Die neue Grundsteuer sorgt derzeit für Ärger bei Millionen Immobilieneigentümern. Der Bund der Steuerzahler strebt eine Verfassungsklage an. Präsident Reiner Holznagel erläutert das im Interview.
Börse Online: Erklären Sie uns kurz Ihr soeben vorgestelltes Gutachten. Warum ist das sogenannten Bundesmodell für die Grundsteuer, das in elf Bundesländern eingeführt wurde, verfassungswidrig?
Reiner Holznagel: Dass die Bewertung im Bundesmodell verfassungswidrig ist, haben wir schon im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vorgebracht. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt auch das ausführliche Rechtsgutachten: Prof. Dr. Gregor Kirchhof zeigt in zehn Punkten die Verfassungswidrigkeit des Grundsteuergesetzes des Bundes auf. Ein zentraler Punkt ist, dass die Bodenrichtwerte „systematische Bewertungslücken“ aufweisen. Es ist auch kein Gegenbeweis zulässig. Damit stellt die strikte Anwendung der Bodenrichtwerte einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 des Grundgesetzes dar. Insgesamt hat der Bund eine hochkomplexe Bewertung entwickelt, die im Massenverfahren nur sehr schwer anwendbar ist. Manchmal sind die Parameter wie die Brutto-Grundfläche kompliziert zu ermitteln, andere genutzte Kriterien wie pauschale Nettokaltmieten und der Bodenwert sind realitätsfern und deshalb gleichheitswidrig. Somit belastet das Bundesrecht die vielen Betroffenen – ohne Grund – mit zu aufwendigen Mitwirkungspflichten. Hier werden Grundrechte verletzt! 11 Bundesländer nutzen das Bundesrecht. Die Länder Bayern, Hessen, Niesachsen und Hamburg sind davon nicht betroffen. In Baden-Württemberg gehen wir auch gegen das Grundsteuergesetz vor, weil es aus unserer Sicht ebenfalls gegen die Verfassung verstößt.
In welcher Form wollen Sie gegen die Bescheide klagen?
Aktuell bereiten wir gemeinsam mit Haus & Grund sechs Musterprozesse gegen das Bundesmodell vor – in Baden-Württemberg sind wir schon weiter. Grundsätzlich muss in steuerrechtlichen Fragen jeder betroffene Eigentümer selbst Klage vor dem Finanzamt erheben. Aber: Wir unterstützen den notwendigen juristischen Weg, in dem wir den Rechtsanwalt, der die Klage erstellt und dann vor Gericht vertritt, zur Verfügung stellen und alle in dem Verfahren anfallenden Kosten übernehmen. Die Klageschrift wird sich dabei vor allem auf das Gutachten stützen. Wann genau Klage erhoben werden kann, ist davon abhängig, wann die entsprechenden Finanzämter in den ausgewählten Sachverhalten die Einspruchsentscheidungen erlassen. Allerdings hoffen wir, dass dies in den nächsten Wochen der Fall sein wird. Geklagt wird regelmäßig vor dem Finanzgericht des Bundeslandes, in dem das betreffende Grundstück liegt. Beklagte ist regelmäßig das Finanzamt, das den entsprechenden Grundsteuerwertbescheid erlassen hat.
Wie sollten Betroffene reagieren, die entsprechende Steuerbescheide bereits erhalten haben?
Wenn es die Frist noch zulässt, sollte Einspruch gegen den Bescheid eingelegt werden. Mit unseren Musterverfahren wollen wir höchstrichterlich klären lassen, ob die Regelungen im Bundesmodell verfassungsgemäß sind. Sobald ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof oder vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig ist, können alle anderen Einspruchsverfahren ruhend gestellt werden. Dann kann sich der Eigentümer in seinem Einspruch gegen den Grundsteuerwertbescheid auf unsere Musterverfahren bzw. deren Aktenzeichen berufen – und das Finanzamt muss den Einspruch bis zu einer endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ruhen lassen. Aktuell gibt es erst einzelne Aktenzeichen von Finanzgerichten. Aufgrund dessen kann ein Finanzamt den Einspruch ruhen lassen – dies muss es aber nicht tun. Idealerweise erlässt die Finanzverwaltung alle Bescheide, die nun folgen, vorläufig. Eigentümer müssten dann keinen Einspruch mehr erheben und könnten bis zu einer endgültigen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung warten.
Viele Immobilienbesitzer sind vor allem irritiert, weil die Bescheide keine Rückschlüsse auf die Höhe der Belastung zulassen. Wie sollte man damit umgehen?
Das Gutachten bestätigt auch in diesen Punkten unsere kritische Auffassung. Beispielsweise sind viele Bodenrichtwerte realitätsfern. Es sind nur Richtwerte! Vom Ablauf ist es eine Zumutung, dass man mit dem Wertbescheid keine Vorstellung von der künftigen Grundsteuerbelastung bekommt. Erst zum Ende 2024 erfahren die Eigentümer, wie hoch ihre neue Grundsteuer tatsächlich ausfällt. Die Kommunen haben dann über die Hebesätze entschieden. Für einen Einspruch gegen den Wertbescheid ist es dann aber zu spät. Also müssen jetzt alle Betroffenen Einspruch einlegen! Auch deshalb sollten Bund und Länder schnell handeln. Nachbesserungen am Grundsteuergesetz des Bundes und auch in Baden-Württemberg sind zwingend nötig, um allen Beteiligten Rechtssicherheit zu verschaffen – auch den Kommunen, die aufgrund der jetzt erlassenen Bescheide die Grundsteuer erheben. Es besteht offensichtlich die Gefahr, dass die Kommunen keine Grundsteuer erheben dürfen, wenn das Bundesverfassungsgericht das Grundsteuergesetz für verfassungswidrig erklärt.
Wie aussichtsreich ist ein Einspruch gegen den Steuerbescheid?
Mit unseren Musterverfahren versuchen wir so schnell wie möglich vor das Bundesverfassungsgericht zu kommen. Mit dem Gutachten bzw. den verfassungsrechtlichen Einschätzungen von Prof. Kirchhof sehen wir uns hier auf gutem Wege. Wir wollen damit den Eigentümern viel Arbeit in eigener Sache ersparen und das Verfahren insgesamt schnell erledigen. Weil aber die Länder, die das Bundesmodel anwenden, nicht bereit waren, alle Bescheide vorläufig ergehen zu lassen, muss derzeit jeder einzelne Eigentümer gegen jeden Wertbescheid in den entsprechenden Bundesländern Einspruch einlegen. Derzeit bearbeiten die Finanzämter die Einsprüche kaum.
Sollte er dennoch abgewiesen werden, muss man vor das Finanzgericht gehen. Wir hoffen aber, dass wir mit unseren Musterverfahren schneller sind und den Eigentümern dieser Prozess erspart bleibt. In der Sache ist es aber klar: Trotz Einspruch und Klage wird die Grundsteuer zum 1. Januar 2025 aufgrund der momentan erlassenen Bescheide neu erhoben. Eine mögliche neue Berechnung wird und kann erst dann erfolgen, wenn das Bundesverfassungsgericht zur Bewertung der Grundsteuer geurteilt hat oder die Länder selbstständig neue Grundsteuergesetze erlassen. Die Bundesländer Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen weisen hier den Weg, sie haben eigenständige Modelle. Zudem sind die notwendigen Daten vorhanden. Es geht also, wenn man politisch will.
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