HAMBURG (dpa-AFX) - Die Amoktat von Hamburg hat die Debatte über schärfere Waffengesetze wieder in den Fokus gerückt. Einen Tag nach dem Verbrechen mit acht Toten und mehreren Verletzten in den Räumen der Zeugen Jehovas kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an, den Entwurf zur Änderung des Waffengesetzes noch einmal prüfen zu wollen. Man müsse überlegen, "wie wir mit dieser neuerlich furchtbaren Amoktat in Hamburg nochmal an den Gesetzentwurf gehen, um zu schauen: Gibt es noch Lücken, oder wo war er genau richtig?", sagte Faeser am Freitagabend den ARD-"Tagesthemen".
Zum Zustand der Verletzten gab es auch am Sonntag zunächst keine neuen Informationen von der Polizei. Planungen für Trauermärsche oder Gedenkveranstaltungen wurden am Wochenende ebenfalls nicht bekannt.
Auch wenn das Thema Waffenrecht bislang nicht auf der Tagesordnung im Innenausschuss des Bundestages steht, dürfte es weiter für Diskussionen sorgen. Zuletzt hatte Faeser mit ihren Plänen für mehr Kontrollen und Vorschriften die Verbände der Jäger und Schützen gegen sich aufgebracht. Diese wiederum erhielten Unterstützung von der FDP.
Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, sagte der dpa am Samstag, psychisch kranke Personen dürften keine Schusswaffen besitzen. "Überhastete Forderungen nach gesetzgeberischen Konsequenzen" seien nicht angezeigt. Der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki sagte dem Fernsehsender Welt: "Die natürliche Reaktion, zunächst alles verbieten zu wollen, verbietet sich. Das ist eine menschlich nachvollziehbare Reaktion, aber sie hilft im Zweifel nicht weiter."
Bei der Tat am Donnerstagabend im Hamburger Norden starben sieben Menschen und der Täter selbst. Zu den Toten zählt die Polizei auch ein ungeborenes Kind. Acht weitere Menschen wurden verletzt, vier von ihnen lebensbedrohlich. Der 35 Jahre alte Philipp F. hatte mehr als 100 Mal mit einer halbautomatischen Pistole geschossen. Seit dem 12. Dezember sei er im legalen Besitz dieser Waffe gewesen, hatte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer gesagt. Als Extremist war der Schütze nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt.
Weiterhin stellen sich viele Fragen. Hätten Behörden (früher) reagieren müssen? Ist der Täter zu einfach an seine Waffe gekommen oder wurden anonyme Hinweise, der Mann sei psychisch auffällig, nicht ernst genommen? Wäre er womöglich einem Psychiater oder Psychologen aufgefallen? Über eine frühere Drogenauffälligkeit war ersten Erkenntnissen zufolge nichts bekannt. Es gebe keinen entsprechenden Eintrag bezüglich Drogendelikten, sagte ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums. Zuvor hatte es Berichte über einen möglichen Drogenmissbrauch von Philipp F. in der Vergangenheit gegeben. Er stammt aus Memmingen in Bayern und war seit 2015 in Hamburg gemeldet.
Die Linke fordert nach der Tat Aufklärung vom Senat. Der Senat müsse den Innenausschuss über offene Fragen in Bezug auf den Amoklauf vollständig aufklären, sagte Deniz Celik, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. "Nach den neuesten Erkenntnissen muss die Frage, ob der Amoklauf hätte verhindert werden können, neu gestellt werden. Die auf der Homepage und im Buch vertretenen kruden Thesen zeichnen das Bild eines wirren, religiösen Extremisten", sagte Celik.
Über das genaue Motiv von Philipp F. wird weiterhin gerätselt. Der anonyme Hinweisgeber habe die Waffenbehörde auf dessen "besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegenüber den Zeugen Jehovas" aufmerksam gemacht, wie Meyer mitteilte. Im Internet gab Philipp F. einiges über sich und seine Gedankenwelt preis. Die Webseite des Täters zeigt etwa, dass er sich intensiv mit Gott und Jesus Christus auseinandersetzte und krude Thesen verbreitete.
Philipp F. war Sportschütze, hatte eine Waffenbesitzkarte und war erst kürzlich von der Waffenbehörde aufgesucht worden. Die Behörde hatte im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung von Philipp F. erhalten. Dieser wurde Anfang Februar von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht.
Damals habe es keine relevanten Beanstandungen gegeben, die rechtlichen Möglichkeiten seien ausgeschöpft gewesen, sagte Meyer. Die gesamten Umstände hätten auch keinerlei Anhaltspunkte für die Beamten ergeben, "die auf eine psychische Erkrankung hätten hindeuten können"./wom/DP/he
Quelle: dpa-Afx