Es gibt Börsenweisheiten, die sind in Stein gemeißelt. "Der Preis ist das, was du bezahlst, der Wert ist das, was du erhältst", zählt dazu. Die Worte stammen von Warren Buffett, dem wohl berühmtesten Value-Investor der Welt. Er plädiert dafür, beim Kauf einer Aktie sorgfältig auf den Preis zu achten und sich nicht verleiten zu lassen, an der Börse zu viel für ein Unternehmen auszugeben. Mehr noch: Für Value-Investoren geht es darum, stets weniger zu zahlen, als ein Konzern tatsächlich wert ist. Buffett soll das so ausgedrückt haben: "Kaufe einen Dollar, aber bezahle dafür nicht mehr als 50 Cent."

Die Strategie des Value Investing wird seit Jahrzehnten verfolgt. Geistiger Vater ist der US-Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Graham. Zusammen mit seinem Schüler David Dodd veröffentlichte er 1934 das Buch "Security Analysis", das als Bibel der Value-Fans gilt.

Das Prinzip erscheint erfolgversprechend: Wer unterbewertete Aktien (Substanztitel) aufzuspüren vermag, wird profitieren, sobald die Masse erkennt, dass der wahre Wert eines Unternehmens viel höher liegt, als der Börsenkurs vermuten lässt. Value-Investoren brauchen also etwas Geduld, haben aber auf lange Sicht die simple Logik auf ihrer Seite, dass ein Unternehmen an der Börse früher oder später fair bewertet wird. Kursgewinne erscheinen damit nur eine Frage der Zeit.

Bekannte Kennzahlen bei der Bestimmung des Werts eines Unternehmens sind das Kurs-Gewinn- oder das Kurs- Buchwert-Verhältnis. Dabei wird der Börsenkurs durch den Gewinn pro Aktie beziehungsweise das Eigenkapital je Aktie geteilt. Value-Aktien liegen bei beiden Kennziffern typischerweise deutlich unter dem Durchschnitt des breiten Markts.

Leidensfähigkeit ausgetestet

Die Geduld, die Value-Investoren nachgesagt wird, wurde in den vergangenen Jahren jedoch auf eine harte Probe gestellt. Denn ihr Anlagestil verfing nicht mehr. In der Hausse kletterten zwar auch Substanzwerte nach oben, oft aber nur im Schneckentempo. Dynamisch aufwärts ging es für andere Werte: für Growth-Aktien, also Papiere von nicht gerade günstigen, dafür aber schnell und vor allem beständig wachsenden Unternehmen. Dazu zählten zuletzt vor allem Aktien aus den Sektoren Technologie und nichtzyklischer Konsum. Besonders viele preiswerte Titel fanden sich dagegen in den Sektoren Finanzen, Immobilien und ganz besonders in der Energiebranche.

Besonders extrem ist es im laufenden Jahr. Während der MSCI World Value Index mit Fokus auf unterbewertete Titel seit Anfang Januar mit sechs Prozent im Minus liegt, steht der MSCI World Growth Index für Wachstumsaktien mit 25 Prozent im Plus. Viel deutlicher kann eine Dominanz nicht ausfallen.

Doch seit einigen Wochen sieht die Welt anders aus. "Es bedurfte lediglich einer Pressemitteilung des amerikanischen Pharmakonzerns Pfizer vom 9. November, um die Zukunftsaussichten für Investoren wiederherzustellen und die bis dahin vorherrschende Betrübtheit zu beseitigen", sagt Patrick Linden, Geschäftsführer Deutschland bei der Gesellschaft Clartan Associés. Die Hoffnung, bald einen Impfstoff gegen Covid-19 nutzen zu können, stimmt die Anleger zuversichtlich. Fast zur gleichen Zeit stand fest, dass Joe Biden neuer US-Präsident werden würde. "So entstanden gleichzeitig zwei Hoffnungen von globaler Bedeutung: wirtschaftliche Erholung und geopolitische Entspannung", meint Linden.

Die beiden Ereignisse trieben alle Aktien an, doch ganz besonders Value-Titel. Die lange geschmähten Unternehmen liefen Wachstumswerten im November deutlich den Rang ab. "Value-Aktien legten im Schnitt um 25 Prozent zu, während Growth-Aktien um zehn Prozent stiegen", berichtet Fernando Luque von der Ratingagentur Morningstar für den europäischen Markt. Auf Einzeltitelebene zeichneten sich dem Experten zufolge besonders Royal Dutch Shell (+33,7 Prozent), Allianz (+30,8 Prozent), BNP Paribas (+43,9 Prozent) und Banco Santander (+47,4 Prozent) aus.

Stimmungswandel

Value-Anhänger wittern nun Morgenluft. "Da scheinbar ein psychologischer Wandel eingesetzt hat, ist es möglich, dass sich die beobachtete Rotation in Richtung Value-Unternehmen fortsetzt und der starke Aufholprozess dieser Positionen an der Börse anhält", sagt Linden. Vor allem Sektoren, die stark von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängen, rücken nun in den Fokus. Unternehmen aus den Sektoren zyklischer Konsum, Finanzwesen und Energie, die bisher unter der Pandemie besonders litten, könnten nun boomen. "Die Zeit wird zeigen, wie lange die valuelastigen Sektoren wiederbelebt werden, aber das Zeitfenster der Gelegenheiten für eine Outperformance von Value-Titeln ist in den kommenden Monaten gewiss geöffnet", sagt Alexander Roose, CIO Fundamental Equity beim Fondsanbieter DPAM.

Die Erwartungen sind groß. Doch die meisten Experten bleiben vorsichtig: Zu oft wurde die Hoffnung auf ein Comeback des Anlagestils in den vergangenen Jahren enttäuscht. So mancher warnt sogar davor, von einem Paradigmenwechsel auszugehen. Der Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle zufolge wird das wirtschaftliche Umfeld auch in Zukunft geprägt sein von niedriger Inflation, niedrigem Wachstum und niedrigen Zinsen. "Unter diesen Bedingungen dürfte sich das traditionelle Value Investing langfristig kaum überdurchschnittlich entwickeln", sagt William Davies, CIO für Europa, den Nahen Osten und Afrika. Von einem überstürzten Engagement in Value-Aktien rät er ausdrücklich ab.

Dass in den vergangenen Wochen eine mehrjährige Outperformance des Value-Stils begonnen hat, erscheint unwahrscheinlich. Trotzdem bietet sich in der aktuellen Lage eine gute Gelegenheit, der Anlagestrategie eine Chance zu geben. Denn die Idee, auf niedrig bewertete Aktien zu setzen und damit prinzipiell gegen den Strom zu schwimmen, hat ihren Charme nicht verloren.

In der Investor-Info unten stellt die Redaktion drei Fonds für verschiedene Regionen vor, die den Value-Stil anwenden und der allgemeinen Schwäche ihrer Art in den vergangenen Jahren teils getrotzt haben. Mit ihnen können sich Anleger dem Thema Substanzaktien guten Gewissens nähern.
 


INVESTOR-INFO

Quantex Global Value Fund

Rund um den Erdball

Weltweit sucht Fondsmanager Peter Frech nach Firmen mit niedrigen Bewertungen. Den Unterschied zwischen dem bezahlten Preis und dem von ihm berechneten fairen Wert einer Aktie sieht er als Sicherheitsmarge, die vor Anlagefehlern schützt. Neben seiner Value-Strategie achtet er insbesondere darauf, psychologische Fallen zu vermeiden. Die 30 bis 40 Titel im Portfolio gewichtet Frech gleich, enthalten sind zum Beispiel der Schweizer Bergbaukonzern Ferrexpo oder der Glücksspielanbieter Kindred aus Malta.

S4A US Long

Günstiges aus Nordamerika

Das Bauchgefühl bei der Geldanlage auszuschließen, ist das Ziel der Frankfurter Vermögensverwaltung Source for Alpha. Wie bei allen Produkten setzt sie beim Management des S4A US Long allein auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Für ihre computergestützten Analysen nutzt Source for Alpha Daten aus der Kapitalmarktforschung. Als unterbewertete US-Aktien hat das System unter anderem Walt Disney, American Express und das Bekleidungsunternehmen Cintas ausgemacht.

Deka Stoxx Eur. Str. Value 20

Stark unterbewertet

Wer preiswert und konzentriert in europäische Substanzaktien investieren will, ist beim Deka Stoxx Europe Strong Value 20 an der richtigen Adresse. Der ETF bildet einen Index ab, der die 20 reinsten Value-Titel des Kontinents enthält. Ermittelt werden diese anhand einer Analyse von sechs fundamentalen Kennzahlen, etwa dem Kurs-Gewinn-Verhältnis und der Dividendenrendite. Kein anderer europäischer Value-Fonds schoss im November steiler in die Höhe.