KIEW/MOSKAU/BERLIN (dpa-AFX) - Zweieinhalb Monate nach Beginn des Kriegs in der Ukraine fließt nun weniger Gas aus Russland nach Europa. Die Ukraine drosselte am Mittwoch den Transit durch das Gebiet Luhansk im Osten des Landes. Begründet wurde dies damit, dass der Betrieb in einer Station kriegsbedingt nicht mehr kontrolliert werden könne. Nach Angaben des russischen Staatskonzerns Gazprom konnten am Mittwoch noch 72 Millionen Kubikmeter russische Gas in Richtung Westen durchgeleitet werden - etwa ein Viertel weniger als am Tag zuvor. Die Bundesregierung trat sogleich Befürchtungen entgegen, dass Gas in Deutschland bald knapp werden könnte.
Hoffnungen auf baldiges Kriegsende bleiben minimal
Ansonsten zeichneten sich am 77. Tag des russischen Angriffskriegs auf das Nachbarland im Kriegsgeschehen keine wesentlichen Veränderungen ab. Moskau berichtete von mehr als 400 Angriffen. Auch die Kämpfe um ein Stahlwerk in der südukrainischen Hafenstadt Mariupol dauerten an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lobte die eigenen Truppen für "übermenschliche Stärke". Die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende bleibt minimal. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, der Moment für Friedensgespräche werde kommen. "Aber in unmittelbarer Zukunft sehe ich ihn nicht."
Ausbildung an Panzerhaubitze 2000 beginnt für ukrainische Soldaten
Unterdessen begann die Bundeswehr mit der Ausbildung der ersten ukrainischen Soldaten an der Panzerhaubitze 2000. Die Schulung von bis zu 18 Besatzungen findet an der Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein statt. Zur Verteidigung gegen den russischen Angriff wollen Deutschland und die Niederlande der Ukraine insgesamt zwölf Panzerhaubitzen liefern, davon sieben aus Deutschland. Eine Panzerhaubitze ist ein schweres Artilleriesystem mit einer Kanone auf einem Kettenfahrzeug - ähnlich einem Panzer.
Keine Engpässe durch eingeschränkte Gaslieferungen
Das Bundeswirtschaftsministerium versicherte, dass wegen der eingeschränkten Gaslieferungen derzeit keine Engpässe drohen. "Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist aktuell weiter gewährleistet", sagte eine Sprecherin. Der Großteil des russischen Gases erreicht Deutschland ohnehin über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Derzeit seien die deutschen Gasspeicher zu 38,6 Prozent gefüllt, sagte die Sprecherin. "Was jetzt morgen passiert oder in einer Woche - das ist ja noch unklar."
Betroffen von der Drosselung ist die Pipeline Sojus. Für die Station Sochraniwka in Luhansk wurde keine Aufträge mehr angenommen. Der Betreiber OGTSU berief sich auf "höhere Gewalt". Die Ukrainer deuteten an, dass Russen den Betrieb gestört hätten. Gazprom hielt dagegen, man habe "keinerlei Bestätigungen über Umstände höherer Gewalt" erhalten. Der Konzern betonte erneut, alle seine Verpflichtungen gegenüber europäischen Kunden zu erfüllen. Die Ukraine bekommt für die Durchleitung des Gases hohe Gebühren.
Weiter schwere Kämpfe im Süden und Osten der Ukraine
Im Süden und Osten der Ukraine gibt es weiterhin schwere Kämpfe. Das russische Militär drang gemeinsam mit prorussischen Separatisten bis an die Verwaltungsgrenzen des Gebiets Luhansk vor. In der Nacht zum Mittwoch zerstörten die russischen Truppen nach eigenen Angaben 17 Munitionsdepots und 13 Gefechtsstände. Mindestens 280 ukrainische Soldaten seien getötet worden. Nach ukrainischen Angaben waren erneut auch Wohnhäuser Ziel von russischen Angriffen. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Schicksal der belagerten ukrainischen Soldaten in Mariupol ungewiss
Um das Stahlwerk Azovstal wurde weiterhin gekämpft. Der ukrainische Präsident Selenskyj warf Russland vor, jeden Vorschlag zum unbehinderten Abzug von Kämpfern abzulehnen. "Die Verteidiger Mariupols bleiben dort", versicherte Selenskyj. Russland besteht auf deren Kapitulation. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes wurden aber schon mehrere Hundert Kinder, Frauen und ältere Männer evakuiert. Trotzdem sollen sich dort immer noch etwa 100 Zivilisten aufhalten.
Ukraine trauert um ersten Präsidenten
Die Ukraine betrauerte am Mittwoch den Tod ihres ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion, Leonid Krawtschuk. Krawtschuk starb am Montagabend nach langer Krankheit im Alter von 88 Jahren. Der frühere kommunistische Spitzenfunktionär war im Dezember 1991 zum Staatschef gewählt worden. Präsident der Ukraine blieb er bis 1994. In den vergangenen Jahren war er an Bemühungen zur Beilegung des Konflikts im Osten des Landes beteiligt.
Das bringt der Donnerstag
An diesem Donnerstag beginnt unter deutschem Vorsitz ein Treffen der Außenminister der G7-Gruppe aus sieben westlichen Industrienationen, bei dem der Krieg in der Ukraine wichtigstes Thema sein wird. An den Gesprächen in Wangels an der Ostsee nehmen zeitweise auch die Außenminister der Ukraine und der Republik Moldau teil. Gastgeberin ist Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die erst am Dienstag zu einem Besuch in der Ukraine war./cs/DP/jha
Quelle: dpa-Afx