(Neu: Weitere Einordnung des Landesarbeitsgerichts Hessen)
BERLIN (dpa-AFX) - Wegen Streiks im Bahn- und Luftverkehr haben Reisende am Dienstag erhebliche Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Auf der Schiene wurden aufgrund des 24-stündigen Arbeitskampfs der Lokführergewerkschaft GDL rund 80 Prozent der Fernzüge gestrichen, wie die Deutsche Bahn mitteilte. Insbesondere in Frankfurt und München mussten wiederum Fluggäste wegen eines zweitägigen Streiks der Kabinengewerkschaft Ufo bei der Lufthansa
Abgestimmt hatten sich die beiden Gewerkschaften nicht. Trotzdem war es innerhalb weniger Tage das zweite Mal, dass es sowohl bei der Lufthansa als auch bei der Bahn zu Ausständen kam.
70 000 Fluggäste betroffen
Nach den von Verdi organisierten Ausständen beim Bodenpersonal in der vergangenen Woche traten am Dienstag Flugbegleiterinnen und -begleiter der Lufthansa und der Regionaltochter Cityline in Frankfurt in den Ausstand. Von 4.00 bis 23.00 Uhr sollten an Deutschlands größtem Flughafen alle Lufthansa-Abflüge bestreikt werden. Das Unternehmen ging davon aus, dass 600 Flüge in Frankfurt ausfallen werden. 70 000 Passagiere seien betroffen.
Für Mittwoch hat Ufo das Lufthansa-Kabinenpersonal in München von 4.00 bis 23.00 Uhr zum Streik aufgerufen. Dort werden nach Einschätzung der Lufthansa 400 Flüge mit 50 000 Fluggästen nicht abheben können.
Auswirkungen für Industriekunden
Bei der Bahn war am Freitag ein Streik der GDL beendet worden. Am späten Sonntagabend rief die Gewerkschaft zum nächsten Arbeitskampf auf. Er begann bereits am Montagabend im Güterverkehr des Konzerns. Die Einschränkungen treffen somit nicht nur Fahrgäste, sondern auch Industriekunden der Bahn-Tochter DB Cargo.
Dazu gehören insbesondere die Chemie- und die Autoindustrie. "Mit solchen Aktionen wird der ohnehin schon angeschlagene Wirtschaftsstandort Deutschland weiter schwer belastet. Stillstand auf der Schiene können wir uns einfach nicht mehr leisten", sagte bereits am Montag der Hauptgeschäftsführer des Chemieverbandes VCI, Wolfgang Große Entrup, der Deutschen Presse-Agentur.
Die Aktionen der Gewerkschaften stoßen nicht nur auf Kritik. Für Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, sind sie eher Ausdruck für "ein neues Selbstbewusstsein bei Beschäftigten", wie er der dpa sagte. Das gelte besonders für Bereiche, in denen ein starker Fachkräftemangel herrsche oder absehbar sei. "Diese Dynamik setzt Arbeitgeber natürlich unter Druck. Aber sie trägt auch dazu bei, Arbeit in wichtigen Branchen attraktiver zu machen - und damit den Arbeitskräftemangel langfristig zu mildern." Schulten rechnet nach eigenen Worten nicht damit, dass Deutschland ein Dauerstreikland wird.
Bahn und GDL wieder vor Gericht
Auch die Messewirtschaft kritisierte den Streik der GDL am Dienstag als unverhältnismäßig. "Es ist nicht länger nachvollziehbar, wieso Millionen von Angestellten, Geschäftsreisenden und Messeteilnehmern die Bürde des seit Jahren schwelenden Konflikts zwischen DB und GDL tragen müssen." Der Ruf Deutschlands als wichtigstes Messeland der Welt werde ramponiert.
Die Bahn hatte am Montagabend versucht, mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht Frankfurt den Streik zu stoppen und scheiterte. Auch die Berufung am Dienstag vor dem Landesarbeitsgericht Hessen hatte keinen Erfolg. Das Instrument des sogenannten Wellenstreiks der GDL als Nadelstichtaktik sei zulässig, sagte der Vorsitzende Richter Michael Horcher. Eine Ankündigungsfrist von 22 Stunden im Güterverkehr und 30 Stunden im Personenverkehr hielt das Gericht noch für angemessen. Er regte den Gang in eine formale Schlichtung an.
Diese hatte die GDL bisher abgelehnt. Vor Gericht bezeichnete GDL-Vertreter Thomas Schelling eine solche Maßnahme am Dienstag als "durchaus diskutabel". Man werde ergebnisoffen darüber beraten. "Es ist an der Zeit für die DB, endlich richtig zu verhandeln."
Bahnvertreter Florian Weh sagte, eine formale Schlichtung sei nun das gebotene Mittel der Wahl. "Wir sind bereit dazu ohne Vorbedingungen."
Wie geht's weiter?
In der jüngsten Verhandlungsrunde waren bereits externe Vermittler beteiligt, eine formale Schlichtung war das aber nicht. Die Gespräche scheiterten erneut am Streit über die von der GDL geforderte 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter. Im Luftverkehr wird unterdessen weiter miteinander gesprochen. Die Verhandlungen mit Verdi für die etwa 25 000 Beschäftigten am Boden sollen am Mittwoch und Donnerstag fortgesetzt werden. Verdi verlangt bei einer Laufzeit von einem Jahr 12,5 Prozent mehr Geld, während das Unternehmen bei einer Laufzeit von 28 Monaten 10 Prozent angeboten hat.
Die Gewerkschaft Ufo wiederum fordert für die etwa 18 000 Kabinenbeschäftigten der Lufthansa und die knapp 1000 Kräfte der Cityline im Kern 15 Prozent mehr Geld - bei einer Vertragslaufzeit von eineinhalb Jahren. Die Lufthansa hat nach eigenen Angaben bei einer Laufzeit von zwei Jahren eine Erhöhung der Tarifgehälter von 6 Prozent zum August 2024 und weitere 3,25 Prozent zum August 2025 angeboten. Zudem sollen die Kabinenbeschäftigten im April 2024 eine Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro erhalten.
Bei der Lufthansa stoßen die Aktionen auf Kritik. "Ich verstehe auch unsere Mitarbeitenden, die Kolleginnen und Kollegen der Kabine machen einen tollen Job, keine Frage. Aber der Streik ist der falsche Weg", sagte Personalvorstand Michael Niggemann. "Streik bringt keine Lösung. Lösungen gibt es nur am Tariftisch." Die Lufthansa habe mit die besten Konditionen der Branche. Das zeige auch die große Zahl von Bewerbungen.
Wie es unterdessen auf der Schiene weitergeht, ist unklar. Auch künftige Streiks will die GDL mit deutlich weniger Vorlauf ankündigen als zuletzt. Fahrgäste können dann nur hoffen, dass die Bahn weiter rechtzeitig ein Grundangebot im Fernverkehr organisieren kann./maa/DP/mis
Quelle: dpa-Afx