BERLIN (dpa-AFX) - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mahnt trotz schnellerer Impfungen und erster Anzeichen für eine stabilere Corona-Lage zu weiterhin nötiger Vorsicht. "Es gibt Hoffnung", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag in Berlin. "Aber es gibt noch keine Entwarnung in dieser Phase der Pandemie." Die Infektionszahlen müssten nicht nur stagnieren, sondern weiter herunter. Es gelte, die letzten Schritte nicht zu verstolpern, um auch wieder mehr Alltag zu ermöglichen. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) legte einen Verordnungsentwurf zu geplanten Erleichterungen für Geimpfte vor. Erstmals gab es jetzt mehr als eine Million Impfungen an einem Tag.
In dem Entwurf heißt es, vollständig Geimpften und Genesenen solle es künftig wieder möglich sein, "ohne vorherige Testung zum Beispiel Ladengeschäfte zu betreten, Zoos und botanische Gärten zu besuchen oder die Dienstleistungen von Friseuren und Fußpflegern in Anspruch zu nehmen." Geimpfte und Genesene sollen sich nicht an die jeweils lokal geltenden Ausgangsbeschränkungen halten müssen. Beschränkungen privater Zusammenkünfte auf Angehörige eines Haushalts und einer weiteren Person - plus Kinder bis 14 Jahre - sollen nicht greifen, wenn nur Geimpfte oder Genesene teilnehmen. Maskenpflicht an manchen Orten und Abstandsgebote sollen aber für alle weiter gelten, heißt es in dem Entwurf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Lambrecht sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, wenn nun belegt sei, dass von Geimpften und Genesenen keine besondere Gefahr mehr ausgehe, müssten Grundrechtseinschränkungen zurückgenommen werden. "Es geht hier nicht um Sonderrechte oder Privilegien." Ihr Ressort schickte den Vorschlag am Donnerstag an die anderen Ministerien. Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sich das Kabinett kommende Woche damit befassen soll. Bundestag und Bundesrat müssen zustimmen, sollen aber schon früh eingebunden werden. Die SPD dringt darauf, dass die Länderkammer die Pläne nächste Woche besiegelt. Spahn sagte: "Wenn wir uns einig sind, geht's schnell." Der "späteste" Termin für eine abschließende Entscheidung des Bundesrats sei der 28. Mai.
Die aktuelle dritte Corona-Welle ist nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) inzwischen abgebremst. Es gebe eine "gute Entwicklung", sagte Präsident Lothar Wieler. Die Fallzahlen seien aber noch zu hoch, auch wenn das exponentielle Wachstum sich seit Ostern nicht mehr im befürchteten Maß fortgesetzt habe. Bei Menschen unter 60 nähmen die Zahlen aber zu, bei Kindern deutlich. Bundesweit ist die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen so niedrig wie seit rund zwei Wochen nicht mehr. Die Sieben-Tage-Inzidenz sank laut RKI auf 154,9. Niedriger war sie zuletzt am 14. April (153,2), vor einer Woche lag sie bei 161,1.
"Wir müssen weiter alles dafür tun, um die Fallzahlen zu senken", betonte Wieler. Es gehe darum, Ungeimpfte "auf den letzten Metern" kurz vor der Impfung zu schützen. Inzwischen haben mehr als ein Viertel aller Bundesbürger - nämlich 25,9 Prozent - mindestens eine erste Spritze erhalten, wie Spahn sagte. Den vollen Schutz mit einer Zweitimpfung haben 7,5 Prozent. Am Mittwoch seien 1,1 Millionen Menschen geimpft worden und damit erstmals mehr als ein Prozent der Bevölkerung an einem einzigen Tag. Dabei machten Arztpraxen 730 000 Impfungen, die regionalen Impfzentren der Länder 360 000 Impfungen.
Das zeige, wie stark man an Geschwindigkeit gewinne, auch wenn es für eine Grundimmunität der Gesamtbevölkerung noch nicht reiche, sagte Spahn. Wieler erläuterte, es sei noch viel zu tun. Bei Menschen über 80 seien zwei Drittel geimpft, bei Menschen über 70 rund 30 Prozent. Spahn stellte in Aussicht, dass - nach einer erwarteten Zulassung - spätestens in den Sommerferien auch Kinder ab 12 Jahren Impfungen bekommen könnten. Der Hersteller Biontech
Spahn warb um Geduld bei Impfmöglichkeiten für alle. Das Ende der festen Impf-Reihenfolge im Juni sei nicht mehr weit. Sie sei aber noch wichtig, um im Mai die dritte und letzte Prioritätsgruppe mit über 60-Jährigen und mehreren Berufsgruppen impfen zu können, die nicht ins Homeoffice könnten. Zudem könnten im Juni nicht in ein oder zwei Wochen alle zum Zuge kommen. "Wartezeiten wird es weiterhin geben in den Sommer hinein." Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Nicht das Vorhandensein von Ärzten im Freundes- oder Bekanntenkreis darf über die Vergabe von Impfterminen entscheiden, sondern einzig und allein die Priorität."
Spahn ermunterte Länder und Kommunen, vor Ort über Impf-Schwerpunkte zu entscheiden, etwa in Stadtvierteln mit vielen Corona-Fällen. Dies geschehe auch schon und könne nicht vom Bund festgelegt werden. Es sei auch möglich, in Supermärkten zu impfen, wenn ein Land das so umsetzen wolle. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte dem "Spiegel": "Wenn wir die Brennpunkte nicht in den Griff bekommen, dann kriegen wir keine Herdenimmunität hin."/sam/ggr/jjk/hrz/abc/DP/jha
Quelle: dpa-Afx