen Themen beschleunigen?
Dies geschieht etwa durch die in der Branche sehr bekannte digitale Serie "Digitaler Frühling - Digitaler Herbst" in Zusammenarbeit mit Heuer Dialog, die regelmäßig rund 3.000 Zuschauer aus der Immobilienbranche verzeichnet. Das Format hat in der Branche und weit darüber hinaus Zeichen und einen breiten Diskurs in Gang gesetzt.
Welche Ziele verfolgen Sie konkret?
Es geht uns darum, mit der Branche, aber auch der Politik und der Wirtschaft noch stärker in den Diskurs zu gehen und Veränderungen in gemeinsamen Initiativen mitzugestalten. Denn nur zusammen kann die Immobilienwirtschaft die bevorstehende Transformation erfolgreich gestalten.
Wie wichtig ist für die Immobilienwirtschaft das Thema Nachhaltigkeit?
Da die Mieter zunehmend Flächen mit starken Nachhaltigkeitseigenschaften wünschen und die Zahl der ESG-Auflagen weiter ansteigt, erwarten wir, dass Investoren diesen Faktoren deutlich mehr Priorität einräumen - um zu vermeiden, dass sie in Zukunft gestrandete Assets im Portfolio haben.
Was sind, abgesehen von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg, Wachstumsbremsen für den Immobilienmarkt?
Die steigenden Baukosten und die begrenzte Verfügbarkeit von Baumaterial sowie ausführenden Unternehmen werden einen verstärkten Einfluss auf Projektentwicklungen und Forward Transaktionen haben.
Wie wichtig ist es für Sie, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen?
Ich lege in meiner Strategie der beschleunigten Transformation einen besonderen Schwerpunkt auf die Förderung von Frauen in Führungspositionen sowie auf eine Unternehmenskultur, die Inklusion und Chancengleichheit insgesamt fördert. Deutschlandweit hat Colliers eine Frauenquote von rund 50 Prozent im Team. Allerdings fehlt es, wie in vielen Unternehmen der Immobilienbranche, an Frauen in Führungspositionen. Diesen Fakt möchte ich ändern, unter anderem mit spezifischen Förderprogrammen, die es Frauen erleichtern sollen, Beruf und Familie in Einklang zu bringen.
Wie soll das konkret funktionieren?
Zum Beispiel durch Führung in Teilzeit. Ein Beispiel hierfür ist das Programm "REAL for Women", das bereits Anfang März gestartet wurde mit dem Ziel, talentierte Frauen auf eine Führungsposition vorzubereiten. Darüber hinaus sind Mentoringprogramme weitere Bausteine, die zukünftig angeboten werden.
Förden Sie in Ihrem Unternehmen in gleichem Maß auch ältere Mitarbeiter?
Colliers ist traditionell geprägt von starken Unternehmerpersönlichkeiten mit hoher regionaler Bindung. Die Gründergeneration der deutschen Standorte übergibt im Rahmen der beschleunigten Transformation nach und nach Führungsaufgaben an die jüngere Generation - und bleibt dem Unternehmen gleichzeitig mit ihrer Erfahrung und Tatkraft in der aktiven Kundenberatung erhalten. Das ist Ausdruck der besonderen Kultur in unserem Konzern und der Wertschätzung von älteren Mitarbeitern, die im Rentenalter weiterhin für das Unternehmen tätig sein möchten. Durch die Weiterbeschäftigung in veränderten Funktionen stellt das Unternehmen den Wissens- und Erfahrungstransfer innerhalb des Teams sicher.
Vita:
Der Transformator
Matthias Leube (55) ist CEO von Colliers in Deutschland, einem führenden Beratungsunternehmen für Gewerbeimmobilien und Wohninvestments mit 17.000 Mit- arbeitern im globalen Netzwerk. Seit seinem Antritt als Vorstandschef im Jahr 2017 hat er den Umsatz des Unternehmens, das vor allem bei Verkauf und Vermietung großvolumiger Objekte berät, hierzulande nahezu verdoppelt. Zuvor war er als Managing Director bei AXA Investment Managers Real Assets, Deutsche Bank und Jones Lang LaSalle tätig. Er hat einen Abschluss in Immobilienökonomie der European Business School und ist Mitglied der Immobilienverbände RICS und ZIA.
INVESTOR-INFO
Colliers International
Global Player der Immowelt
Die weltweit aktive Gebäudemanagementgesellschaft mit Hauptsitz in Toronto bietet eine breite Palette an Dienstleistungen für Büro-, Gewerbe- und Wohnimmobilien. Die Colliers International Group ging aus der Aufspaltung des kanadischen Immobilienkonzerns First- Service im Jahr 2015 in zwei neue börsen- notierte Unternehmen hervor.