Was müssen Immobilienbesitzer beachten, um jetzt  keine rechtlichen Nachteile zu erleiden? Steuerexpertin Viktoria Lücke gibt Antworten auf zehn wichtige Fragen

Börse Online: Die  Reform der Grundsteuer ab 2025 sorgt für Verunsicherung. Der Bundesfinanzhof hat nun aber mit zwei Beschlüssen klargemacht, dass Betroffene das neue Recht nicht in jedem Fall hinnehmen müssen. Wie bewerten Sie die Entscheidung der obersten Finanzrichter?

Viktoria Lücke: Die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs (BFH) sind ein starkes Signal an die Grundstückseigentümer. Denn bisher ist es im Rahmen des Bundesmodells der neuen Grundsteuer nicht vorgesehen, dass sie einen Nachweis über einen niedrigeren gemeinen Wert erbringen können. Dies hat in der Vergangenheit oft zu Unmut geführt, da die im Bundesmodell vorgesehene Typisierungen und Pauschalierungen sowie die von Gutachterausschüssen ermittelten Bodenrichtwerte vermehrt in die Kritik geraten waren.

Wie groß sind die Chancen für betroffene Eigentümer, dass eine hohe Bewertung vom Fiskus nach unten korrigiert wird?  

Sind die Grundsteuerwertbescheide noch nicht bestandskräftig — etwa, weil die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist oder Einspruch eingelegt wurde, der bisher nicht abgelehnt worden ist —, kann ein niedriger gemeiner Wert, zum Beispiel durch ein Sachverständigengutachten, nachgewiesen und beim Finanzamt beantragt werden, auf diesem Wertansatz neue Bescheide zu erlassen. Zudem kann wie in den beiden entschiedenen Einzelfällen ein Antrag auf (teilweise) Aussetzung der Vollziehung gestellt werden. 

Werden die Finanzämter hier ab sofort die Beschlüsse des BFH berücksichtigen? 

Es ist bis zu einer Entscheidung des BFH in einem Hauptsacheverfahren nicht damit zu rechnen, dass Finanzämter dem Antrag auf Änderung entsprechen und geänderte Grund­steuerbescheide erlassen werden. 

Nach Auffassung des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Diese ergäben sich daraus, dass Steuerpflichtigen bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren „gemeinen“ Wert nachzuweisen, auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich geregelt habe. Wie soll das in der Praxis umgesetzt werden? 

Ein solcher Nachweis kann nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH gelingen, wenn der vom Finanzamt festgestellte Grundstückswert den nachgewiesenen niedrigeren Wert um mindestens 40 Prozent übersteigt.

 Was bedeutet das konkret für die steuerliche Grundstücksbewertung? 

Wenn der BFH erwartungsgemäß auch im Hauptsacheverfahren an seiner Meinung festhält, wird die Frage, ob ein geänderter Bescheid erlassen wird, maßgeblich davon abhängen, in welchem Umfang der gemeine Wert von dem festgesetzten Grundsteuerwert abweicht. Bei nur geringer Abweichung ist weiterhin nicht damit zu rechnen, dass die Bewertung nach unten korrigiert wird. Bei einer Abweichung von mehr als 40 Prozent könnten die Chancen schon besser sein. 

Wird auch das Bundesfinanzministerium auf die BFH-Entscheidungen reagieren? 

 Es wäre wünschenswert, wenn die Finanzverwaltung hierzu zeitnah eine Verwaltungsanweisung erarbeiten würde, damit mit den eingereichten Anträgen einheitlich verfahren wird. Zudem wird der Gesetzgeber hier nachschärfen müssen und wie in anderen Bewertungsfällen, zum Beispiel Erbschaft- und Schenkungsteuer, den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts auch für Zwecke der Grundsteuer gesetzlich normieren, um künftig eine einheitliche Vorgehensweise für das Bundesmodell zu gewährleisten. Denn schon auf den 1. Januar 2029 sind wieder alle Grundstücke im Bundesmodell neu zu bewerten.

Gibt es Korrekturmöglichkeiten? 

Ist die Einspruchsfrist abgelaufen oder eine Einspruchsentscheidung ergangen, wird der Steuerpflichtige künftig voraussichtlich auch dann die Möglichkeit einer Wertfortschreibung nach Paragraf 222 Absatz 1 Bewertungsgesetz haben, wenn der nachgewiesene gemeine Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, um mindestens 15 000 Euro von dem Wert des letzten Feststellungszeitpunkts abweicht. Auch hier ist damit zu rechnen — zumindest bis eine klare gesetzliche Regelung vorliegt —, dass Finanzämter verlangen, dass der bisher festgestellte Grundsteuerwert um mindestens 40 Prozent über dem nachgewiesenen Wert liegt.

Mit welchen rechtlichen Schritten geht es nach den BFH-Beschlüssen jetzt weiter?

Die obersten Finanzrichter haben sich zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit der neuen Bewertungsvorschriften explizit nicht abschließend geäußert. Gegenstand der beiden entschiedenen Verfahren war zunächst nur die Frage, ob in den beiden Fällen die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren war, wofür begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide genügen. Es ist daher wahrscheinlich, dass im Hauptsache­verfahren die Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Letztlich hat dieses zu entscheiden, ob die neuen Bewertungsvorschriften für das Bundesmodell verfassungskonform sind oder mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sind. 

Gilt das auch für die individuellen Ländermodelle bei der neuen Grundsteuer? 

Auch bei den Ländermodellen werden in der Literatur Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit geäußert, die letztlich vom Bundesverfassungsgericht zu klären sind. Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat kürzlich mit Urteilen vom 11. Juni 2024 entschieden, dass das Landesgrundsteuergesetz vom 4. November 2020 verfassungsgemäß ist (Az. 8 K 2368/ 22 und 8 K 1582/23). Die Revision gegen die Urteile an den Bundesfinanzhof wurde jedoch zugelassen.

Ist die Entscheidung des Bundesfinanzhofs für alle Bundesländer verbindlich?

Die Beschlüsse sind zu den Bewertungsvorschriften des Bundesmodells ergangen und somit zunächst auf Grundstücke anwendbar, die in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern liegen. Da die Bundesländer Sachsen und Saarland ein modifiziertes Bundesmodell umgesetzt haben, sind hier die Beschlüsse auch insoweit relevant.

Viktoria Lücke
RSM Ebner Stolz
Viktoria Lücke

Zur Person: 

Viktoria Lücke ist Steuerberaterin und Fachberaterin für inter­nationales Steuerrecht bei der Kanzlei RSM Ebner Stolz in Köln

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