NEW YORK (dpa-AFX) - Der Corona-Pandemie zum Trotz wird die Wall Street auch das turbulente Jahr 2020 mit Gewinnen beenden. Getragen wurde sie 2020 aber nicht etwa von sprudelnden Unternehmensgewinnen. Vor allem Billionen von US-Dollar der Notenbank und Regierung stabilisierten die Wirtschaft in der Krise. Die anhaltend hohen Corona-Infektionszahlen schrecken Investoren dabei schon länger nicht mehr. Ein Rekord jagt den nächsten, die Aktienbewertungen haben teils schwindelerregende Höhen erreicht. Die Wette lautet: 2021 wird angesichts der begonnenen Corona-Impfungen alles besser, Normalität kehrt zurück - auch in die Politik unter dem gewählten US-Präsidenten Joe Biden.
"Keine Zinsen, aber dafür unglaublich viel Geld, das einen Anlagehafen sucht. Garniert mit sehr optimistischen Anlegern", begründet Daniel Saurenz von Feingold Research die jüngste Rally. Sie trieb den Dow Jones Industrial erstmals in seiner Geschichte über die Marke von 30 000 Punkten. Das bedeutet ein Plus von mehr als sechs Prozent für 2020. Seit dem Corona-Börsencrash, der den Dow bis auf fast 18 200 Punkte im März sacken ließ, summieren sich die Gewinne auf rund zwei Drittel.
Der breiter gefasste S&P 500 Index bringt es 2020 bislang auf ein Plus von rund 15 Prozent. Und: Die Marktstrategen vieler Banken trauen dem Index - der hierzulande vielleicht nicht ganz so bekannt ist wie der Dow Jones, die US-Wirtschaft aber viel besser abbildet - im neuen Jahr weitere Gewinne zu. Im Mittel erwarten sie für das Börsenbarometer bis Ende 2021 ein Plus von rund sieben Prozent auf 4000 Punkte.
Besonders optimistisch ist dabei der Chefstratege für den US-Aktienmarkt der Bank JPMorgan, Dubravko Lakos-Bujas. Investoren sitzen laut dem Experten schlicht auf sehr viel Geld, das den Weg in den Aktienmarkt suchen dürfte. Er kalkuliert mit Zuflüssen von einer Billion Dollar, getrieben von großen Fonds, aber auch Kleinanlegern, Aktienrückkäufen durch die Unternehmen sowie Umschichtungen aus anderen Anlageklassen.
Zwar dürfte das globale Wirtschaftswachstum gerade Anfang 2021 noch unter dem langfristigen Trend liegen, dann aber Fahrt aufnehmen und bis Jahresende zur stärksten Erholung in einer Dekade führen, begründet Lakos-Bujas sein Jahresendziel für den S&P 500 von 4400 Punkten. Das wäre ein Plus von 18 Prozent. Voraussetzung sei, dass die Corona-Impfstoffe den erhofften Erfolg im Kampf gegen die Pandemie brächten. Gleichzeitig werde die US-Notenbank Fed die Wirtschaft und die Märkte mit ihren Geldspritzen weiterhin unterstützen.
Auch das internationale Handelsumfeld könnte sich im neuen Jahr verbessern, nachdem die Präsidentschaft von Donald Trump stark von dessen Handelskriegen gegen China und die Europäische Union (EU) geprägt war. Mark Haefele, der Chefanlagestratege der Vermögensverwaltung der Schweizer Großbank UBS, spricht denn auch nicht nur mit Blick auf den Weg aus der Corona-Pandemie von einem "Jahr der Erneuerung".
Unter Biden werde die Regierung einen neuen Ansatz in der Außenpolitik suchen, der vor allem das Verhältnis zu Europa verbessern dürfte. An der geopolitischen Rivalität mit China dürfte sich zwar auch unter Biden nichts ändern, allerdings werde die neue US-Regierung wohl weniger auf Schutzzölle als außenpolitisches Instrument zurückgreifen, schätzt Haefele. Die dadurch geringeren Spannungen im internationalen Handel sollten die Erholung der Wirtschaft ebenfalls fördern.
Vor diesem Hintergrund setzt Haefele mit Blick auf Aktien insbesondere auf Zykliker wie etwa die Industriebranche. Der Technologiesektor dürfte zwar weiterhin von langfristigen Wachstumsthemen wie digitaler Werbung, Online-Handel, Cloud-Computing und 5G-Mobilfunktechnik profitieren. Allerdings hätten die Aktienkurse hier bereits sehr stark zugelegt und andere Wirtschaftsbereiche dürften ein stärkeres Gewinnwachstum sehen. Zudem könnten gerade die großen Tech-Konzerne verstärkt in den Fokus der Wettbewerbshüter rücken, wenngleich entsprechende Verfahren wohl Jahre dauern würden.
Die US-Strategen der Bank Morgan Stanley blicken ebenfalls optimistisch auf die Unternehmensgewinne. Das Bild sei völlig anders also noch Ende 2019. Die Weltwirtschaft befinde sich nicht mehr in einer späten Phase des Konjunkturzyklus, sondern wieder in einer frühen, erklärt Experte Andrew Sheets. Das impliziere ein starkes Gewinnwachstum der Unternehmen, was nach wie vor nicht komplett in die Aktienkurse eingepreist sei.
Mit Blick auf US-Unternehmen dürfte eine Erholung der Umsätze und bessere Margen die Gewinne antreiben, glaubt der Morgan-Stanley-Chef-Aktienstratege für die USA, Mike Wilson. Wenn man nun noch weitere staatliche Konjunkturprogramme und die Wiedereröffnungen vieler Unternehmen nach dem Lockdown einbeziehe, könne das zu einem überraschend rasanten Gewinnwachstum führen. Wilson traut dem S&P-500-Index daher einen weiterhin guten Lauf zu, allerdings ohne, dass die Bäume in den Himmel wachsen. Er sieht ihn Ende 2021 bei 3900 Punkten.
Ein kräftiges Gewinnwachstum - nicht nur 2021 - braucht der Aktienmarkt denn auch, um seinen Weg nach oben fortsetzen zu können. Zu diesem Schluss kommen die Strategen Sophie Huynh und Charles de Boissezon von der französischen Großbank Societe Generale. Denn: Vor allem die Geldflut der Zentralbanken, allen voran die der US-Notenbank Fed, habe die Aktienmarktrally der vergangenen Jahre angetrieben. Ohne die massiven Geldspritzen der Fed stünde der S&P 500 wohl unter 2000 Punkten, rechnen die Experten vor. Da die Fed mittelfristig weniger eingreifen könnte, dürften auch die Zinsen sowie die Inflationserwartungen anziehen. Da dies wiederum auf den Risikoaufschlägen für Aktien lasten werde, müssten steigende Unternehmensgewinne für einen Ausgleich sorgen./mis/tav/jha/
--- Von Michael Schilling, dpa-AFX ---
Quelle: dpa-Afx