Lange galt Neuseeland als das Musterland in Sachen Umweltbewusstsein schlechthin. Im weit entfernten Inselstaat schien die Koexistenz von Natur und Wohlstandsgesellschaft zu gelingen. Dieser Ruf hat zwar seit einiger Zeit den einen oder anderen Kratzer abbekommen, angesichts extensiver Landwirtschaft und dem neudeutsch "Overtourism" genannten Problem rücksichtsloser Urlaubermassen. Dafür hat man in diesem Jahr Standards gesetzt, was die Pandemie angeht. Im Inselstaat wurde nicht lange gezaudert. Neuseeland hat früh und rigoros die Grenzen geschlossen und die Bewegungsfreiheit der Insulaner stark eingeschränkt. Auf diese Weise brachte die Regierung die Epidemie rasch unter Kontrolle. Die Restriktionen konnten daraufhin früher als erwartet gekippt werden.
Bis Mitte August. Nach fast drei Monaten ohne Corona-Fälle musste das Land wieder positive Tests vermelden. Zwar nur wenige, aber dennoch ging die Millionenstadt Auckland bis zum 30. August erneut in den Lockdown. Eine für viele Beobachter im Ausland übertriebene Reaktion. Aber durchaus auch verständlich, da man in Neuseeland schon geglaubt hatte, das Virus endgültig besiegt zu haben. Jetzt ist man lieber vorsichtig.
Daher wird auch die bislang für den 19. September geplante Parlamentswahl um vier Wochen auf den 17. Oktober verschoben. Damit bekämen alle Parteien Zeit, in den kommenden neun Wochen ihren Wahlkampf "Corona-sicher" zu führen, teilte Premierministerin Jacinda Ardern mit. Zudem bekomme die Wahlkommission mehr Vorbereitungszeit, um die Abstimmung für die Bürger sicher zu gestalten. "Corona wird uns noch einige Zeit begleiten", fügte Ardern hinzu.
Dafür scheint man aber gut vorbereitet. Denn in den Anfangstagen der Pandemie brachte die Regierung von Premierministerin Ardern einen Sonderhaushalt auf den Weg, "Rebuilding Together" genannt. Mit 50 Milliarden Neuseeland-Dollar, das sind ungefähr 27 Milliarden Euro, will man vor allem Arbeits- und Ausbildungsplätze erhalten, um die "Jahrhundertbedrohung", so Finanzminister Grant Robertson, abzuwehren.
Lohn der Mühen: So gut wie keines der OECD-Länder wird nach einer Studie derselben Organisation vor Ende 2021 das Vorkrisenniveau in der Wirtschaftsleistung zurückerlangen. Mit zwei Ausnahmen: China und - tada! - Neuseeland. Andere Institute sind nicht ganz so optimistisch. Der IWF andererseits traut dem Inselstaat im kommenden Jahr nahezu sechs Prozent Wachstum zu - nach voraussichtlich sieben Prozent Minus 2020. Na immerhin.
Lob fürs Fünfmillionenteam
Und tatsächlich zeigen sich seit Beendigung des ersten Lockdowns schon erste Zeichen der Besserung. So lagen etwa die Konsumausgaben schnell wieder auf dem Niveau des Vorjahrs - nachdem sie sich zuvor halbiert hatten. Auch die Zahl der Arbeitslosen verringerte sich. Die Premierministerin dankte ihren Landsleuten dafür. Ihr "Fünfmillionenteam" - also alle Einwohner Neuseelands - habe die Normalität geopfert, um die am stärksten gefährdeten Menschen des Landes zu schützen. Jetzt beginne der Alltag neu: Die Neuseeländer gehen wie früher zur Arbeit und zur Schule, zum Einkaufen, zum Essen in Restaurants, ins Kino, auf den Spielplatz oder in die Bibliothek. Nur die Grenzen bleiben weiterhin geschlossen, um keine neuen Fälle zu importieren. Öffentliche Versammlungen sind zudem auf zehn Teilnehmer beschränkt, und im öffentlichen Nahverkehr gilt eine Maskenpflicht.
Auch die Notenbank von Neuseeland hat zuletzt stark durchgegriffen. Wegen der Wirtschaftsflaute hat sie ihren Leitzins in diesem Jahr schrittweise überraschend stark gesenkt: bis auf das Rekordtief von 0,25 Prozent. Das ist so niedrig wie noch nie in der Geschichte des Landes. Vor den drastischen Schritten war der Leitzins seit November 2016 praktisch eingefroren: bei 1,75 Prozentpunkten. Notenbankchef Adrian Orr will zudem im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mehr Anleihen kaufen. Das Volumen soll um 40 Milliarden auf 100 Milliarden Neuseeland-Dollar steigen, das sind umgerechnet etwa 56 Milliarden Euro. Zudem ist diese Maßnahme bis Juni 2022 verlängert worden. Man sei zudem bereit, die Zinsen weiter zu senken, auch in den negativen Bereich. Auch andere Optionen lägen auf dem Tisch und würden ergriffen, falls notwendig. Dem lange sehr starken Neuseeland-Dollar hat das einen Dämpfer versetzt. Im Vergleich zum US-Dollar sank er auf den tiefsten Stand seit 2016. Was sein Gutes hat, wirkt es doch positiv auf die Exportwirtschaft, weil der schwache "Kiwi" die Ausfuhren des Landes verbilligt.
Sorgen um den Tourismussektor
Was durchaus hilft. Denn trotz der schnellen Aktionen seitens der Politik steht das Land vor der schwierigen Aufgabe, die von Handel und Tourismus abhängige Wirtschaft wieder anzukurbeln. Und dies ist angesichts der noch geschlossenen Grenzen schwierig. Denn der Tourismus ist für die neuseeländische Wirtschaft von besonderer Bedeutung. Mindestens jede zehnte Arbeitsstelle im Land hängt davon ab. Ardern bleibt dennoch optimistisch: "Jetzt können wir uns auch zusammenschließen, um unsere Wirtschaft wieder aufzubauen." An der Börse ist man ebenfalls guter Dinge. Zwar muss man sich derzeit einiger gezielter Hackerangriffe erwehren, die den Handel etwas einschränken, dennoch steht der Leitindex NZX 50 mit drei Prozent Plus seit Jahresanfang recht gut da. In Euro gerechnet sieht es wegen der Schwäche der Landeswährung mit minus drei Prozent etwas schlechter aus.
Der Handelsplatz in der Hauptstadt Wellington ist mit nur 118 notierten Unternehmen klein. Auch die Firmen selbst sind eher im Nebenwertebereich angesiedelt. Gerade einmal ein Dutzend der notierten Unternehmen weisen einen Börsenwert in Milliardenhöhe aus.
Milch, Pflege und ein Flughafen
Einer der wachstumsstärksten und größten Player ist A2 Milk. Das Unternehmen ist auf Milchprodukte ohne das Protein Beta-Casein A1 spezialisiert, wodurch die Milch bekömmlicher wird. Damit ist es nicht nur im Heimatland und in Australien eine Macht. Auch in den USA und China hat man eine gute Marktstellung. Zudem expandiert man jetzt nach Kanada und in weitere asiatische Märkte, etwa nach Südkorea. Mit großem Erfolg: Das Ende Juni abgeschlossene Geschäftsjahr wies ein Umsatzplus von 33 und ein Nettogewinnplus von 34 Prozent auf.
Interessant ist auch der Pflegedienstleister Ryman Healthcare, der das ganze Spektrum abdeckt - von der gelegentlichen bis zur stationären Pflege, sowohl in Neuseeland als auch in Australien. Besonders gut verdient Ryman an den selbst gebauten Apartments. Diese werden von den Bewohnern quasi gekauft, rechtlich gesehen wird aber nur ein Wohnrecht auf Lebenszeit erworben, Eigentümer bleibt Ryman. Endet die Betreuung, wird die Einheit erneut verkauft. Aus dem Wiederverkauf erhalten der frühere Bewohner oder seine Erben mindestens 80 Prozent des Kaufpreises, der Rest ist die Marge von Ryman. Zudem profitiert der in Christchurch ansässige Konzern von gestiegenen Immobilienpreisen. Zuletzt kosteten Zimmer für betreutes Wohnen im Durchschnitt um die 600 000 Neuseeland-Dollar, das entspricht etwa 325 000 Euro.
Spekulativ ist Auckland International Airports. Hier wettet man auf ein Ende des Lockouts für ausländische Besucher. Zwar finden im begrenzten Maße Inlandsflüge statt, doch der Flughafen ist damit kaum ausgelastet. Wer sich hier engagiert, sollte seine Order streng limitieren und ein gutes Nervenkostüm mit sich bringen.