LÜBECK (dpa-AFX) - Von der grauen Maus zum Shootingstar: Die Corona-Krise hat Drägerwerk ins Rampenlicht gerückt. Die Virus-Pandemie beschert dem Medizin- und Sicherheitstechnikkonzern Unmengen an Aufträgen. Dräger stellt Schutzmasken her, aber auch Produkte für die Behandlung von Corona-Patienten, zum Beispiel Beatmungsgeräte. Um der enormen Nachfrage Herr zu werden, baut das SDax-Unternehmen die Produktion immer weiter aus. Die Jahresprognose hat Dräger mittlerweile angehoben. Doch wie lange hält die gute Entwicklung an? Über 2020 hinaus haben erste Experten Zweifel. Was sonst noch bei dem Unternehmen los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI DRÄGERWERK:

Das zweite Quartal verlief bei Drägerwerk glänzend, wie erste Eckdaten von Mitte Juli zeigen. Der Auftragseingang sprang im Vergleich zum Vorjahresquartal währungsbereinigt um mehr als ein Drittel nach oben. Der Umsatz legte um mehr als ein Viertel auf rund 788 Millionen Euro zu. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) lag bei rund 102 Millionen Euro und damit deutlich über dem Niveau des Vorjahres, als ein Verlust von 1,5 Millionen Euro verzeichnet wurde. Endgültige Zahlen zum ersten Halbjahr will Dräger am 13. August vorlegen.

Bisher hatte das Unternehmen für das Gesamtjahr nur die "Chance" auf ein deutlich höheres Umsatz- und Ergebnisniveau in Aussicht gestellt. Der anhaltende Boom von April bis Ende Juni hat die Lübecker aber deutlich zuversichtlicher gestimmt. Der Umsatz dürfte 2020 im Vergleich zum Vorjahr nun um 14 bis 22 Prozent steigen. Die Ebit-Marge soll zwischen 7 und 11 Prozent liegen.

Einen der größten Aufträge hat Drägerwerk im März von der Bundesregierung erhalten. Mehr als 10 000 Beatmungsgeräte sollen im Verlauf des Jahres geliefert werden. Eine noch größere Menge der Geräte will das Unternehmen ins Ausland schicken. Dazu werden die Produktionskapazitäten in Lübeck erheblich ausgebaut. Am Ende werde der Medizintechnikkonzern seine ursprünglichen Kapazitäten vervierfacht haben, sagte Konzernchef Stefan Dräger damals der Zeitung "Die Welt".

Zuletzt nährten Presseberichte bei einigen Anlegern Zweifel, ob und wie lange der Auftragsboom in dieser Form weitergehen kann. Der "Spiegel" berichtete Anfang Juli, dass die Bundesregierung bei einigen Herstellern wohl zu viele Beatmungsgeräte bestellte und nun nicht alle abnehmen wolle - es gebe zur Zeit sinkenden Bedarf. Die Vermutung, dass auch Drägerwerk als Hersteller betroffen sein könnte, lag für viele Händler nahe. Konzernchef Dräger sagte dazu nur, dass die "Nachfrage die Produktionskapazitäten weiterhin stark übersteigt".

Das gilt auch für das Geschäft mit Schutzmasken: Drägerwerk baut hier ebenso die Produktion weiter massiv aus. Neben den Werken in Schweden und Südafrika zieht das Unternehmen neue Produktionsstandorte in den USA, Frankreich und Großbritannien hoch. So beliefert Dräger bald ganz Europa mit Masken, ebenso wie die britische Regierung und das US-Gesundheitsministerium. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz oder den niederländischen König Willem-Alexander - Stefan Dräger hatte sie in der Krise alle am Telefon.

Diese Expansion kostet natürlich auch Geld. Für die Erweiterung der dann fünf Produktionsstandorte rechnet Dräger im laufenden Geschäftsjahr mit Investitionen in Höhe eines mittleren zweistelligen Millionenbetrags. Frisches Geld hatte sich das 1889 gegründete Familienunternehmen bereits Ende April über eine Kapitalerhöhung beschafft.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die vorläufigen Ergebnisse zum zweiten Quartal haben die Experten fast durchweg überrascht, ebenso wie die neue Prognose. NordLB-Analyst Holger Fechner stufte Drägerwerk in der Folge von Halten auf Kaufen hoch und lobte, dass sich der Ausblick nun konkretisiert habe. Allgemein rät die Mehrzahl der Fachleute nach den ermutigenden Signalen des Unternehmens zum Kauf der Aktie und traut ihr teilweise ein Plus von mindestens einem Fünftel auf ein Kursniveau von über 100 Euro zu.

So auch Metzler-Analyst Alexander Neuberger, der in der Corona-Krise eine große Chance für Medizintechniker wie Drägerwerk sieht. Die Virus-Pandemie dürfte aus seiner Sicht in Europa zu einer Umkehr beim Trend jahrelang sinkender Investitionen in Krankenhäuser führen, wovon das Unternehmen profitieren sollte. Allerdings geht Neuberger davon aus, dass Großbestellungen wie die der Bundesregierung eine Ausnahme bleiben werden.

Insgesamt habe der Auftragseingang im zweiten Quartal auch unter dem Niveau des ersten Quartals gelegen, stellt Eggert Kuls vom Analysehaus Warburg Research dazu fest. Jedoch sei das erste Quartal auch herausragend gewesen und die Orders hätten von April bis Ende Juni im Jahresvergleich immer noch deutlich zugelegt. In der Folge hegt auch Kuls keine Zweifel an einer weiterhin starken Entwicklung und spricht nun ebenso eine Kaufempfehlung für die Dräger-Aktie aus.

Aliaksandr Halitsa von der Privatbank Hauck & Aufhäuser verweist darüber hinaus auf die neue Zielspanne für die Ebit-Marge, die deutlich über seinen Schätzungen und der Markterwartung liege. Sie bedeute, dass der operative Gewinn von Dräger im laufenden Jahr die Konsensprognose im besten Fall um 79 Prozent überbieten könnte.

Eine kritischere Stimme mit Blick in die Zukunft kommt dagegen von der DZ Bank. Analyst Sven Kürten spricht zwar auch von einem starken Ausblick aufs Gesamtjahr 2020, diesen habe er von Dräger aber auch erwartet. Und Kürten geht weiterhin davon aus, dass die coronabedingte Sonderkonjunktur für das Unternehmen schon im kommenden Jahr enden könnte.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Corona-Krise hat die Aktien von Drägerwerk gewissermaßen aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Seit 2017 kannten die im SDax notierten Vorzugspapiere nämlich fast nur den Weg nach unten. Im vergangenen Jahr pendelten sie dann in der Spanne zwischen 40 und 60 Euro hin und her. Den am 24. Februar einsetzenden weltweiten Börsen-Crash angesichts der Corona-Pandemie haben die Dräger-Aktien schließlich so gut wie unbeschadet überstanden.

Spätestens seit Mitte März wird Dräger an der Börse als Krisengewinner gehandelt. Für die Anteilsscheine ging es steil bergauf, in der Spitze Ende März sogar fast bis auf 110 Euro. Dieses Niveau, das die Papiere zuletzt 2017 erreicht hatten, konnten sie allerdings nicht halten. Vom Rekordhoch aus 2015 bei 123,70 Euro waren sie noch weit entfernt. Zunächst ließ die Euphorie spürbar nach, zudem haben zwischenzeitliche Gewinnmitnahmen die Aktien immer wieder ausgebremst.

Im Zuge der Eckdaten zum zweiten Quartal sowie der Prognoseerhöhung zogen die Papiere Mitte Juli erneut in Richtung von 90 Euro an. Zuletzt ging es aber tagelang wieder nur seitwärts. Seit Jahresbeginn steht dennoch ein Plus von mehr als 50 Prozent zu Buche, was auch etwa den Kursgewinnen seit Beginn des Corona-Crashs entspricht. Damit zählt Drägerwerk an der Börse nach wie vor zu den größten Profiteuren der Virus-Pandemie.

Da der Schwung nachgelassen hat, wird Dräger allerdings von mehreren anderen Krisengewinnern überflügelt. Während Teamviewer ähnlich stark zugelegt hat wie Drägerwerk, ist der Börsenwert von Hellofresh und Zooplus seit dem Corona-Crashs um drei Viertel gestiegen. Die Aktie der Shop Apotheke hat ihren Wert seit 24. Februar sogar verdreifacht.

Das Aktienkapital des derzeit mit 1,45 Milliarden Euro bewerteten Unternehmens ist in Stamm- und Vorzugsaktien unterteilt. Von den 10,2 Millionen Stammpapieren liegen etwas mehr als 70 Prozent bei der Familie Draeger. Beim aktuellen Kurs von 71,60 Euro je Stammaktie ist das Paket der Familie etwas mehr als eine halbe Milliarde Euro wert. Neben den Stammaktien gibt es 7,6 Millionen Vorzugspapiere, die sich zu 100 Prozent im Streubesitz befinden und sowohl im SDax und TecDax notiert sind./niw/knd/zb

Quelle: dpa-Afx