FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Talfahrt der Bayer-Aktie hat sich am Donnerstag mit einem Tief seit mehr als zwei Dekaden fortgesetzt. Immer noch ziehen sich Anleger aus den Papieren zurück, nachdem der Agrarchemie- und Pharmahersteller vor etwas mehr als einer Woche die Jahresziele gesenkt und vor allem mit vorsichtigen Äußerungen zum Agrargeschäft im kommenden Jahr enttäuscht hatte. Weitere Analysten senkten ihre Schätzungen und revidierten ihre Kursziele, wie aktuell die Schweizer Großbank UBS.

Direkt zum Handelsstart sackte das Bayer-Papier um knapp drei Prozent auf unter 19 Euro ab. Auf diesem Niveau wurde es zuletzt im Herbst 2003 gehandelt. Zur Mittagszeit erholte sich die Aktie zwar wieder etwas, gab aber immer noch um ein Prozent auf 19,35 Euro nach.

Bayer, vor der Übernahme des US-Glyphosatherstellers Monsanto 2018 eines der Aushängeschilder der deutschen Wirtschaft, kommt aus den Negativ-Schlagzeilen nicht heraus. "Während die Rechtsstreitigkeiten in Sachen Glyphosat immer noch nicht vollständig ausgeräumt sind, läuft es auch im operativen Geschäft bei den Leverkusenern maximal durchwachsen", hatte Marktstratege Konstantin Oldenburger vom Broker CMC Markets zur Veröffentlichung der Resultate des dritten Quartals der Leverkusener in der vergangenen Woche geschrieben.

Unverändert bereitet der Agrarbereich dem Management die größten Sorgen und brockte dem Dax -Unternehmen im dritten Quartal einen Milliardenverlust ein. Vor allem in Lateinamerika lief das Geschäft nicht gut. Sonderabschreibungen wurden nötig und weitere könnten laut Oldenburger in den kommenden Jahren folgen, sofern es düster rund um Glyphosat bleibt. "Zudem ist der hohe Schuldenberg von rund 35 Milliarden Euro eine schwere Hypothek."

Wenn ein Unternehmen am Boden liegt, so wie derzeit Bayer, sind für Anleger eigentlich die Chancen auf einen Investmenterfolg am größten. Doch das kann auch ein gefährliches Spiel sein. Bayer jedenfalls müsse in den kommenden Monaten nach den Worten des CMC-Marktexperten "alle Optionen durchspielen, um den Aktionären eine Perspektive zu bieten und an ein Comeback glauben zu können".

Dass die Wende schon einmal geschafft wurde und Bayer das Ruder herumreißen konnte, bewies das Unternehmen wenige Jahre nach der Jahrtausendwende. Damals war es der Lipobay-Skandal gewesen, der Bayer an den Rand der Existenz brachte. Im August 2001 wurde der Cholesterin-Senker und damit der Verkaufsschlager der Pharmasparte vom Markt genommen. Das Mittel stand im Verdacht, Todesfälle auszulösen. Das löste eine Welle von Schadenersatzklagen aus, vor allem in den USA. Sie lähmten den Konzern, so wie aktuell die Glyphosat-Klagen, über mehrere Jahre.

Die Aktie fiel zwischen August 2001 bis Frühjahr 2003 von um die 50 Euro auf ein Rekordtief von 9,80 Euro. Werner Wenning, der 2002 den Chefposten bei dem schwer angeschlagenen Konzern übernahm, reagierte schließlich mit einem umfassenden Umbau und der Streichung Tausender Stellen. Unter anderem spaltete Wenning das Chemiegeschäft ab und brachte es unter dem Namen Lanxess im Jahr 2005 an die Börse. Zudem wurde die Pharmasparte zusammengestrichen und im Jahr 2006 das Pharmaunternehmen Schering gekauft.

Die erhoffte Erholung gelang. Das Anlegervertrauen kehrte zurück und trieb die Aktie im Jahr 2015 schließlich bei etwas unter 150 Euro auf Rekordhoch. 2016 übernahm Werner Baumann das Ruder bei den Leverkusenern. Sein großer Traum: Bayer mit der mehr als 60 Milliarden Dollar schweren Übernahme von Monsanto noch größer zu machen. Mit Unterstützung des damaligen Aufsichtsratschefs Wenning boxte Baumann den Deal gegen den Widerstand vieler Investoren durch.

2018 wurde der Kauf abgeschlossen. Kurz darauf, im August desselben Jahres, folgte die erste Niederlage in einem US-Prozess um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter. Sie setzte eine Klagewelle in Gang, die schon Milliarden gekostet hat. Das Drama nahm seinen Lauf.

Seit dieser Niederlage hat die Bayer-Aktie rund vier Fünftel an Wert verloren. Seit dem Rekordhoch 2015 sind es fast 90 Prozent Minus. Damit ist der Konzern an der Börse nur noch etwas mehr als 19 Milliarden Euro wert. Zum Vergleich: 2015 war Bayer mit einer Marktkapitalisierung von rund 120 Milliarden Euro noch der wertvollste Konzern Deutschlands gewesen.

Bislang warten Anleger und Analysten weiterhin einen Befreiungsschlag von den Altlasten und für eine überzeugende Zukunftsausrichtung. Richten soll es seit Juni 2023 der US-Amerikaner Bill Anderson. Er verschlankt die Verwaltung aktuell radikal, um die Kosten zu senken und Bayer agiler zu machen. Zudem zielt er durch mehr Lobby-Arbeit in den USA auf Gesetzesänderungen ab, um beim Thema Glyphosat voranzukommen.

Entscheidend dürfte aber vor allem werden, ob das oberste US-Gericht - wie von Bayer erhofft - einen Glyphosatfall annimmt und dann eine Grundsatzentscheidung trifft. Hintergrund sind unterschiedliche Urteile untergeordneter Gericht zur Frage, ob Bundesrecht zu Warnhinweisen beim Verkauf von Unkrautvernichtern über dem Recht von Bundesstaaten steht. Sollte das Gericht dann zugunsten von Bayer urteilen, wäre die Sache wohl weitgehend vom Tisch. All das wird aber noch lange dauern./ck/mis/nas

Quelle: dpa-Afx