Fraunhofer-Präsident Holger Hanselka über unterschätzte deutsche Stärken bei Innovation und KI – und das Problem, aus Ideen Geschäfte zu machen
€uro: Wo steht Deutschland heute beim Thema Innovation?
Professor Holger Hanselka: Die Rankings zeigen ein differenziertes Bild. Unter den großen Industrieländern nimmt Deutschland Platz 2 ein, einzelne Regionen in Deutschland sind unter den Top 4 weltweit und gelten als Innovations-Leuchttürme. Wir sind nach wie vor in einigen Branchen Weltspitze. Aber die Zeit, in der weltweit Güter mit dem Siegel „Made in Germany“ einfach zu verkaufen waren, sind vorbei.
Liegt unsere Stärke zu sehr in traditionellen Industrien wie dem Autobau?
Nicht unbedingt. Zum Beispiel in der Chiptechnologie: Maschinen von Trumpf, Zeiss und ASML sind weltweit führend — und Zeiss ist über 175 Jahre alt. Diese Unternehmen haben sich kontinuierlich neu erfunden. Wir verlieren jedoch dort, wo uns Regulierungen einschränken.
Was wäre da ein Beispiel?
Die Biotechnologie: Wenn es um bestimmte biotechnische Verfahren wie die Genschere oder Genmanipulation geht, haben wir uns in Deutschland und Europa ethische Werte und Standards gesetzt. Grundsätzlich ist das gut. Aber diese Standards hindern uns daran, bestimmte Dinge zu tun, die in anderen Ländern stattfinden. Dorthin gehen dann auch der wissenschaftliche Nachwuchs und die Industrie. Ähnlich bei der IT: Der erste Zuse-Rechner stand ja bei uns. Aber die Skalierung in der Software, wie sie Microsoft beim Betriebssystem oder den Office-Anwendungen gelungen ist, haben wir zum Beispiel verschlafen.
Trübe Aussichten.
Nein, das stimmt nicht. Bei der Software ist das Geschäft mit dem Endkunden (B2C) für Deutschland und Europa zwar hoffnungslos verloren. Geht es aber um Technologie-Software (B2B), etwa darum, Maschinen oder Anlagen zu steuern, spielen wir in der Spitze mit. Deutschland ist auch bei Patenten in Europa führend, insbesondere in den Ingenieurswissenschaften. (...)
Wie bewerten Sie die Lage der deutschen Autohersteller?
Grundsätzlich ist Mobilität ein Grundbedürfnis der Menschheit, insbesondere auch die individuelle Mobilität, die in unseren Demokratien einen hohen Stellenwert hat. Allein das macht mich für den Automobilbau optimistisch. In einer alternden Gesellschaft wie der unseren wächst zudem der Bedarf an Medizintechnik und Gesundheitstechnologien. Auch Robotik, Automatisierung und Industrie 4.0 sind wichtige Zukunftsfelder, ebenso wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz (KI) und nachhaltige Ernährungstechnologien. Was die Autoindustrie betrifft, so dominieren weltweit nach wie vor Verbrennungsmotoren, und hier liegt die technologische Stärke weiter bei Deutschland und den Japanern. Die Chinesen haben jedoch einen strategisch klugen Weg gewählt: Sie haben den Fokus auf Elektromobilität und Batterietechnologie gelegt. Hier sind sie uns in der Produktion voraus, während wir in der Forschung weiterhin führen. (...)
Wie sehen Sie die zweite deutsche Paradebranche Maschinenbau?
Der deutsche Maschinenbau ist nach wie vor noch wettbewerbsfähig, aber es gibt Herausforderungen, beispielsweise der Fachkräftemangel, Digitalisierung und Industrie 4.0 sowie Unsicherheiten in der Rohstoffversorgung. Wir brauchen daher die Robotik und Automatisierung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, wir müssen Digitalisierungsrückstände aufholen und auf systemische Ansätze setzen, etwa: digitale Zwillinge, künstliche Intelligenz und die Kombinationen von virtueller und realer Welt. Hier sehe ich große Chancen für den deutschen Maschinenbau, zumal wir auch bei KI-Patenten ganz vorn mit dabei sind. (...)
Deutschland hat ein Energieproblem, insbesondere wegen der hohen Kosten. Kann die Forschung Hoffnung machen?
Deutschland war immer ein Energie Importland und wird das auch bleiben. Zwar können und müssen wir aus Klimaschutzgründen einen Teil unseres Energiebedarfs durch erneuerbare Energien decken, insbesondere für Strom. Aber Strom macht nur einen kleinen Teil des Gesamtenergiebedarfs aus. Vor einigen Jahren lag der Anteil etwa bei 20 Prozent, den Rest steuerten vor allem fossile Brennstoffe bei. Zwar können wir irgendwann 100 Prozent unseres Stroms erneuerbar erzeugen, doch das löst nur einen Teil des Problems. Es ist wichtig, ehrlich zu bleiben und zu überlegen, woher der Rest kommt — insbesondere, da fossile Ressourcen endlich sind und wir sie langfristig auch aus Klimaschutzgründen nicht nutzen wollen.
Und was wäre Ihr Lösungsansatz?
(...) Lesen Sie das komplette mehrseitige Interview, das Chefredakteur Frank Mertgen mit Professor Holger Hanselka führte, in der neuen Ausgabe von €uro. Professor Hanselka ist deutscher Maschinenbauingenieur und Universitätsprofessor. Seit August 2023 ist er der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. Zuvor war er von Oktober 2013 bis August 2023 Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie.
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