Der Wirtschaftsindikator ist im September deutlich eingeknickt. Die Volkswirte bleiben aber zuversichtlich, dass die Notenbanken die Inflation in den Griff bekommen. Von Wolfgang Ehrensberger

Nach einer kurzen Phase des Durchatmens im August trüben sich derzeit die wirtschaftlichen Perspektiven für den restlichen Jahresverlauf weiter ein. Das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag, eine monatliche Exklusiv-Umfrage unter führenden deutschen Volkswirten, ist im September deutlich eingeknickt. Der Indikator für die aktuelle wirtschaftliche Lage ging demnach um 13 Prozent auf 33 Punkte zurück. Die Prognose für die kommenden zwölf Monate büßte sogar fast 17 Prozent auf 22 Punkte ein. Derart niedrige Werte hatte das Barometer zuletzt während des Corona- Ausbruchs im Frühjahr 2020 erreicht.

Doch das Szenario ist diesmal anders, wie Allianz-Chefvolkswirt Ludovic Subran anmerkt: „Während die deutsche Wirtschaft in der Corona-Krise quasi über Nacht tief in den Konjunkturkeller gefallen ist und sich dann doch recht zügig wieder erholt hat, frisst sich die jetzige Krise eher langsam in die Wirtschaft, dafür aber wohl nachhaltiger.“ Hohe Inflation, steigende Zinsen und geopolitische Unsicherheit dürften für anhalten- den konjunkturellen Gegenwind sorgen. Nach Angaben des Branchenverbands VCI ist allein in der Chemiebranche die Produktion seit Jahresbeginn um zehn Prozent gesunken.

Fast 64 Prozent der im Ökonomen-Barometer befragten Experten rechnen damit, dass die deutsche Inflationsrate im Herbst die Zehn-Prozent-Marke überschreiten wird (August: 7,9 Prozent). Immerhin 59 Prozent trauen es der Europäischen Zentralbank (EZB) zu, das Inflationsproblem mit kräftigen Zinsschritten zumindest mittelfristig in den Griff zu bekommen. In vielen Statements der Volkswirte wird jedoch die Einschätzung vertreten, dass die EZB selbst mit signifikanten Zinshebungen kurzfristig am starken Anstieg der Inflation kaum noch etwas ändern kann.

Barometer

15 Prozent Wohlstand weg

Wichtig sei vielmehr der Signaleffekt einer starken Zinsanhebung, um die Inflationserwartungen zu dämpfen und die Glaubwürdigkeit der Währungshüter wiederherzustellen. Lars Krömer, Chefvolkswirt des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, rechnet dennoch für die deutsche Volkswirtschaft mit einem kurzfristigen Wohlstandsverlust von rund 15 Prozent. „Dieser Verlust muss verteilt werden“, lautet Krömers Schlussfolgerung.

Das führt zu einer weiteren Frage an die Ökonomen. Denn historisch betrachtet, haben plötzliche und erhebliche Kaufkraftverluste oftmals gesellschaftliche Unruhen verursacht. Immerhin 61 Prozent der Volkswirte sehen die hohen Inflationsraten als „potenzielle Gefahr für den sozialen Frieden in Deutschland“.

"Soziale Verwerfungen"

Die Experten sind in dieser Frage gespalten. Einige wie Georg Götz von der Uni Gießen rechnen „unzweifelhaft mit sozialen Verwerfungen“. Andere vertrauen darauf, „dass die Bevölkerung die Gründe für die Inflation richtig einschätzen kann“ (Volker Hofmann, Bundesverband deutscher Banken).

Zudem solle man die aktuelle Inflationsentwicklung in Deutschland und Europa nicht mit früheren Situationen vergleichen. „Die Stagflation der 1970er-Jahre hat auch nicht zu gesellschaftlichen Unruhen geführt.“ Friedrich Heinemann vom ZEW verweist darauf, dass bislang „die Kompensationen großzügig sind“. Dies sei keine Gemengelage, aus der soziale Unruhen entstünden.

Dieser Text erschien zuerst in Euro am Sonntag 26/2022. Werfen Sie hier einen Blick ins Heft.