Die Touristen strömen wieder nach Österreich. Viele Destinationen sind im Sommer ausgebucht. Da Fernreisen kaum möglich sind, fahren vor allem deutsche Urlauber in das Nachbarland - zur Freude der dortigen Hotellerie und Gastronomie. Sie wurde in der Covid-19-Krise besonders stark gebeutelt.
Das spürte auch die Volkswirtschaft Austrias. Der Tourismus trägt 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, rund doppelt so viel wie in Deutschland. Dies war einer der Hauptgründe dafür, dass Österreich im vierten Quartal 2020 nach dem erneuten Lockdown mit minus 4,3 Prozent das schwächste Wirtschaftswachstum in Europa aufwies.
Allerdings gab es noch eine andere bedeutende Ursache. Die Österreicher gingen nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 von Juli bis Ende Oktober weniger restriktiv gegen Corona vor als andere EU-Staaten und führten dann eine konjunkturelle Vollbremsung der betroffenen Wirtschaftssektoren durch.
Was tief fällt, kann jedoch auch wieder stark steigen. Von daher rechnet die Europäische Kommission nun mit einer kräftigen Erholung der Wirtschaft Österreichs in diesem Jahr um 3,5 Prozent und 2022 um 4,4 Prozent.
Neben dem wieder aufblühenden Reisesektor gibt es allerdings noch andere Ursachen, warum der Einkaufsmanagerindex von 54 Prozent im Januar auf 66,4 Zähler im Mai gestiegen ist, ein langjähriger Höchststand. Die Österreicher haben in der Pandemie viel gespart. Etwa 280 Milliarden Euro sollen sie auf der hohen Kante haben. Das dürfte den Konsum ankurbeln. Nach dem Einbruch von 9,6 Prozent im Vorjahr wird für dieses Jahr mit einem Plus von 2,4 Prozent beim privaten Konsum gerechnet.
Die österreichischen Autozulieferer profitieren von der schnellen Erholung der Autoindustrie in Deutschland, ihrem wichtigsten Handelspartner. Das Gleiche gilt für die österreichische Chemieindustrie, die ebenfalls viel in das Nachbarland ausführt. Das trägt zum Comeback der Exporte bei, die nach einem Einbruch um fast sieben Prozent in 2020 im laufenden Jahr um fünf Prozent klettern sollen.
Überdies brummt die Bau- und Immobilienbranche. Viele Hotels etwa gestalten ihre Räumlichkeiten um, damit sie sich den veränderten Wünschen der Kunden in der Corona- und Nach-Corona-Zeit anpassen, beispielsweise mit Wellnesszonen. Auch der Wohnimmobiliensektor boomt, was die Nachfrage nach Neubauten erhöht.
Angekurbelt wird Österreichs Konjunktur zudem von Osteuropa. Traditionell ist die Wirtschaft des Landes eng mit Osteuropa verflochten. Rund ein Viertel ihrer Umsätze machen Austrias Firmen mit dieser Region - vor allem mit Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Kroatien und Slowenien.
Diese Länder wurden zum Teil von der Pandemie hart getroffen, inzwischen sind jedoch die Inzidenzen auf ein niedriges Niveau gefallen, weshalb sich die Volkswirtschaften dort erholen. "Seit Jahren gewinnen österreichische Unternehmen Marktanteile im Osten", lobt Wolfgang Matejka, Geschäftsführer der Wiener Vermögensverwaltung Matejka & Partner, die Wettbewerbsfähigkeit und das gute Management der Firmen. Nicht nur die Industrie, sondern auch Banken und Versicherungen sind dort sehr aktiv.
Dieser Vorteil hat sich in der Pandemie aber kurzzeitig als Nachteil für Börsianer erwiesen. Der Wiener Leitindex ATX kam nach dem Crash im Februar und März 2020 lange nicht in Schwung und hinkte den anderen Börsen Europas weit hinterher. Ausländische Anleger, die den ATX dominieren, sahen die Ostausrichtung als Risiko. Zudem investierten sie erst an den großen Börsen Europas und ließen kleine, weniger liquide Märkte wie den Wiener links liegen.
Das änderte sich schlagartig, als ein Impfstoff gefunden wurde und ein Ende der Pandemie in Sichtweite kam. Investoren entdeckten den massiv unterbewerteten ATX und stiegen ein. Deshalb hat der Index den DAX seit Jahresanfang deutlich outperformt.
Trotzdem ist der ATX immer noch vergleichsweise günstig. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2021 liegt bei 17, während es beim DAX 20 beträgt. Noch deutlicher ist der Abstand beim Kurs-Buchwert-Verhältnis mit 1,1 (ATX) zu 1,8 (DAX). Matejka sieht weiteres Potenzial. "Die Bewertungen sind angesichts der zu erwartenden Ergebnisse realistisch und nicht übertrieben von Hoffnung getragen", so der Vermögensverwalter. Hinzu kommt die Ostfantasie. "Die Wiener Börse ist das Einfallstor für Anleger, die in Osteuropa investieren wollen", sagt Matejka.
Zahlreiche Hidden Champions
Auch die Innovationsfähigkeit von mittelständischen Firmen der Alpenrepublik in Nischen wird im Ausland häufig unterschätzt. Österreich hat wie Deutschland seine Hidden Champions. Ein Beispiel dafür ist das oberösterreichische Unternehmen Rosenbauer, das das erste Feuerwehrfahrzeug mit Elektroantrieb entwickelt hat.
Ein weiterer Treiber für den Wiener Leitindex könnten die inländischen Anleger sein. Für den Kursanstieg waren nämlich hauptsächlich Börsianer aus den USA und Europa verantwortlich, während die heimischen Aktionäre vorwiegend an der Seitenlinie standen und noch unterinvestiert sind.
Vielleicht auch deshalb, weil sie die politischen Risiken im Blick haben. Denn in Wien gibt es seit einigen Monaten einen Politikskandal erster Güte. Bundeskanzler Sebastian Kurz steht im Verdacht, seinem Vertrauten Thomas Schmid den Posten als Chef der Staatsholding Österreichische Beteiligungs AG zugeschanzt zu haben. Darüber existieren Chat-Protokolle. In einem Chat schrieb Kurz an Schmid: "Kriegst eh alles, was du willst", versehen mit drei Bussi-Emojis. Schmid antwortete darauf überschwänglich: "Ich bin so glücklich. Ich liebe meinen Kanzler." Zusätzlich ermittelt die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft gegen Kurz und seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli wegen mutmaßlicher Falschaussagen im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Die Politposse könnte zum Sturz der Regierung und zu Neuwahlen führen. Diese Unsicherheit belastet auch den Aktienmarkt.
Nicht alles ist eitel Sonnenschein
Ein weiteres Problem ist die im internationalen Vergleich hohe Körperschaftsteuer. "Seit der letzten Absenkung auf 25 Prozent in 2005 ist die durchschnittliche Körperschaftsteuer in der EU auf 21 Prozent zurückgefallen. Österreich hat in diesem Punkt somit einen Wettbewerbsnachteil", kritisiert Matthias Reith, Analyst für Volkswirtschaft bei der Raiffeisenbank Bank International.
Den sieht er auch durch den ausufernden Behördendschungel als gegeben an. "Die radikale Entrümpelung bürokratischer Hürden und die Verkürzung von Rechtswegen würde mit Sicherheit Geld in Höhe einer substanziellen Steuerreform sparen und wäre eine essenzielle Basis für große Reformvorhaben", sagt Reith.
Das größte Risiko dürfte aber eine heftige vierte Corona-Welle sein, die erneut zur Schließung von Dienstleistungs- und Tourismusbetrieben führen würde. Bleibt sie aus, dürften der ATX und ausgewählte österreichische Aktien weiterhin gute Chancen bieten und ihren Aufwärtstrend fortsetzen.
INVESTOR-INFO
Indizes
ATX übertrifft DAX klar
Der ATX ist seit Jahresbeginn mit plus 26 Prozent deutlich stärker gestiegen als der DAX mit 14 Prozent. Grund waren vor allem Nachholeffekte. Während der DAX sich nach dem Crash im März 2020 schnell erholt hatte, legte der ATX bis zum Herbst 2020 nur geringfügig zu. Mit dem wachsenden Interesse an Substanzaktien, die im ATX vorrangig vertreten sind, kam dieser dann endlich in Schwung.
Xtrackers ATX
Breit diversifiziert
Mit dem ETF von Xtrackers bilden Anleger Österreichs Leitindex ATX mit 20 Bluechips identisch ab. Banken sind mit 30 Prozent Anteil am höchsten im Index gewichtet, der trotz der Rally noch günstig bewertet ist. Es folgen Grundstoffe (17 Prozent) vor Öl und Gas (15 Prozent), Versorger und Immobilien. Der ATX ist breit über viele Sektoren diversifiziert, Techtitel sind aber Mangelware.
Vienna Insurance Group
Gut in Osteuropa positioniert
Mit dem Erwerb des osteuropäischen Versicherungsgeschäfts der niederländischen Aegon hat die Vienna Insurance Group ihre Marktposition im Osten deutlich ausgebaut. Nach Ansicht vieler Branchenbeobachter erfolgte der Zukauf zu einem günstigen Preis. Da der Konkurrenzdruck in dieser Region nicht so hoch ist wie in Österreich oder Westeuropa, sollte sich das mittelfristig positiv auf die Erträge der Wiener Assekuranz auswirken, die schon aktuell günstiger als der Durchschnitt der Branche bewertet ist.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 28,00 Euro
Stoppkurs: 17,30 Euro