Die europäische Energiewende lässt den Stromverbrauch in die Höhe schnellen. Vor allem Erzeuger profitieren. Wer die Favoriten der Branche sind.

Zuletzt herrschte die große Heizungshysterie in Deutschland. Denn wenn es nach Wirtschaftsminister Robert Habeck geht, sollen es demnächst eine halbe Millionen Wärmepumpen sein, die jährlich allein hierzulande neu verbaut werden. Nicht nur, dass eine Wärmepumpe deutlich teurer in der Anschaffung als eine Öl- oder Gasheizung ist, sie verbraucht auch jede Menge Strom. Der Bedarf für eine Wärmepumpe liegt laut Schätzungen im Schnitt bei rund 3200 Kilowattstunden im Jahr, genug, um mit einem Tesla Model S rund 17 300 Kilometer zu fahren. Eine ganz schöne Menge, die zum ohnehin durch die E-Mobilität steigenden Strombedarf noch dazukommt. In einem 2021 für das Bundeswirtschaftsministerium errechneten Szenario erhöht sich die Zahl der installierten Wärmepumpen von rund einer Million 2018 auf 5,5 Millionen im Jahr 2030, wodurch ein zusätzlicher Bedarf von rund 35 Terawattstunden entsteht. 2018 lag der deutschlandweite Strombedarf für Wärmepumpen noch bei nur sieben Terawattstunden. 

Drastischer Anstieg im Verkehrssektor

Der größte Verbrauchsanstieg soll jedoch laut dem vom Fraunhofer-Institut errechneten Szenario der Verkehrssektor sein. Insbesondere die gesteigerte Elektromobilität im Straßenverkehr trägt zum Anstieg mit einem Zuwachs von 68 Terawattstunden bei. Zum Vergleich: Der gesamte Strombedarf der in Deutschland zugelassenen Elektroautos lag 2018 noch bei 0,3 Terawattstunden — ein Terawatt entspricht einer Milliarde Kilowatt. Die Zahl der Elektroautos soll bis zum Jahr 2030 auf 16 Millionen steigen, hinzu kommen noch 2,2 Millionen Plug-in-Hybride. Ende 2022 waren es erst eine Million Fahrzeuge, die mit rein elektrischem Antrieb unterwegs waren, 2018 sogar nur 100 000. Auch der Bedarf für grünen Wasserstoff, der 2018 praktisch nicht vorhanden war, soll rapide steigen und 2030 bereits 20 Terawattstunden betragen. Dabei geht es zum einen um den Einsatz von Wasserstoff als Ersatz für Kohle und Gas in der Stromerzeugung, zum anderen um die Herstellung von Stahl und Ammoniak, die sehr energieintensiv ist und bisher mit fossilen Brennstoffen erfolgt. Insgesamt soll der Stromverbrauch in Deutschland bis 2030 zum Vergleichsjahr 2018 um rund elf Prozent von 595 auf 658 Terawattstunden steigen. Dass der Anstieg nicht höher ausfällt, liegt daran, dass durch Effizienz- und Struktureffekte 51 Terawattstunden bis zum Jahr 2030 eingespart werden können. Auf europäischer Ebene fällt der Anstieg des Stromverbrauchs jedoch deutlich höher aus. Laut der Unternehmensberatung Timera Energy soll sich die Stromnachfrage in Europa bis 2035 gegenüber dem heutigen Stand um bis zu 50 Prozent erhöhen und bis 2050 sogar verdoppeln. 

Analysten sind bei Versorger-Aktien optimistisch

Auch Analysten sehen deshalb Chancen für die europäischen Versorger. Laut Experten von Barclays würden die Aktienkurse vieler europäischer Versorgungsunternehmen nicht die erwarteten Gewinne widerspiegeln. Die Einschätzungen beruhen dabei auf weiter hohen Gas- und Strompreisen. Auch wenn diese inzwischen zwar gefallen sind, liegen die Strompreise auf dem Spotmarkt noch immer dreieinhalb Mal so hoch wie im Zeitraum 2019 bis 2021. Noch dazu kommen die höheren Preise bei vielen Versorgern erst verzögert an, da ein Großteil des produzierten Stroms vorab zu festgelegten Preisen verkauft wird. Auch für die nächsten Jahre werden weiter hohe Preise an der europäischen Strombörse in Leipzig gehandelt. Der Preis für 2025 liegt dabei fast 70 Prozent über der bisherigen langfristigen Durchschnittserwartung der Barclays-Analysten. Vieles spricht dafür, dass die Strompreise weiter hoch bleiben werden. Grund genug, sich die europäischen Versorger genauer anzuschauen. BÖRSE ONLINE hat die börsennotierten europäischen Versorgungsunternehmen mit einer Marktkapitalisierung von über zehn Milliarden Euro und einem Streubesitz von über zehn Prozent nach fünf Kriterien hin verglichen (siehe Tabelle). Im Folgenden werden die Favoriten in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt.

Der italienische Riese

Mit 85 Gigawatt (GW) Stromerzeugungskapazität ist der italienische Versorger Enel der Größte unter den ausgewerteten europäischen Versorgern. Das Unternehmen ist in insgesamt 29 Ländern aktiv, darunter auch in Latein- und Nordamerika. Kürzlich wurde bekannt, dass sich Enel von seinem Geschäft in Peru trennen will, welches für rund drei Milliarden Dollar von China Southern Power Grid International (CSGI) übernommen werden soll. Zukünftig will sich Enel mit Italien, Spanien, Brasilien, Kolumbien, Chile und den USA auf sechs Kernländer konzentrieren. Insgesamt steigerte Enel seine Kapazität im Bereich erneuerbare Energien 2022 um über 5,2 Gigawatt. Bis 2030 sollen 85 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien kommen, bis 2040 sollen es 100 Prozent sein. Mit ­einer für 2023 erwarteten Dividendenrendite von rund sieben Prozent zahlt Enel eine der höchsten Dividenden unter den ausgewerteten Versorgern. Mit einer hohen Dividendenrendite kann auch der französische Energieversorger Engie aufwarten, er hat aber auch eine höhere Verschuldung als die anderen Versorger in dem Vergleich. Der Konzern investiert unter anderem massiv in den Ausbau seiner Offshore-­Windkraftkapazitäten. Vor Kurzem fiel die endgültige Entscheidung, zusammen mit Partnern 2,5 Milliarden Euro in zwei Offshore-­Windparks in Frankreich zu investieren, die nach ihrer Fertigstellung rund 800 000 Menschen mit grünem Strom versorgen werden. Derzeit befinden sich über die Tochter Ocean Winds, an der Engie 50 Prozent hält, 1,5 Gigawatt in Betrieb und über 15 Gigawatt in der Bau- oder Planungsphase, was die Ambitionen Engies in diesem Bereich unterstreicht. Bis 2030 will das Unternehmen 58 Prozent seines erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien decken.


Finnische Atomkraft

Der finnische Versorger Fortum überzeugte mit niedriger Verschuldung, hoher Dividendenrendite und einem niedrigen KGV. Der Strom der Finnen stammt überwiegend aus Wasser- und Atomkraftwerken. Das Unternehmen ist in mehr als zehn Ländern vertreten, zudem gibt es Kooperationen mit Partnern in Deutschland, Skandinavien, Belgien, der Tschechischen Republik und Großbritannien. 2017 wurde Fortum Großaktionär bei Uniper und baute die Beteiligung bis auf 80 Prozent aus, was sich im Nachhinein als unglücklich erwies. Im Zuge des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen drastisch gestiegenen Gaspreise geriet die Tochter in Schief­lage und musste schließlich vom deutschen Staat gerettet werden. Nach einer Kapitalerhöhung kaufte der deutsche Staat alle Anteile Fortums an Uniper für rund eine halbe Milliarde Euro auf, weitaus weniger als Fortum dafür bezahlt hatte. Der Vorsteuerverlust durch das Uniper-Investment betrug fast sechs Milliarden Euro. Auch in der Recycling-Branche ist der Versorger aktiv. Bei Heilbronn eröffnete das Unternehmen jüngst eine Anlage für die Wiederverwertung von Lithium-­Ionen-Batterien. Im neuen Werk sollen jährlich rund 3000 Tonnen Batterien aus Elektroautos verarbeitet werden können.

Wertvoller Spanier

Der spanische Konzern Iberdrola überzeugt mit einer niedrigen Verschuldung und einer attraktiven Dividendenrendite von 4,3 Prozent. Mit einer Kapazität von fast 61 Gigawatt gehört das Unternehmen zu den größten Stromproduzenten Europas. Iberdrola versorgt rund 100 Millionen Menschen mit Strom und verfügt mit 75 Prozent bereits über einen sehr hohen Bestandteil an erneuerbaren Energien im Gesamtportfolio. Bis 2025 will der Versorger über eine Kapazität von 52 Gigawatt aus erneuerbaren Quellen verfügen. Nach Börsenwert handelt es sich mit 76 Milliarden Euro um den wertvollsten Versorger in Europa. Allein von 2023 bis 2025 will Iberdrola 17 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investieren. Bis 2030 soll die installierte Kapazität auf 100 Gigawatt steigen. Der Konzern ist in sieben Ländern aktiv, darunter Spanien, Deutschland und die USA.

Deutschlands grüne Zukunft

Einer der bekanntesten Branchentitel dürfte sicherlich Deutschlands größter Versorger RWE sein. Er baut sein Geschäft mit Strom aus erneuerbaren Energien stetig aus. Vor rund vier Jahren hat sich das Unternehmen auf Stromproduktion, Stromhandel und regenerative Energien fokussiert und ist dadurch optimal für eine Zukunft mit grünem Strom aufgestellt. Bis 2030 will RWE mehr als 50 Milliarden Euro in das Geschäft mit erneuerbaren Energien investieren. Dabei setzt der deutsche Energieriese auf alles, was das grüne Herz höher schlagen lässt. Offshore- und Onshore-Windkraft, Solar- und Wasserkraft gehören zum Portfolio, genauso wie Wasserstoff und Biomasse. Insgesamt will der Konzern seine Erzeugungskapazitäten im Kerngeschäft auf mehr als 50 Gigawatt ausbauen und bereits 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen, acht Jahre vor dem offiziellen Kohleausstieg der Bundesregierung. Besonders stark setzt RWE dabei auf die Offshore-Windkraft. Vor Kurzem nahm der Windpark Kaskasi nördlich der Insel Helgoland offiziell den Regelbetrieb auf. Mit einer Kapazität von 342 Megawatt können die 38 Anlagen über 400 000 Haushalte mit grünem Strom versorgen. Auch RWE konnte zum Teil von den hohen Strompreisen im vergangenen Jahr profitieren. Wegen der im Zuge des Ukraine-Krieges massiv gestiegenen Brennstoffkosten erreichten die Preise an den europäischen Stromgroßhandelsmärkten 2022 neue Rekordmarken. Grundlaststrom wurde am deutschen Spotmarkt mit durchschnittlich 237 Euro je Megawattstunde gehandelt. Der Vorjahreswert hatte bei 97 Euro je Megawattstunde gelegen. Den größten Teil des Stroms verkauften die Essener im Schnitt jedoch auf drei Jahre im Voraus, weshalb die gestiegenen Strompreise erst zeitversetzt beim Unternehmen ankommen werden. Gleichzeitig hatte RWE aber auch mit höheren Kosten für Kohle und Gas zu kämpfen. Die aufgrund der Sanktionen gestoppten Kohlelieferungen aus Russland sorgten etwa dafür, dass dem Konzern ein finanzieller Schaden von 850 Millionen Euro entstand, da der Versorger die weggefallenen Mengen deutlich teurer zukaufen musste. Durch den Ende 2022 eingeführten Energiepreisdeckel gehen RWE ebenfalls Einnahmen verloren, in welcher Höhe, ist allerdings noch unklar. Dass das Ergebnis im vergangenen Jahr dennoch so gut ausfiel, lag daran, dass die Essener neue Anlagen im Bereich der Erneuerbaren in Betrieb genommen hatten und der Wind schlichtweg stärker wehte. RWE ist nicht nur in Europa aktiv. Im vergangenen Jahr wurde das Unternehmen durch die milliardenschwere Übernahme von Con Edison Clean Energy Businesses zum zweitgrößten Betreiber von Solaranlagen in den USA und zum viertgrößten Lieferanten von grünem Strom. In der Bucht von New York will RWE bis Ende des Jahrzehnts gemeinsam mit dem britischen Netzbetreiber National Grid einen Offshore- Windpark errichten und in Betrieb nehmen. Durch die Übernahme zweier Solarentwickler konnte RWE zudem seine Präsenz in Polen und Großbritannien ausbauen.

Österreichische Wasserkraft

Der österreichische Versorger Verbund glänzt mit einer niedrigen Verschuldung, einer hohen Ebit-Marge und einer guten Gewinnentwicklung. Das Unternehmen gilt mit 96 Prozent grünem Strom an der Gesamtkapazität als führend in Europa, was die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen betrifft. Ein Großteil stammt dabei aus Wasserkraftwerken, die für 8,2 Gigawatt der 9,1 Gigawatt Gesamtkapazität stehen. Insgesamt verfügt Verbund über 130 Wasserkraftwerke. Die Stromerzeugung aus Wasserkraft ist dabei nicht so zuverlässig, wie man vielleicht glauben mag. Aufgrund des trockenen Sommers lag die Erzeugung im vergangenen Jahr 14 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt, was sich negativ auf die Ergebnisentwicklung auswirkte. Hohe Stromzukäufe waren erforderlich, um — resultierend aus der dem Unternehmen zufolge jahrelang bewährten Hedging-Strategie — bereits im Vorhinein verkaufte Strom­mengen liefern zu können. Diese Zukäufe mussten marktbedingt zum Teil zu außerordentlich hohen Preisen erfolgen und wirkten sich somit belastend auf das Ergebnis aus. Deutlich positiv auf die Ergebnisentwicklung wirkten sich hingegen die stark gestiegenen Termin- und Spotmarktpreise auf dem Großhandelsmarkt für Strom aus. Der durchschnittlich erzielte Absatzpreis im Bereich der Eigenerzeugung aus Wasserkraft stieg um 60 Euro pro Megawattstunde auf 115 Euro. Bis 2030 will Verbund seine Erzeugungskapazitäten aus Wind und Sonne von derzeit weniger als vier Prozent auf 25 Prozent ausbauen. In Österreich, Deutschland und Rumänien betreibt das Unternehmen bereits einige Windparks. Seit 2021 ist Verbund auch in Spanien aktiv, wo der Konzern Projekte mit einer Kapazität von 3,4 Gigawatt in der Entwicklung hat. In seiner Strategie setzt der Versorger zudem auf Wasserstoff. 2022 kündigte Verbund ein gemeinsames Projekt mit dem Kunststoffhersteller Borealis an, bei dem mithilfe von grünem Wasserstoff unter anderem Düngemittel nachhaltig hergestellt werden sollen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Euro am Sonntag 18/2023. Hier erhalten Sie einen Einblick in das aktuelle Heft.

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Hinweis auf Interessenkonflikte
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