BERLIN (dpa-AFX) - Die Corona-Krise trifft Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen
DIE LAGE DES UNTERNEHMENS:
Die Deutsche Wohnen gehört zu den größten Wohnimmobilien-Konzernen Deutschlands. Erst vor Kurzem stieg Berlins größter Vermieter nach Vonovia als zweite Immobilienfirma in den Dax
Seit Jahren verdient die Deutsche Wohnen dank gestiegener Mieten vor allem in Berlin gut. Im ersten Quartal 2020 zahlten deren Mieter im Durchschnitt pro Quadratmeter 6,92 Euro kalt, in Berlin waren es 6,91 Euro. Damit überwiesen Mieter in den mehr als 161 000 Wohnungen im Schnitt 3,6 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Mieten in den rund 116 000 Berliner Wohnungen legten allerdings weniger stark zu. Dies hängt mit dem erst seit Februar in Kraft getretenen Berliner Mietendeckel zusammen. Vermieter mussten in der Hauptstadt Mieterhöhungen ab Mitte Juni 2019 zurücknehmen und sich bei Neuvermietungen an Obergrenzen halten.
Zudem müssen Vermieter in Berlin zum 23. November Bestandsmieten reduzieren, die mehr als 20 Prozent über der zulässigen Obergrenze liegen. Die Deutsche Wohnen rechnet in diesem Jahr mit Mietausfällen von neun Millionen Euro durch das Gesetz, im nächsten Jahr sind es 30 Millionen Euro. Zum Vergleich: Bundesweit erzielte der Konzern im vergangenen Jahr Mieteinnahmen in Höhe von 862 Millionen Euro.
Das Management zeigt sich zuversichtlich, dass der Mietendeckel keinen Bestand haben wird. Union und FDP in Berlin haben eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. In den Verträgen neuer Mieter steht deshalb eine sogenannte Schattenmiete: Vereinbart ist die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch erzielbare Miete, verlangt wird aber nur die Summe, die der Mietendeckel erlaubt, wie Vorstandsmitglied Lars Urbansky auf der Hauptversammlung erläuterte. Das bedeutet: Hebt Karlsruhe den Mietendeckel auf, müssen Mieter nachzahlen. Zuletzt stellte das Berliner Landgericht jüngst einen Teil des Mietendeckels in der Hauptstadt in Frage.
Auch in Zukunft werde die Deutsche Wohnen ein starkes Standbein in Berlin haben, sagte Unternehmenschef Michael Zahn. Bei Neubauprojekten stehen aber auch süddeutsche Städte wie München und Stuttgart im Blick. Die Deutsche Wohnen hat sich deshalb erst jüngst mit dem Münchner Projektentwickler Isaria Wohnbau, einer Beteiligungsfirma des Finanzinvestors Lone Star, auf den Erwerb einer Plattform für Projektentwicklungen sowie wesentlicher Immobilienprojekte geeinigt. Der Abschluss des Kaufs soll in diesem Jahr erfolgen.
Die Corona-Krise bekommt die Deutsche Wohnen hingegen kaum zu spüren. "Weder auf der Wohn- noch auf der gewerblichen Seite haben wir bislang signifikante Mietausfälle", sagte Zahn. Für eine Bilanz sei es noch zu früh. Es zeichne sich aber ab, dass die Mietausfälle wirtschaftlich zu bewältigen seien - und der Hilfsfonds für coronagebeutelte Mieter über ausreichend Finanzmittel verfüge. Das Unternehmen hatte den Fonds mit 30 Millionen Euro aufgesetzt, um eigenen Mietern in Härtefällen in der Corona-Krise schnell helfen zu können.
Für das Gesamtjahr erwartet Deutsche Wohnen wegen des Berliner Mietdeckels einen operativen Gewinn etwa auf dem Niveau des Vorjahres. 2019 legte der operative Gewinn (Funds from Operations 1, kurz FFO1) vor allem dank gestiegener Mieten im Jahresvergleich noch um knapp 12 Prozent auf 538 Millionen Euro zu. Das Unternehmen legt an diesem Donnerstag (13. August) seine Halbjahresbilanz vor.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Von den von dpa-AFX ab Mai befragten 14 Analysten empfiehlt mehr als die Hälfte die Aktie zum Kauf. Während fünf Experten das Papier zum Halten empfehlen, spricht sich einer für den Verkauf aus. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei rund 41,70 Euro und damit etwas unter dem aktuellen Kursniveau.
Mit gut 160 000 Wohneinheiten mit Schwerpunkt Berlin ist Deutsche Wohnen nach Ansicht von Analyst Jürgen Graf von der LBBW gut positioniert, um an dem stabilen und moderat wachsenden Markt zu teilzuhaben. Allerdings hätten die Risiken in Berlin wegen des Mietendeckels zugenommen. Zusätzliche attraktive Wachstumschancen bieten ihm zufolge aber Pflegeimmobilien. Das Gewinnziel (FFO1) für das laufende Jahr hält er für realistisch. Der langfristige Wachstumstrend sei weiterhin intakt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Berliner Mietendeckel verfassungswidrig ist, hat sich nach Ansicht von Analyst Simon Stippig vom Analysehaus Warburg Research weiter erhöht. Dafür spreche auch das Urteil des bayerischen Verfassungsgerichtshofes gegen das Volksbegehren "Mietenstopp".
Im zweiten Quartal dürften die eingefrorenen Mieten in Berlin Spuren in der Bilanz der Deutsche Wohnen hinterlassen haben. UBS-Analyst Charles Boissier rechnet im ersten Halbjahr mit einem Rückgang beim FFO1 um 4,6 Prozent auf 270,4 Millionen Euro. Die Deutsche Wohnen befinde sich auf dem Weg, ihr Jahresziel zu erreichen. Zudem rechnet Boissier mit Neuigkeiten zum Isaria-Deal und Verkauf von etwa 6400 Wohneinheiten in Mannheim/Ludwigshafen an den Konkurrenten LEG. Zudem erwartet der UBS-Analyst Aussagen des Managements zu möglichen Zukäufen.
Für Markus Scheufler von der Deutschen Bank gehört die Aktie von Deutschen Wohnen zu den Top-Werten innerhalb des Sektors. Der deutsche Immobilienmarkt bleibe aussichtsreich. Für den Sektor spreche der Renditerückgang bei Anleihen durch die EZB-Maßnahmen.
Positiv gestimmt für das Papier ist auch Neil Green von der US-Bank JPMorgan. Das größte Risiko für den Immobilienkonzern sei derzeit die Überprüfung des Berliner Mietendeckels durch das Bundesverfassungsgericht. Nach Einschätzung des Experten ist bei einem negativen Ausgang das Rückschlagrisiko für die Aktie kleiner als das Aufwärtspotenzial im positiven Fall, urteilt Green.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Die Aktionäre von Deutsche Wohnen haben wieder Grund zur Freude. Der Aufstieg in den Dax hat die Kursverluste der Aktie im Zuge der Corona-Krise mehr als wettgemacht. Seit dem Jahrestief im März bei 27,66 Euro hat das Papier rund 60 Prozent gewonnen. Seit Anfang des Jahres steht ein Plus von mehr als einem Fünftel zu Buche. Derzeit kostet der Anteilschein um die 44 Euro.
Nach mehreren Jahren mit teils steilen Kursanstiegen wurde der Aufwärtstrend vergangenes Jahr von der Ankündigung des Berliner Mietendeckels abrupt gestoppt. Nachdem die Aktie noch im März 2019 bei fast 45 Euro ein Zwischenhoch erreicht hatte, ging es Anfang Juni steil nach unten. Das Papier blieb wochenlang unter Druck und riss schließlich im August die Marke von 30 Euro. Von da an ging es wieder peu a peu nach oben - bis die Corona-Krise für den nächsten Nackenschlag sorgte./mne/stw/fba
Quelle: dpa-Afx