LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Der Bayer-Konzern
DAS IST LOS BEI BAYER:
Nach einem schwierigen Jahr 2020 haben sich die Perspektiven für Bayer zuletzt deutlich aufgehellt. Vor allem die starke Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten wie Mais und Soja dürfte das Agrargeschäft antreiben. Die Landwirte in den für Bayer wichtigen Märkten Nord- und Südamerikas greifen dann eher zu teureren Saatgut-Varianten. Zudem steigt der Anreiz, mehr Geld für Pflanzenschutzmittel und Unkrautvernichter auszugeben.
Bayer-Chef Werner Baumann äußerte sich bei der Hauptversammlung Ende April optimistisch mit Blick auf die Geschäftsentwicklung. "Es zeichnet sich aber ab, dass wir erfolgreich ins Jahr gestartet sind. Gerade im Agrargeschäft sehen wir ein Marktumfeld, das uns zunehmend positiv stimmt." Details soll es am 12. Mai bei der Vorlage der Zahlen zum ersten Quartal geben.
Schnell kommt Bayer zudem bei der Integration des US-Saatgutkonzerns Monsanto voran. "Wir gehen davon aus, dass wir alle Synergien aus dem Zusammenschluss bis zum Jahresende 2021 erreichen werden - ein Jahr früher als ursprünglich geplant", hatte Baumann im März dem "Handelsblatt" gesagt. Die Einsparungen im Zuge der Integration sind auch wichtig, um zumindest einen Teil des Gegenwinds durch die schwachen Währungen Lateinamerikas auszugleichen, die auf das Umsatzwachstum im Agrargeschäft drücken.
Negativ nachwirken könnte noch die verspätete Verlängerung der Genehmigung für den Unkrautvernichter Dicamba durch die US-Umweltbehörde EPA spät im vergangenen Jahr. Durch die Unsicherheit vor der Genehmigung dürften nicht wenige Landwirte Sojasaat vorbestellt haben, die mit anderen Unkrautvernichtern kompatibel ist. Das könnte Bayer in der Pflanzsaison Anfang 2021 Marktanteile gekostet haben, weshalb der Fokus der Investoren nun auf den Perspektiven liegt.
Und die sind laut Bayer positiv. Ko nzern-Manager Baumann strebt im Agrargeschäft ab 2022 ein Wachstum über dem des Marktes an. Rückenwind sollen in den kommenden Jahren zahlreiche Produkteinführungen liefern, darunter mehrere hundert neue Sorten Mais, Soja und Gemüse. Große Hoffnung ruht zudem auf kurzwüchsigem Mais, der weniger windanfällig ist, und auf Sojabohnen mit einer Toleranz gegenüber gleich fünf verschiedenen Unkrautvernichtern.
Im ebenso wichtigen Pharmageschäft haben die Leverkusener zuletzt viel Geld in die Hand genommen, um die für die kommenden Jahre erwarteten Umsatzeinbußen bei den Kassenschlagern Xarelto und Eylea abzufedern. Denn nach und nach laufen die Patente für den Gerinnungshemmer und das Augenmedikament aus, die 2020 in Summe fast sieben Milliarden Euro und damit knapp 17 Prozent des Konzernumsatzes einbrachten.
Bei Xarelto fällt das Patent in diesem Jahr in China weg, in anderen Märkten wie Europa und den USA hat Bayer noch einige Jahre länger Schutz vor Konkurrenz durch Nachahmerprodukte. Analysten und Investoren blicken daher auf ein Verfahren Chinas zum Einkauf von Medikamenten, in das Xarelto im Jahresverlauf eingeschlossen werden dürfte. Medikamentenhersteller gewähren im Zuge dieses Programms hohe Rabatte, um den Zuschlag zu bekommen und sich zumindest einen Teil der frühere Umsätze zu sichern. Bayer hatte etwa in der Vergangenheit den Preis für das Diabetesmittel Glucobay deutlich gesenkt.
Um das Wachstum der Pharmasparte mittel- bis langfristig anzukurbeln, investiert Bayer stark in das Geschäft mit Gen- und Zelltherapien. Dabei stechen der Kauf des US-Biotechnologieunternehmens Bluerock Therapeutics 2019 und die Übernahme des US-Unternehmens Asklepios BioPharmaceutical im Herbst 2020 besonders hervor.
Neben der operativen Entwicklung bleiben die Rechtsstreitigkeiten um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter eine wichtige Baustelle. Am 19. Mai steht eine richtungweisende Anhörung zu einem neuen Vorschlag zum Umgang mit potenziellen künftigen Klagen an.
Sollte Richter Vince Chhabria zustimmen - was durchaus einige Tage oder Wochen dauern kann -, könnte Bayer perspektivisch den Großteil der US-Rechtsstreitigkeiten abhaken, die sich der Konzern mit der rund 63 Milliarden Dollar teuren Übernahme von Monsanto an Bord geholt hatte. Eine teure Angelegenheit: Das Paket kostet die Leverkusener insgesamt bis zu rund 11,6 Milliarden Dollar.
DAS SAGEN ANALYSTEN
Die Stimmung der von der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX erfassten Experten hat sich zuletzt aufgehellt. Von den 19 Analysten raten elf zum Kauf der Papiere, sieben sagen "Halten" und nur einer rät, sich von den Aktien zu trennen. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei knapp 63,50 Euro und damit rund 9 Euro über dem aktuellen Kursniveau.
Für Keyur Parekh von der US-Bank Goldman Sachs liegt der Fokus auf Äußerungen zur aktuellen Geschäftsdynamik bei Mais- und Sojasaatgut. Auf der einen Seite stünden die Belastungen durch die verspätete Dicamba-Genehmigung sowie negative Wechselkurseffekte in Südamerika, auf der andere Seite stünden die guten Umsatzperspektiven in den USA und Südamerika angesichts des starken Anstiegs der Agrarpreise.
Für das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten verweist Parekh mit Blick auf die Zahlen zum ersten Quartal auf eher hohe Vorjahreswerte, da sich viele Menschen zu Beginn der Corona-Pandemie ihre Medikamentenschränke aufgefüllt hätten. Andere Experten verweisen zudem auf die in diesem Winter eher schwach verlaufene Erkältungs- und Grippewelle.
Für das Pharmageschäft sind Parekh und sein Kollege Richard Vosser von der US-Bank JPMorgan zuversichtlich, was die Verkäufe der Kassenschlager Xarelto und Eylea angeht. Derweil dürften zum Jahresstart weiterhin die Folgen des neuen chinesischen Verfahrens zum Medikamenteneinkauf auf die dortigen Erlöse etwa mit Diabetesmittel Glucobay gedrückt haben.
Der größte Optimist unter den von dpa-AFX erfassten Analysten ist derzeit Michael Leuchten von der schweizerischen Großbank UBS. Bei einem Kursziel von 85 Euro rät er zum Kauf der Aktie. Sollte Bayer das Thema Glyphosat nach und nach unter Kontrolle bekommen und die Aktie damit wieder für mehr Investoren interessant werden, implizierten die Geschäftsaussichten einen deutlich höheren Kurs als derzeit, argumentiert der Experte. Die im März vorgestellten mittelfristigen Konzernziele lägen deutlich über den mittleren Markterwartungen, und zumindest für das Agrargeschäft habe Bayer beim Kapitalmarkttag überzeugende Argumente geliefert. Für das Pharmageschäft habe das Management das Gleiche versucht. Ob Investoren aber an eine rasche Erholung von den Folgen des Patent-Endes von Xarelto glaubten, müsse sich noch zeigen.
Jean-Jacques Le Fur vom Investmenthaus Bryan Garnier sieht diesen Punkt kritisch. Der Konzernausblick für 2024 sei zweifelsohne solide, doch für das Pharmasegment nur schwer zu glauben. Bayer argumentiere mit Blick auf das Auslaufen der Xarelto-Patente, dass die Umsatzeinbußen in Europa und den Schwellenländern geringer ausfallen sollten als in den USA. Allerdings beziehe sich das Management dabei auf Erfahrungen mit alten Medikamenten - und das Marktumfeld habe sich seither verändert. Der Preisdruck habe zugenommen, und Generika kämen schneller auf den Markt. Und auch das Potenzial neuer Medikamente wie Nubeqa und Finerenon sei noch schwer einzuschätzen. Zudem habe Bayer 2018 positive mittelfristige Ziele für 2022 ausgegeben, die nun bei Weitem nicht erreicht würden.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Dass das Thema Glyphosat nicht vom Tisch ist, spiegelt sich auch im Aktienkurs. Dieser hatte sich zwar gegen Ende 2020 im Sog der allgemeinen Impfstoff- und Biden-Rally an den Aktienmärkten vom Neunjahrestief um die 40 Euro herum erholt. Anders als dem Gesamtmarkt ging ihm Anfang des Jahres dann aber schon wieder der Schwung aus. Der Bayer-Kurs pendelt seither zwischen rund 50 und etwa 55 Euro. Die verbesserten Perspektiven für das Agrargeschäft und der nachlassende Druck der Corona-Pandemie auf das Arzneigeschäft gingen bislang also weitgehend unter.
Der Abwärtstrend seit 2015, der durch die Niederlagen in den Glyphosat-Prozessen ab Mitte 2018 noch befeuert wurde, ist damit trotz der jüngsten Kursstabilisierung noch lange nicht durchbrochen. Dazu müsste das Papier aus charttechnischer Sicht wohl zunächst den Bereich um die 60 Euro nachhaltig knacken. Weitere größere Hürden auf dem Weg nach oben würden dann um die 80 Euro und bei etwa 86 Euro warten.
Seit dem ersten Glyphosat-Urteil gegen Bayer im August 2018 beläuft sich das Kursminus immer noch auf mehr als 40 Prozent, von dem im Frühjahr 2015 erreichten Rekordhoch von 146,45 Euro aus gerechnet ging es sogar um mehr als 60 Prozent abwärts. Selbst wenn man die seither gezahlten Dividenden einrechnet, ist das Minus größer als 50 Prozent. Der deutsche Leitindex ist in diesem Zeitraum um rund ein Viertel gestiegen.
Immerhin hat es Bayer mit der jüngsten Kurserholung in Sachen Börsenwert wieder ins obere Mittelfeld des Dax geschafft. Derzeit bringen die Leverkusener knapp 53 Milliarden Euro auf die Börsenwaage, was Platz zwölf im Leitindex bedeutet.
Im April 2015 auf Rekord-Kursniveau hatten sie mit einer Marktkapitalisierung von rund 120 Milliarden Euro noch den Spitzenplatz im deutschen Leitindex innegehabt. Damals konnte nur Volkswagen (VW)
Quelle: dpa-Afx