BONN (dpa-AFX) - Weil Briefe viel zu spät oder gar nicht ankommen, wenden sich immer mehr Bürger an die Bundesnetzagentur. Im Oktober seien rund 9700 Beschwerden eingegangen und damit fast doppelt so viele wie im September (5000), teilte die Bonner Regulierungsbehörde auf dpa-Anfrage mit. Im bisherigen Jahresverlauf seien es schon mehr als 30 000 Beschwerden gewesen. Auch das ist eine Verdopplung, im ganzen Vorjahr waren es 15 000 gewesen. "Der Trend steigender Beschwerden hält nach wie vor an", so die Netzagentur. Die Post spricht von "lokalen Problemen" und begründet diese mit einem hohen Covid-Krankenstand und einem angespannten Arbeitsmarkt.
Die Beschwerdemöglichkeit bezieht sich auf alle deutschen Paket- und Briefdienstleister. In diesem Jahr geht es in den meisten Wortmeldungen um Mängel bei der Briefzustellung bei der Deutschen Post. Der Marktführer befördert jeden Monat in Deutschland etwa 1,2 Milliarden Briefe - der Anteil der Beschwerden ist also minimal. Allerdings dürfte die Dunkelziffer hoch sein - viele Bürger schlucken ihren Ärger wohl runter, er wird also nirgendwo aktenkundig.
Einige Verbraucher haben sich auch an Bundestagsabgeordnete gewandt, solche Schreiben liegen dpa vor. Darin beklagt sich zum Beispiel ein Saarländer, dass er seit Wochen keine Post bekommen habe - und das in einer Zeit, wo er wegen eines Todesfalls in der Familie auf die Post angewiesen sei und Rechnungen, Behördenschreiben, Bankenbriefe und Schriftsätze zu Erbschaftsangelegenheiten erwarte. "Es klingt harmlos, wenn ich behaupte, seit drei Wochen keine Post zu bekommen - ist es aber nicht."
In einer anonymen Wortmeldung, bei der sich der Autor als "Angestellter Post" bezeichnet, heißt es, dass Corona ein vorgeschobener Grund sei. Tatsächlich sei der Personaleinsatz aus Kostengründen viel zu knapp geplant gewesen, so der Kritiker. Den Vorwurf, dass Corona als Begründung nicht ziehe, weist die Post zurück. Im Juli 2021 habe man 100 Covid-Ausfälle gehabt und im Juli 2022 6800 - die Pandemiefolgen seien hart für das Unternehmen.
Als Reaktion auf die Oktober-Beschwerdezahlen sagt ein Post-Sprecher, der Anstieg komme "nach der bundesweiten Berichterstattung in den letzten Wochen nicht überraschend". Bereits in der Vergangenheit habe es einen Zusammenhang gegeben mit dem Anstieg der Beschwerdezahlen und der medialen Berichterstattung. "Die vielen Presseberichte haben dafür gesorgt, den Bekanntheitsgrad der Bundesnetzagentur als Beschwerdeinstanz noch einmal zu erhöhen." Soll heißen: Menschen, die schon früher Probleme hatten, melden sich erst jetzt in Bonn, da sie vorher nichts von der Beschwerdemöglichkeit wussten.
Ihren gesetzlichen Pflichten, im bundesweiten Schnitt mindestens 80 Prozent der Briefe am nächsten Werktag zuzustellen und mindestens 95 Prozent am übernächsten, kommt die Post nach eigener Darstellung weiter nach. Von einem flächendeckenden Problem, so der Konzern, könne keine Rede sein. Das mag stimmen, allerdings ist so ein Bundesdurchschnitt für Menschen, die in einem betroffenen Postbezirk wohnen, wenig hilfreich - sie haben schlichtweg Pech. Laut Post gibt es Beeinträchtigungen in 100 der gut 5000 Zustellbezirke, dort fehlten bis zu 30 Prozent des Personals. Dies sei etwa in Berlin, in Süddeutschland und generell in Ballungszentren der Fall.
Und wie geht es weiter? Der Logistiker betont, dass er personell aufrüste und betrieblich wirksam gegensteuere. In den zurückliegenden Wochen habe man 3000 neue Zustellerinnen und Zusteller eingestellt. Im deutschen Brief- und Paketbereich sind rund 200 000 Menschen für die Post tätig.
In der vergangenen Woche habe sich die Situation "weiter entspannt", sagt der Firmensprecher. Allerdings hatte es schon Mitte September ein Signal der Besserung von der Post gegeben - damals hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass die betriebliche Lage "aktuell wieder stabil" sei. Im selben Monat und im darauffolgenden Oktober zogen die Beschwerdezahlen über fehlende oder verspätete Briefe stark an.
"Es wird immer schlimmer", sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben. "Vielleicht müssen wir die Weihnachtsgrüße dieses Jahr schon sehr früh verschicken." Er fordert die Post zu entschlossenen Maßnahmen auf, damit das Problem entschärft werde.
Die Netzagentur ist zwar eine Anlaufstelle für Kritik, viel machen kann sie aber nicht. Bei einer lokalen Häufung von Beschwerden leitet sie sogenannte Anlassprüfungen ein, die eine Art schriftliche Ermahnung sind. 62 solcher Anlassprüfungen sind es 2022 bisher, im ganzen Jahr 2021 waren es 16.
Der Chef der Netzagentur, Klaus Müller, hatte unlängst gefordert, seiner Behörde Sanktionsmöglichkeiten einzuräumen und den Druck auf die Post dadurch zu erhöhen. Dies könnte in der anstehenden Postgesetz-Reform geregelt werden.
Der Liberale Houben und der CSU-Bundestagsabgeordnete Hansjörg Durz werten den Vorstoß des ehemaligen Grünenpolitikers Müller positiv. Die Forderung sei "absolut berechtigt", sagt der Christsoziale. "Im Briefbereich hat die Behörde derzeit lediglich ein einziges scharfes Sanktionsinstrument: Sie kann einem Dienstleister die Lizenz für das Anbieten von Postdienstleistungen in Deutschland entziehen." Ein abgestuftes Sanktionsregime mit Bußgeldern existiere nicht - "und das ist unzeitgemäß", sagt der Oppositionspolitiker. "Wir brauchen im Postbereich schnellstmöglich Bußgelder, die die Unternehmen im Zweifelsfall empfindlich treffen."
Die Post wiederum argumentiert, dass Sanktionen in solchen "herausfordernden Situationen" nicht helfen würden.
Die Briefquerelen kommen für die Post zur Unzeit. Zum einen, weil mit dem anstehenden Weihnachtsgeschäft das Sendungsnetz für Pakete und Briefe noch stärker beansprucht werden wird, als es ohnehin schon ist. Zum anderen, weil die Bundespolitik sich allmählich daran macht, das völlig veraltete Postgesetz zu novellieren. Der ehemalige Staatsmonopolist hofft auf Regeln, die bisherige Pflichten als Universaldienstleister etwas abschwächen und das Geschäft erleichtern könnten. Nun aber werden Forderungen laut, die Post härter an die Kandare zu nehmen. "Anstatt sich hübsch zu machen, steht die Post jetzt im ziemlich schlechten Licht da", resümiert der FDP-Abgeordnete Houben./wdw/DP/he
Quelle: dpa-Afx