STUTTGART (dpa-AFX) - Mitten in der Corona-Pandemie dreht Daimler -Chef Ola Källenius beim schwäbischen Traditionskonzern das ganz große Rad: Pkw und Lkw werden getrennt und sollen nach des Schweden Vorstellung künftig unabhängig voneinander arbeiten. Die Investoren jubelten - seit Jahren war die Aufspaltung ihr großer Traum. Doch Källenius geht mit dem Großvorhaben in der Covid-Wirtschaftskrise auch ein gehöriges Risiko ein. Gut, dass die Geschäfte zuletzt wieder deutlich anzogen. Was Daimler rund um die Vorlage der finalen Jahreszahlen an diesem Donnerstag (18. Februar) umtreibt, was Analysten sagen und wie die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI DAIMLER:

Källenius scheint bei seinem ersten Großvorhaben nach Amtsantritt, nämlich den Kostensenkungen, schon einmal deutlich voranzukommen. Im Tagesgeschäft konnte Daimler mit der Erholung im zweiten Halbjahr wieder überzeugen - zumindest im Vergleich mit den in der Krise nicht gerade euphorischen Erwartungen. Der Schwede hatte schon vor Corona die seiner Meinung nach zu hohen Kosten insbesondere bei Mercedes-Benz angemahnt, in der Pandemie traten die Stuttgarter dann sogar noch einmal stärker auf die Bremse bei den Ausgaben.

"Daimler kann mehr", hatte Källenius nach der schwachen Entwicklung nicht nur im ersten Corona-Halbjahr 2020 auf der Hauptversammlung versprochen - und auch Wort gehalten. Das vorläufige Ergebnis vor Zinsen und Steuern lag 2020 bei rund 6,6 Milliarden Euro, deutlich über dem zuletzt erwarteten Wert auf dem Vorjahresniveau von 4,3 Milliarden Euro. Dass es mehr als im Vorjahr war, lag vor allem an den hohen Sonderkosten 2019 - Källenius hatte nach seinem Amtsantritt im Mai des Jahres mehrfach Gewinnwarnungen ausgegeben, weil Dieselaltlasten, Produktionsprobleme und der US-chinesische Handelsstreit die ursprünglichen Pläne durchkreuzt hatten.

Ohne Sonderbelastungen gerechnet zeigte sich indes die Corona-Pandemie recht deutlich. Der bereinigte operative Gewinn vor Zinsen und Steuern ging 2020 um rund ein Sechstel auf 8,6 Milliarden Euro zurück. Aber auch das war mehr als von Analysten zuvor erwartet.

Nun aber keine zwei Jahre nach Übernahme des Zepters vom langjährigen Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche holt Källenius zum großen Wurf aus und krempelt den Konzern im Eiltempo um. Waren seine Kostensenkungspläne für Mercedes-Benz am Kapitalmarkt zwar gewürdigt, aber nicht gefeiert worden, kommt nun der Rundumschlag: Autos und Vans werden von Bussen und Lkw getrennt, die Daimler AG als solche wird langfristig verschwinden - es bleiben die Mercedes-Benz AG und die per Spin-off abgespaltene Daimler Truck AG, an der Mercedes nur noch eine Minderheitsbeteiligung halten soll.

Die Finanzdienstleistungen und die Mobilitätsgeschäfte rund ums Carsharing und Ridehailing verlieren ihre Eigenständigkeit und werden den anderen Konzernteilen zugeschlagen. Was dann vom Mobilitätsgeschäft noch übrig ist, ist fraglich - denn es ist kein Geheimnis mehr, dass die in dem Geschäft verpartnerten Rivalen von Daimler und BMW mindestens nach Investoren suchen, laut manchen Berichten könnten Teile auch gleich ganz verkauft werden.

Bei all dem hat Källenius das Kunststück vollbracht, nahezu alle Seiten im Konzern ins Boot zu holen und auf seine Marschroute einzuschwören: Die Anleger feierten das Vorhaben mit starken Kursgewinnen, weil sie nun nach ihren Bedürfnissen in eine sogenannte "Pure-Play"-Aktie entweder mit Pkw oder Lkw investieren können - das kann vorteilhaft sein, weil die Geschäfte auch nach Angaben von Daimler nur wenig miteinander zu tun haben.

Und die Arbeitnehmer erhoffen sich eine fokussiertere Ausrichtung auf die jeweiligen Märkte und damit sicherere Arbeitsplätze, Betriebsratschef Michael Brecht sprach von "vielen Vorteilen", die die Trennung für beide Geschäfte habe. Zudem haben die Arbeitnehmervertreter auch einen weiteren Umbaufonds für die Trucksparte in Höhe von 1,5 Milliarden Euro ausgehandelt. Schon rund um den Arbeitsplatzabbau im Konzern zuvor gab es einen solchen Geldtopf im Umfang von einer Milliarde Euro, der künftige Entwicklung und Arbeitsplätze sichern soll.

Denn wie sich Daimler auch von der Organisation her aufstellt: Auf die Schwaben kommen große Umwälzungen zu wie auf die gesamte Branche. Mercedes-Benz wird von Källenius und dem fürs Tagesgeschäft bei den Autos zuständigen Markus Schäfer auf "Electric first" getrimmt, weil die Verschärfungen der EU-Abgasregeln dem Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) aus den Verbrennern mehr und mehr einen Riegel vorschiebt. Von neuen Modellen wird künftig zuerst eine Elektroversion entwickelt, der Verbrenner muss sich hinten anstellen.

Zwar will der Daimler-Gesamtkonzern in den kommenden fünf Jahren bis 2025 mehr als 70 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung sowie Sachanlagen stecken. Dennoch steht das Ziel für Källenius: 2025 sollen diese Ausgaben im Pkw-Geschäft von Mercedes-Benz über 20 Prozent niedriger liegen als 2019. Auch insgesamt sollen die Fixkosten um mehr als 20 Prozent sinken.

Die scharfen Sparvorgaben des Managers werden Zehntausende Arbeitsplätze kosten - mit einer genauen Zahl will das Daimler-Management zwar nicht rausrücken, es dürfte aber um 20 000 bis 30 000 der rund 300 000 Konzernarbeitsplätze gehen.

Der Abbau sollte nach früheren Angaben die jährlichen Personalkosten bis Ende 2022 um mindestens 1,4 Milliarden Euro senken. Das Einsparziel soll aber zeitlich noch bis 2025 ausgedehnt und erhöht werden. Und mit dem Sparen soll es auch ungeachtet der Aufspaltung in den kommenden Jahren weitergehen, in beiden Unternehmen, kündigte Källenius an.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Einstimmig begeistert zeigten sich Analysten der großen Investmenthäuser von den Plänen zur Aufspaltung. Kein Wunder, hatten viele der Investorenberater doch seit langem zu einem solchen Schritt geraten, um den Wert der einzelnen Konzernteile durch Überlappungen und Ineffizienzen nicht weiter zu verwässern.

Der Spaß habe gerade erst begonnen, orakelte der meinungsstarke Bernstein-Analyst Arndt Ellinghorst Anfang dieser Woche. Mit dem anstehenden Ausblick für 2021 und dem Dividendenvorschlag rechnet er mit weiterem Aufschwung für die Marktschätzungen. Die Chancen stünden gut, dass Daimler für Pkw und Vans eine operative Marge von acht bis zehn Prozent anstreben könnte und bei den Trucks und Bussen zwischen sechs und acht Prozent anvisiere. Den Dividendenvorschlag für 2020 dürfte Daimler bei 1,30 Euro je Aktie festsetzen und damit 40 Cent höher als für 2019, schrieb er. Daimler strebt eine Ausschüttungsquote von 40 Prozent des auf die Aktionäre entfallenden Nettogewinns an.

Anfang des Monats hatte Ellinghorst zur Aufspaltung gejubelt, Källenius drehe bei Daimler jeden Stein um. Nun taxierte der Finanzexperte in einer Schätzung den Unternehmenswert für Mercedes-Benz auf 55 bis 65 Milliarden Euro, denjenigen für das Nutzfahrzeuggeschäft auf 25 bis 35 Milliarden Euro.

Während die finanziellen Vorteile der Trennung für die Kennzahlen von Auto- und Nutzfahrzeuggeschäft möglicherweise erst nach einiger Zeit sichtbar würden, führe die angekündigte Aufteilung zu unmittelbarem Neubewertungspotenzial, schrieb Warburg-Research-Experte Marc-Rene Tonn jüngst.

Im besten Fall sei dank der Aufspaltung ein Aktienwert von 95 Euro denkbar, schrieb Analyst Tim Rokossa von der Deutschen Bank. Angesichts ihrer Größe könnte die Lkw-Sparte direkt zum Dax-Kandidaten avancieren. JPMorgan-Analyst Jose Asumendi reduzierte seinen sogenannten Konglomeratsabschlag, den Finanzexperten bei einem Gemisch aus verschiedenen Teilen oft abziehen.

Die im dpa-AFX-Analyser erfassten Stimmen, die sich seit der Ankündigung zur Aufspaltung zur Aktie geäußert haben, sind weit überwiegend positiv. Zweimal "Halten" und acht Kaufempfehlungen stehen da zu Buche mit einem durchschnittlichen Kursziel von 75 Euro.

Für das Ergebnis vor Zinsen und Steuern rechnen die von Bloomberg erfassten Analysten im Jahr 2021 mit rund 10,6 Milliarden Euro, also einem deutlichen Anstieg. Damit würde Daimler wieder das Niveau von 2019 mit damals bereinigt 10,3 Milliarden Euro erreichen. Die Dividende für das abgelaufene Jahr sehen die Analysten im Schnitt bei 1,13 Euro.

SO LIEF DIE AKTIE ZULETZT:

Bereits vor den Aufspaltungsplänen lief die Aktie von Daimler deutlich schwungvoller als lange Zeit zuvor. Zuerst musste das Papier den verlorenen Boden des Corona-Crashs aus dem Frühjahr 2020 wettmachen, was im August schließlich gelang - aber bei den zu der Zeit rund 42 Euro blieb es nicht. Vor allem seit November ging es noch einmal spürbar nach oben, und der Spin-Off-Plan hob das Papier dann komfortabel über die 60 Euro, wo es derzeit um die 65 Euro pendelt.

Das war zuletzt im Sommer 2018 der Fall, bevor der US-chinesische Handelskrieg mehr und mehr Tribut zollte und bei Daimler auch mehr und mehr ins Geld ging. Das Rekordhoch für die Titel stammt aus dem März 2015 bei 96,07 Euro. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg - aber Källenius und Finanzchef Harald Wilhelm gehen fest davon aus, dass die Aufspaltung letztlich beiden künftigen Konzernen einen spürbaren Bewertungsaufschwung einbringt.

Weit enteilt sind den herkömmlichen Autobauern derweil weiter die Aktien des US-Elektroautopioniers Tesla . Während Daimler aktuell rund 70 Milliarden Euro Marktkapitalisierung auf die Börsenwaage bringt, sind es bei den Kaliforniern nach deren Kursrally umgerechnet rund 630 Milliarden Euro - mehr als dreimal so viel, wie Daimler und Volkswagen (87 Mrd Euro) und BMW (46 Mrd Euro) zusammengenommen. Selbst die Japaner von Toyota mit ihrem Marktwert von umgerechnet rund 210 Milliarden Euro werden an der Börse von den Amerikanern in die Schranken verwiesen./men/ssc/he/zb

Quelle: dpa-Afx