Die Maßnahmen der Bundesregierung, die explodierten Gaspreise zu bändigen, sorgen zwar für eine gewisse Entspannung am Gas-Markt. Gestrichene Gasumlage, reduzierte Mehrwertsteuer und Gaspreisdeckel beruhigen auch die Verbraucher. Doch die Bundesnetzagentur warnt nun vor einer Gas-Notlage, wenn der Gasverbrauch in Deutschland nicht deutlich reduziert wird.

Der Preis für europäisches Erdgas ist merklich gefallen. Der für Deutschland maßgebliche Future auf Natural Gas (TTF) rutschte am Dienstag unter die Marke von 160 Euro pro Megawattstunde. Damit liegt er so tief wie zuletzt Ende Juli (siehe Chart). Am heutigen Donnerstag schwankt der Gaspreis bei knapp 170 Euro.

Dennoch bleibt der Preis für Erdgas historisch hoch. Die anhaltende Energiekrise infolge des russischen Krieges in der Ukraine und der ausbleibenden Lieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 hatte den Preis kurzzeitig über die 300-Euro-Marke getrieben. Im September wurden dann durchschnittlich 191 Euro pro Megawattstunde Gas im Großhandel fällig. Im September 2021 waren es nach Berechnungen des Vergleichsportals Check24 jedoch im Schnitt nur 62 Euro. Selbst Anfang Juni 2022 kostete Gas an der Terminbörse nur halb so viel wie aktuell.

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Gaspreis in Euro je Megawattstunde (Natural Gas TTF)

Gas-Notlage im Winter wahrscheinlich, wenn...

Der Rückgang der Gaspreise vom Rekordhoch sorgt bei den Verbrauchern offenbar für Sorglosigkeit. Die Haushalte in Deutschland haben nämlich trotz der Energie-Krise in der vergangenen Woche mehr Gas verbraucht. Haushalte und Gewerbe in der Bundesrepublik hätten in der vergangenen Woche im Mittel 618 Gigawattstunden verbraucht, teilte die Bundesnetzagentur am Donnerstag mit. Dies liege deutlich über dem auf vier Jahre berechneten Wochen-Durchschnitt in vergleichbarem Zeitraum von 564 Gigawattstunden.

Nun warnt der Chef des Bundesnetzagentur, Klaus Müller: "Die Lage kann sehr ernst werden, wenn wir unseren Gasverbrauch nicht deutlich reduzieren." Ohne erhebliche Einsparungen auch im privaten Bereich werde es schwer, eine Gas-Mangellage im Winter zu vermeiden, hatte der Regulierer bereits gewarnt. "Wir werden eine Gasnotlage im Winter ohne mindestens 20 Prozent Einsparungen im privaten, gewerblichen und industriellen Bereich kaum vermeiden können", sagte Müller nun laut Agentur Reuters.

Deutschlands Gasspeicher sind zwar bereits zu 93 Prozent gefüllt. Allerdings hat sich das Tempo der Auffüllung in den vergangenen Wochen verlangsamt, unter anderem durch die komplett eingestellten Lieferungen über die inzwischen bei mutmaßlichen Sabotage-Akten beschädigte Pipeline Nord Stream 1. Auch ein voller Speicherstand dürfte nicht ausreichen, um Deutschland ohne Einsparungen bis über den Winter hinaus zu versorgen, vor allem, falls der Winter kalt wird.

Habeck beklagt "Mondpreise"

Erdgas kommt nun vor allem aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland. Dabei hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einigen Lieferstaaten überhöhte Preise vorgeworfen. "Einige Länder, auch befreundete, erzielen teils Mondpreise. Das bringt natürlich Probleme mit sich, über die wir sprechen müssen", sagte Habeck der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Er setze darauf, dass die EU-Kommission darüber auch mit den befreundeten Staaten spreche.

Der Grünen-Politiker nannte in diesem Zusammenhang die Vereinigten Staaten. "Die USA haben sich an uns gewandt, als die Ölpreise hochgeschossen sind, daraufhin wurden auch in Europa die nationalen Ölreserven angezapft. Ich denke, eine solche Solidarität wäre auch zur Dämpfung der Gaspreise gut", sagte Habeck mit Blick auf die Regierung in Washington.

Die EU sollte nach Ansicht des Ministers "ihre Marktmacht bündeln und ein kluges und synchronisiertes Einkaufsverhalten der EU-Staaten orchestrieren, damit sich einzelne EU-Länder nicht gegenseitig überbieten und die Weltmarktpreise hochtreiben". Die europäische Marktmacht sei "gewaltig" und müsse nur genutzt werden.

Gaspreisbremse wird Preise nicht deutlich drücken

Die geplante Gaspreisbremse soll die Verbraucher entlasten. Allerdings wird sie Habeck zufolge beim oberen Fünftel des Verbrauchs nicht greifen. Die oberen Spitzen würden mit Sicherheit nicht gedeckelt, sagte der Grünen-Politiker am Freitag im Deutschlandfunk. "Für die oberen 20 Prozent des normalen Verbrauchs wird man sicherlich die volle Rechnung bezahlen müssen." Klar sei zudem, dass auch die übrige Menge nicht auf Tarife von vor dem Ukraine-Krieg verbilligt werden kann. "Und zwar sehr lange Zeit nicht."

Die auch von der EU gewollte Gaspreisbremse ist ein wichtiger Bestandteil des "Abwehrschirms" zur Entlastung von Haushalten und Unternehmen. Ähnlich wie bei der Strompreis-Bremse sollen auch bei Gas mindestens für einen Teil des Verbrauchs die Gaspreise auf ein Niveau gebracht werden, damit private Haushalte und Unternehmen nicht überfordert sind. Was das genau bedeutet, ist aber noch offen. Eine Kommission soll bis Mitte Oktober Vorschläge machen. Der Bundesregierung ist wichtig, dass trotzdem ein Anreiz zum Gassparen bleibt.

Experte warnt vor Folgen eines EU-Gaspreis-Deckels

Derweil hat ein Energieexperte davor gewarnt, den Preis von Gas in der EU zu deckeln. "Es wird nicht einfach sein, an den Energiemärkten herumzuspielen", sagte Simone Tagliapietra von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel heute der Deutschen Presse-Agentur. Als ein Risiko nannte er, dass Lieferanten ihr Gas woanders hinschicken könnten. So konsumiere etwa China zurzeit wenig Gas, auch wegen der strengen Corona-Beschränkungen dort. Doch es sei unklar, ob das im kommenden Jahr so bleibe. "Wir müssen stark mit ihnen konkurrieren, um LNG zu bekommen", sagte Tagliapietra zu Flüssiggas-Lieferungen, mit denen die EU russisches Gas ersetzen will.

Der Bruegel-Experte mahnt jedoch: "Die grundlegenden Probleme bleiben immer die gleichen." Der Gasverbrauch steige – egal wie man den Gasdeckel ausgestalte. Grundsätzlich sei es notwendig, weniger Gas zu verbrauchen und so den Preis zu senken, so Tagliapietra.

Entlastung verhindert nicht die Verdreifachung der Gas-Abrechnung

Mit der Streichung der Gasumlage und der Mehrwertsteuer-Senkung für Gas ab Oktober von 19 auf 7 Prozent sinkt zwar die Belastung der Verbraucher. Doch die extrem gestiegenen Gaspreise werden erst mit den Nebenkosten-Rechnungen bei den Bürgern ankommen. Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas bedeutet nach Berechnungen des Vergleichsportals Verivox für eine Musterfamilie mit einem Gasverbrauch von 20.000 Kilowattstunden im Jahr eine jährliche Entlastung von 366 Euro. Das Vergleichsportal Check24 kommt wegen anderer Berechnungsgrundlagen bei diesem Verbrauch auf eine Entlastung von 306 Euro jährlich.

Dennoch dürfte die Belastung der Haushalte im Vergleich mit früheren Jahren immer noch mindestens bei einer Verdreifachung der Kosten für Gas liegen. Jede privat gesparte Kilowattstunde verringert allerdings die künftige Rechnung.

Von den gut 43 Millionen Wohnungen in Deutschland wird knapp die Hälfte mit Gas beheizt. Rund 14 Prozent der Haushalte nutzen Fernwärme. Insgesamt nimmt der Staat nach Rechnung des Finanzministeriums durch die Steuersenkung bis zum Ende der Maßnahme in 2024 rund 13 Milliarden Euro weniger ein. Allerdings bleibt beim Staat immer noch ein einstelliges Milliarden-Mehreinnahmen-Plus pro Jahr.