INTERVIEW: Für Wirtschaftswissenschaftler Thorsten Polleit ist der nächste große Zinssenkungszyklus bereits Fakt – mit guten Aussichten für Edelmetalle, Aktien, Anleihen, Immobilien und andere Sachwerte.

Erstmals in der Geschichte der Menschheit hat der Goldpreis in der vergangenen Woche die Marke von 2500 US-Dollar pro Feinunze (31,1 Gramm) erreicht. Über die Hintergründe und die weiteren Aussichten sprachen wir mit dem promovierten Ökonomen Thorsten Polleit, Honorarprofessor an der Universität Bayreuth und als Herausgeber von „Dr. Polleits Boom & Bust Report“ ein ausgewiesener Edelmetall- und Anlageexperte. 

BÖRSE ONLINE: Herr Polleit, wer sind die Käufer, die den Goldpreis treiben?

THORSTEN POLLEIT: Vor allem Zentralbanken aus Schwellenländern bauen stetig Bestände auf. Die BRICS-Staaten — Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika — und andere nichtwestliche Länder wehren sich dagegen, dass die USA den Dollar als Druckmittel einsetzen. Das Einfrieren der russischen Währungsreserven, auch in der EU, hat das Misstrauen in Teilen der Welt noch verstärkt. US-Dollar und Euro werden nicht mehr als sichere Häfen gesehen. Mit höheren Goldreserven soll die Abhängigkeit von einem Weltwährungssystem verringert werden, das vom US-Dollar dominiert wird.

China allerdings hat seine Goldkäufe im zweiten Quartal zurückgefahren. Springen dafür andere in die Bresche?

Soweit die Transaktionen überhaupt transparent gemacht werden, wurde die Nachfrage zuletzt tatsächlich von anderen Staaten getrieben. Die größten Goldreserven etwa hat Russland angehäuft. Allerdings muss man einschränken, dass wir oft nicht wissen, wer die Käufer und Verkäufer sind. Denn ein großer Teil des Handels zwischen den Staaten läuft über die Bank for International Settlements. Das ist, wenn man so will, die Hausbank der Zentralbanken, die nicht offenlegen muss, wer hinter den Transaktionen steckt. Davon abgesehen sind Notenbanken nur eine von mehreren Käufergruppen, keinesfalls aber der alleinige Treiber.

Wer sind die anderen?

Vermögende Privatanleger, aber auch institutionelle Investoren heizen die Nachfrage zusätzlich an. Angesichts der zahlreichen geopolitischen Krisenherde ist das keine Überraschung. Der Trend zu verstärkten Käufen von Zentralbanken und Sicherheit suchenden Anlegern dürfte sich fortsetzen, wenn sich die Welt weiter entzweit. Zudem stehen wir bereits unmittelbar vor dem nächsten großen Zinssenkungszyklus.

So schnell? Die Notenbanken haben dem Markt zuletzt doch massiv Geld entzogen. 

Das haben sie tatsächlich getan, mit der Konsequenz, dass es zeitverzögert zu disinflationären Tendenzen kommen wird. Je näher sich die Inflationsrate dem Zwei-Prozent-Ziel annähert, desto lockerer wird die Geldpolitik. Die Zinsen sinken ja bereits — außer in Japan, das ist ein Sonderfall. Aber die EZB hat, ebenso wie die Schweizerische Nationalbank und die Bank of England, bereits die Zinswende nach unten eingeleitet. Die USA werden wahrscheinlich im September nachziehen. Die geldpolitischen Schleusen öffnen sich nach einer kurzen Ruhepause wieder.

Gold-Experte: "Wir haben es mit großen Krisen zu tun"

Warum?

Weil Politiker und Notenbanker schon bei kleinsten Anzeichen einer Krise das Geldmengenwachstum als das geringste Übel ansehen. Wir haben es mit großen Krisen zu tun, daher spreche ich bewusst von einem großen Zinssenkungszyklus.

Mit entsprechend positiven Auswirkungen auf den Goldpreis?

Nicht nur das. Von der Geldschwemme werden nahezu alle Anlageklassen profitieren, ob Anleihen, Immobilien oder andere Sachwerte. Und — für Ihre Leser sicher besonders interessant — auch Aktionäre werden sich über Kursgewinne freuen können.

Wo liegt Ihr Kursziel für den Goldpreis?

Ob Sie es mir glauben oder nicht, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Kurzfristig ist nach dem jüngsten Anstieg eine Korrektur nicht unwahrscheinlich. Langfristig ist der Trend aber absolut intakt, da spricht alles für Gold. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Goldpreis stets mindestens im gleichen Maß gestiegen, in dem die Notenbanken die Geldmenge ausgeweitet haben, also etwa um acht bis neun Prozent pro Jahr. Gut möglich, dass wir mit der Zinswende nach unten sogar einen etwas stärkeren Anstieg sehen. 2800 Dollar je Feinunze sind auf Sicht von zwölf Monaten nicht aus der Welt. 

Thorsten Polleit (56) gilt als einer der prominentesten Kritiker des Papiergeldsystems und der Schuldenpolitik der EU. Er lehrt seit 2014 als Honorarprofessor an der Uni Bayreuth und ist Präsident des deutschen Ludwig-von-Mises-Instituts. Nach Stationen bei ABN Amro und Barclays war er von 2012 bis 2023 Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel.

Übrigens: Dieser Artikel erschien zuerst in der neuen Print-Ausgabe von BÖRSE ONLINE. Die finden Sie hier

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