(neu: Reaktionen der USA im 1. und 4. Absatz, Putin 6. Absatz)
MOSKAU/BERLIN (dpa-AFX) - Nach der Aggression in der Ostukraine kann Russlands Präsident Wladimir Putin milliardenschwere Geschäfte mit der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 erst einmal abschreiben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stoppte am Dienstag das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2. Die EU brachte harte Strafen gegen Russland auf den Weg, auch Großbritannien verhängte Sanktionen. Die US-Regierung nannte Putins Pläne den "Anfang einer Invasion".
Der Kremlchef hatte am Montag die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt und eine Entsendung russischer Soldaten angeordnet. Putin plant zum zweiten Mal nach 2014 einen Einmarsch in die Ukraine. Das Parlament in Moskau ratifizierte am Dienstag die Anerkennung. Das Oberhaus des Parlaments stimmte einem Truppeneinsatz in der Ostukraine zu.
Der Westen wirft Putin vor, gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150 000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen.
Die USA würden mit zusätzlichen Sanktionen reagieren, je mehr sich Russland in Richtung eines Einmarsches in die Ukraine bewege, sagte US-Präsident Joe Bidens stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater Jon Finer CNN. "Eine Invasion ist eine Invasion, und das ist es, was hier passiert. Aber Russland ist schon seit 2014 in die Ukraine einmarschiert."
Biden wollte sich in einer Rede (19.00 Uhr MEZ) zum Konflikt äußern.
Russland strebt nach den Worten Putins nicht nach der Wiedererrichtung eines Imperiums. "Das entspricht absolut nicht der Wirklichkeit", sagte Putin. Bei einer Fernsehansprache am Vorabend hatte er den Staat Ukraine infrage gestellt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht trotz allem keine erhöhte Kriegsgefahr. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, wertete die Rede Putins allerdings als "Kriegserklärung".
Scholz verurteilte in Berlin erneut die Entscheidung Putins. Das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 werde sich nun hinziehen, "wenn ich das mal vorhersagen darf", sagte er.
Die 1230 Kilometer lange Pipeline ist nach Angaben des russischen Gaskonzerns Gazprom
Die USA begrüßten den Schritt der Bundesregierung, wie Jen Psaki, Sprecherin von Präsident Joe Biden, auf Twitter schrieb: "Wir haben uns im Lauf der Nacht eng mit Deutschland abgestimmt."
Die Gasversorgung der Europäischen Union ist nach Einschätzung der EU-Kommission trotz des Konflikts vorerst sicher. Die Gasspeicher seien derzeit zu etwa 30 Prozent gefüllt.
Putin will trotz bevorstehender Sanktionen des Westens die Gaslieferungen ins Ausland nicht stoppen. "Russland beabsichtigt, die ununterbrochenen Lieferungen dieses Rohstoffs, einschließlich des Flüssiggases, an die Weltmärkte fortzusetzen", sagte er.
Nach dem Stopp des Genehmigungsverfahrens für Nord Stream 2 droht Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew mit deutlich steigenden Gaspreisen. "Nun gut, herzlich willkommen in der neuen Welt, in der die Europäer bald 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen", schrieb der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats bei Twitter.
Trotz der Eskalation will die Führung in Moskau am Treffen ihres Außenministers Sergej Lawrow mit seinem US-Kollegen Antony Blinken an diesem Donnerstag in Genf festhalten. Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte: "Wir haben sogar in den schlimmsten Momenten immer gesagt, dass wir zum Verhandlungsprozess bereit sind."
Die EU-Kommission schlug weitreichende Sanktionen vor. Ein den Mitgliedstaaten präsentierter Entwurf sieht nach dpa-Informationen vor, den Handel mit russischen Staatsanleihen zu verbieten. Zudem sollen mehrere Hundert Personen und Unternehmen auf die EU-Sanktionsliste kommen. Darunter wären nach Angaben von Diplomaten rund 350 Abgeordnete des russischen Parlaments, die für die Anerkennung gestimmt haben, aber auch Banken, die in der Ostukraine Geschäfte machen.
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson kündigte in London an, fünf russische Banken sowie drei wohlhabende russische Staatsbürger mit Sanktionen zu belegen. Deren Vermögen in Großbritannien werde eingefroren und Reisen nach Großbritannien unterbunden.
Bei den Personen handelt es sich um Gennadi Timtschenko sowie die Brüder Boris und Igor Rotenberg. Alle drei gelten als enge Verbündete Putins./rom/DP/jha
--- Von Martin Romanczyk, dpa ---
Quelle: dpa-Afx