Gazprom hat am Wochenende angekündigt, vorerst kein Gas mehr durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland schicken zu wollen. Dieser erneute Stopp russischer Gaslieferungen lässt den Gaspreis an der Terminbörse explodieren. Zeitweise springt der Natural-Gas-Future TTF um über 30 Prozent und steuert wieder auf das Rekordhoch zu.

Der russische Staatskonzern Gazprom hat am Freitagabend angekündigt, kein Gas mehr durch Nord Stream 1 zu leiten. Ein technischer Defekt in der Kompressor-Station Portowaja müsse erst behoben werden, bevor wieder Gas nach Deutschland fließen könne. Angeblich gebe es ein Ölleck.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow machte die europäische Sanktionspolitik für den Lieferstopp verantwortlich. "Wenn die Europäer eine absolut absurde Entscheidung treffen, wonach sie sich weigern, ihre Anlagen zu warten, oder besser gesagt, Anlagen, die Gazprom gehören, dann ist das nicht die Schuld von Gazprom, sondern die Schuld der Politiker, die Entscheidungen über Sanktionen getroffen haben", sagte er in der im Staatsfernsehen ausgestrahlten Sendung "Moskau. Kreml. Putin.", wie die Nachrichtenagentur Interfax am Sonntag meldete.

Siemens Energy steht bereit

Siemens Energy, Hersteller der angeblich defekten Turbine, teilte auf Anfrage mit, dass die Service-Techniker einsatzbereit und immer für Gazprom erreichbar seien. Es gebe aber keinen konkreten Reparaturauftrag von Gazprom. Eine nach Angaben von Siemens Energy reparierte und einsatzbereite Turbine für Nord Stream 1 steht zudem weiter in Mülheim an der Ruhr und wartet auf den Transport.

"Putins Russland ist vertragsbrüchig geworden", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag bei der Vorstellung des dritten Entlastungspakets der Ampel-Koalition. Russland sei kein zuverlässiger Energie-Lieferant mehr. Deutschland sei darauf aber vorbereitet. "Wir werden durch diesen Winter kommen."

Deutsche Gasspeicher zu 85 Prozent gefüllt

Tatsächlich geht die Einspeicherung von Gas in Deutschland ungeachtet des Gas-Lieferstopps durch die Pipeline Nord Stream 1 weiter. Inzwischen ist bei den Füllständen der Speicher die Marke von 85 Prozent überschritten, wie das Bundeswirtschaftsministerium am Sonntag auf Twitter mitteilte.

Ohnehin erhält Deutschland inzwischen deutlich mehr Gas aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden, als vor dem Lieferstopp aus Russland kam. Trotzdem ist unklar, ob sich das nächste Speicherziel ohne Nord-Stream-Gas erreichen lässt.

Der Geschäftsführer des Branchenverbandes Initiative Energien Speichern (INES), Sebastian Bleschke, hatte zwar bereits Freitagabend angekündigt, dass die Speicher weiter befüllt werden. "Sollte der komplette Ausfall russischer Gastransporte sich bis in den November fortsetzen, wird ein Erreichen des 95-Prozent-Ziels allerdings große Anstrengungen erfordern", sagte er.

Gaspreis springt wieder nach oben

Am Rohstoffmarkt wird offenbar daran gezweifelt. Der Gaspreis (Natural Gas TTF) springt am Montag-Morgen zeitweilig um mehr als 30 Prozent auf etwa 285 Euro je Megawattstunde. Zuletzt notierte TTF-Gas noch bei 279 Euro. Am Freitag war der Preis noch auf den tiefsten Stand seit Mitte August bis auf 203 Euro gefallen. Im Frühjahr 2021 waren noch Kubikmeter-Preise von etwa 20 Euro normal.

TradingEconomics
Preis für Natural Gas TTF (in Euro je Megawattstunde)

Die Bundesnetzagentur schrieb in ihrem Lagebericht am Sonntag, dass die Gasversorgung in Deutschland weiter stabil sei, betonte gleichzeitig aber erneut die Bedeutung eines sparsamen Gasverbrauchs. In der ersten, etwas kälteren Septemberwoche hätten die privaten Verbraucher ihren Gasverbrauch leicht gesteigert, sagte Agenturchef Klaus Müller der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Offenbar sei noch nicht allen klar, dass man zum Gassparen die Einstellungen der Heizung ändern müsse. "Ob es im Winter ohne Rationierungen klappt, können wir alle beeinflussen: Es steht und fällt mit dem Verhalten der privaten Haushalte."

Die erneute Gaspreis-Explosion verschreckt auch viele kurzfristig orientierte Aktienanleger. Der DAX steht am Montag-Vormittag gut drei Prozent unter Freitagsschluss bei nun 12.640 Punkten. Eine rasche Lösung der Energiekrise sei nicht in Sicht, warnte Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade, gegenüber Reuters. Daher drohe Europa ein wirtschaftliches Desaster.