BERLIN (dpa-AFX) - Für Kunden des Lieferdienstes Delivery Hero
DAS IST LOS BEI DELIVERY HERO:
2023 soll das Jahr sein, in dem Delivery Hero erstmals einen operativen Gewinn ausweist. Auf dem Weg dahin sollen frische Gelder und neue Ideen zur Monetarisierung helfen - unter anderem zulasten der Kunden und Restaurants.
So planen die Manager, den Mindestbestellwert zu erhöhen oder für Zustellungen an weiter entfernte Adressen eine Zusatzpauschale zu erheben, wie aus einer Unternehmenspräsentation hervorgeht. Auch eine nicht näher spezifizierte Servicegebühr könnte anfallen. Von allen vorgestellten Ideen erwartet Konzernchef Niklas Östberg von letzterer den größten positiven Effekt für das Betriebsergebnis. Wann die Ideen umgesetzt werden, ließ der Manager zunächst offen. Auch sei noch nicht geklärt, in welchen Märkten diese eingeführt werden.
Zudem kann sich der Schwede vorstellen, Produkte von Restaurants gegen Bezahlung zu bewerben. Langfristig will Delivery Hero dadurch Erlöse in Höhe von drei bis fünf Prozent des Gesamtbruttowarenwertes erzielen.
Unterdessen will die Unternehmensführung ihren aggressiven Expansionskurs fortsetzen. Im Klartext bedeutet das, Geld in das defizitäre Geschäft beim spanischen Zukauf Glovo und dem Schnelllieferdienst (Quick Commerce) zu pumpen. Der Vorstand sieht immenses Potenzial bei Glovo. Durch die Übernahme vergrößerte Delivery Hero seinen Einflussbereich in Europa deutlich. Bislang war das Unternehmen in zehn Märkten vertreten. Durch das Geschäft der Spanier erlangt der Konzern nun Zugang zu weiteren 25 Märkten mit Fokus auf Ost- und Südeuropa. In mehr als der Hälfte sieht sich Delivery Hero zudem als Marktführer.
Um das alles finanzieren und zugleich Wandelanleihen zum Fälligkeitsdatum begleichen zu können, sicherten die Manager dem Konzern zuletzt Finanzmittel in Milliardenhöhe und schufen bei den Themen Klarheit.
Allerdings steuerte Glovo ersten Berechnungen zufolge nur fünf Prozent zum Gesamtbruttowarenwert (GMV) des Jahres 2021 bei. Zum Vergleich: Die mit Abstand größte und wichtigste Region Asien mit Fokus auf den Südosten macht fast zwei Drittel des Bruttowarenwertes aus. Um sich die Spitzenpositionen in den Glovo-Ländern weiter zu sichern, wollen die Manager im laufenden Jahr dennoch einen operativen Verlust der Sparte von rund 330 Millionen Euro in Kauf nehmen. Kritiker bemängelten hingegen, dass sich Delivery Hero einen Klotz ans Bein binde.
Ähnlich will der Vorstand mit den Integrated Verticals verfahren, dem Segment rund um Schnelllieferungen (Quick Commerce). 2022 soll sich ein operativer Fehlbetrag von bis zu 525 Millionen Euro ansammeln - alles für "signifikante Investitionen", um das Geschäft mit kleinen Warenhäusern in Metropolen zu vergrößern und damit profitabel zu werden.
Denn für Konzernchef Östberg hat der Spitzenplatz in einem Markt die oberste Priorität. Er zeigt sich überzeugt: Sobald das geschafft ist, rackerten sich Konkurrenten vergeblich ab: Als Beispiel nannte er die Türkei, in der ein Wettbewerber seit Wochen mit "irrationalen" Rabattschlachten von 50 Prozent für sich werbe. Die Vergangenheit habe aber gezeigt, dass diese Aktionen keinen besonderen Einfluss auf den Marktführer hätten, argumentiert Östberg: "Wir werden unser Ziel für 2023 erreichen, auch wenn sich der Wettbewerb verschärfen sollte."
Für das laufende Jahr rechnet das Unternehmen weiter mit einem konzernweiten Bruttowarenwert von 44 bis 45 Milliarden Euro, was bis zu knapp zehn Milliarden Euro mehr wäre als im Vorjahr. Der Umsatz der Segmente - also der Gesamtumsatz vor Abzug von Gutscheinen zulasten des Unternehmens - soll ohne Glovo bei 9,5 bis 10,5 Milliarden Euro liegen. Das entspräche im Bestfall einem Zuwachs von fast 60 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert.
Im operativen Geschäft rechnet der Vorstand aber ein weiteres Mal mit einem Verlust: Der Fehlbetrag vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Sondereffekten (bereinigtes Ebitda) dürfte sich auf 1 bis 1,2 Prozent des Bruttowarenwerts belaufen.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Zuletzt gaben die Bekanntgabe neuer Finanzmittel und die Veröffentlichung des Profitabilitätsziels für 2023 der Delivery-Hero-Aktie einen Schub bis auf 49 Euro. Damit erholte sie sich weiter von dem Kurseinbruch, den sie infolge der Bekanntmachung des operativen Verlusts von Glovo erlitten hatte. Anfang Februar hatte das Papier des Essenslieferers an nur einem Tag rund ein Drittel eingebüßt. Anleger hatten sich über den spanischen Klotz am Bein frustriert gezeigt.
Auf längere Sicht sieht es nicht besser aus. Anleger, die zum Jahreswechsel Papiere des Essenslieferdienstes gekauft und seitdem gehalten haben, besitzen nur noch etwa die Hälfte ihres Einsatzes im Portfolio. Mit einem Preis von gut 48 Euro befindet sich die Aktie gerade auf dem Niveau aus der Zeit vor ihrer Rally der ersten beiden Corona-Jahre. Dabei hatte sich das Papier des Pandemie-Profiteurs zeitweise auf den Rekordwert von rund 145 Euro verteuert.
Doch seit November scheint die Luft raus zu sein. Nachdem immer mehr Corona-Maßnahmen gelockert wurden, Ausgangsbeschränkungen wegfielen und Menschen das Leben außerhalb ihrer vier Wände für sich neu entdeckten, ging es für die Delivery-Hero-Aktie steil nach unten.
Entsprechend fällt die Marktkapitalisierung derzeit mit 12,1 Milliarden Euro deutlich kleiner aus als noch vor ein paar Monaten. Damit liegt sie zwar nach wie vor deutlich über derjenigen des niederländischen Konkurrenten Just Eat Takeaway
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Analysten äußerten sich zuletzt positiv zu Delivery Hero. Von den sieben bei dpa-AFX erfassten Experten, die sich seit der Ankündigung des Profitabilitätsziels für das kommende Jahr gemeldet haben, raten fünf zum Kauf von Aktien des Lieferdienstes. Nur die US-Bank JPMorgan und das Analysehaus Bryan Garnier empfehlen weiter das Halten von Positionen im Portfolio.
JPMorgan ist mit einem Kursziel von 53,20 Euro am konservativsten. Dabei klingt JPMorgan-Analyst Marcus Diebel keineswegs besorgt. Denn Delivery Hero wolle mit dem neuen Ausblick schneller profitabel werden, als er selbst und andere Experten vermutet hatten. Sreedhar Mahamkali von der Bank UBS sah in den verkündeten Finanzspritzen sogar den "wichtigsten Punkt für Investoren". Er rät zum Kauf von Aktien des Lieferdienstes.
Mit einem Kursziel von 125 Euro je Aktie ist Rob Joyce von der US-Bank Goldman Sachs mit Abstand am optimistischsten. Der Experte verwies auf das noch ungenutzte Potenzial des Umsatzes durch Werbung und die Möglichkeiten,, durch Gebühren und Zuschläge das operative Ergebnis zu verbessern. Das Management habe die Sorgen seiner Investoren verstanden und entsprechend reagiert.
Im Durchschnitt gehen die sechs Experten von einem Kursziel von rund 88,30 Euro aus. Verglichen mit dem aktuellen Kurs bedeutet dies ein starkes Aufwärtspotenzial von rund 80 Prozent. Allerdings liegt das durchschnittliche Ziel deutlich unter dem Kursniveau der ersten zwei Corona-Jahre./ngu/stw/he
Quelle: dpa-Afx