BERLIN/KIEW/MOSKAU (dpa-AFX) - Die Bundesregierung will der Ukraine zur Unterstützung gegen den russischen Angriff sieben Panzerhaubitzen 2000 liefern. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) bezeichnete die hochmodernen Artilleriesysteme am Freitag bei einem Besuch in Sliac in der Slowakei als "eine besondere Waffe", die als Teil eines Gesamtpakets mit Ausbildung und Munition sowie möglichen Beiträgen weiterer Nato-Partner bereitgestellt werde. Die russische Armee setzte auch am 72. Tag des Krieges Angriffe auf Ziele in der Ukraine fort. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte für Sonntag eine TV-Ansprache an, in der er über den Ukraine-Krieg und das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 77 Jahren sprechen will.
Die Panzerhaubitze ist ein schweres Artilleriesystem mit einer Kanone auf einem Kettenfahrzeug und ähnelt damit einem Panzer. Mit Standardmunition erreicht sie nach Angaben der Bundeswehr Schussentfernungen von 30 Kilometern. Mit reichweitengesteigerter Munition sind 40 Kilometer möglich. Wann genau die Haubitzen geliefert werden, war zunächst unklar. Sie sollen aus einer laufenden Instandsetzung kommen. Sobald diese abgeschlossen sei, könnten sie abgegeben werden, hieß es aus dem Verteidigungsministerium.
Die Ukraine hatte der Bundesregierung in den vergangenen Wochen immer wieder vorgeworfen, bei der Lieferung von Waffen für den Abwehrkampf gegen Russland zu zögern. Nachdem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag in einem Telefonat Irritationen nach einem abgelehnten Ukraine-Besuch Steinmeiers Mitte April ausgeräumt hatten, bleibt abzuwarten, ob die Zusage der Panzerhaubitzen zu einer weiteren Entkrampfung der Stimmung zwischen Berlin und Kiew beiträgt.
Kurz vor der Zusage der Panzerhaubitzen warf der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk der Bundesregierung vor, "Märchen" über Waffenlieferungen zu erzählen, statt seinem Land schnell zu helfen. Dem Deutschlandfunk sagte er außerdem, keinen Anlass zu sehen, sich bei Bundeskanzler Olaf Scholz dafür zu entschuldigen, ihn im Streit um die Ausladung Steinmeiers eine "beleidigte Leberwurst" genannt zu haben. "Es geht nicht darum, ob man sich beleidigt fühlt oder nicht, sondern es geht darum, ob man uns hilft, in diesem Krieg nicht zu verlieren und Menschenleben zu retten", sagte Melnyk.
Scholz plant Fernsehansprache - G7-Schalte mit Selenskyj
Der Jahrestag des Endes Zweiten Weltkriegs in Europa durch die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 steht an diesem Sonntag im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Bundeskanzler Scholz plant eine Fernsehansprache. Zudem will er mit den Partnern der G7-Staaten über die Lage in der Ukraine beraten. Selenskyj soll zugeschaltet werden. Es sei "ein sehr besonderer 8. Mai in diesem Jahr", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Dass zwei Länder, die im Zweiten Weltkrieg Opfer deutscher Aggression geworden seien, jetzt miteinander im Krieg stünden, sei "ein sehr bedrückender Umstand".
Ukraine bestätigt Befreiung von Zivilisten in Mariupol
In der belagerten ukrainischen Hafenstadt Mariupol konnten im Zuge der jüngsten Evakuierung des Stahlwerks Azovstal nach ukrainischen Angaben Hunderte Zivilisten befreit werden. "Wir haben es geschafft, 500 Zivilisten heraus zu holen", teilte der Leiter des Präsidialamts Andrij Jermak mit. Er sprach von einer "weiteren Etappe der Evakuierung", die in den nächsten Tagen fortgesetzt werden solle und dankte der UN für ihre Hilfe bei der Organisation der Flüchtlingskorridore. Immer noch sollen im Stahlwerk - der letzten Bastion der Verteidiger Mariupols - bis zu 200 Zivilisten und eine unbekannte Anzahl an ukrainischen Kämpfern ausharren.
Das russische Militär zerstörte nach eigenen Angaben ein großes Munitionsdepot in der ukrainischen Großstadt Kramatorsk im Gebiet Donezk. Zudem seien in den vergangenen 24 Stunden die taktische Luftwaffe und die Artillerie wieder sehr aktiv gewesen. Die Luftwaffe habe 24 Militärobjekte beschossen, die Artillerie über 200.
London: Angriffe auf Azovstal-Werk bringen hohe Verluste für Moskau
Bei ihrem Sturm auf das Stahlwerk müssen die russischen Truppen nach Einschätzung britischer Geheimdienstexperten schwere Verluste hinnehmen. Russland wolle das Werk wohl für die Siegesfeier am 9. Mai erobern, teilte das Verteidigungsministerium mit. Russlands Präsident Wladimir Putin wünsche sich für den Jahrestag des Siegs über Nazi-Deutschland einen symbolischen Erfolg in der Ukraine. Russland müsse das aber mit hohen Verlusten an Soldaten, Material und Munition bezahlen. Der Kreml zeigte sich entgegen vieler anderslautender Experteneinschätzungen zufrieden mit den Leistungen des eigenen Militärs. "Die Operation läuft nach Plan", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag der Agentur Interfax zufolge in Moskau.
Weiter keine Einigung auf Öl-Embargo
Die EU-Mitgliedstaaten sind weiter uneins in der Frage der von der Kommission vorgeschlagenen Sanktionen auf Erdöl-Importe aus Russland. Mehrere Länder haben Vorbehalte dagegen - einer der lautesten Kritiker ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der am Freitag über den Vorschlag sagte: "Er kommt einer Atombombe gleich, die auf die ungarische Wirtschaft abgeworfen wird." Sein Land könne die russischen Ölimporte auch nicht in der 20-monatigen Frist ersetzen, die der erste Entwurf für das Sanktionspaket explizit für Ungarn vorsah. Neben Ungarn sind auch Tschechien und die Slowakei stark von russischem Öl abhängig. Eine Kompromisslösung könnte noch längere Übergangsfristen für einige EU-Länder beinhalten. Das Sanktionspaket kann nur mit Zustimmung aller Länder umgesetzt werden.
Amnesty wirft Russland "unrechtmäßige Gewaltanwendung" vor
Amnesty International wirft Russland vor, bewusst Verbrechen gegen in der Umgebung von Kiew lebende Menschen begangen zu haben. "In einem seltenen, ja historischen Schritt prangerte Amnesty International die unrechtmäßige Gewaltanwendung Russlands als Verletzung der UN-Charta und als Akt der Aggression an", sagte Generalsekretärin Agnès Callamard in Kiew. Amnesty dokumentierte mehr als 40 durch Luftangriffe getötete Zivilisten in Borodjanka und 22 Fälle von gesetzeswidrigen Tötungen in und bei Butscha./lkl/DP/men
Quelle: dpa-Afx