BERLIN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Ärger um die Impfstoffe von Astrazeneca
Hintergrund der Aufregung um die Impfstoffe ist, dass Astrazeneca in Deutschland nur noch für die über 60-Jährigen empfohlen wird. Der Einsatz für Jüngere bleibt nach ärztlichem Ermessen bei Menschen ohne höheres Blutgerinnsel-Risiko freiwillig möglich. Der Grund für die Einschränkung ist, dass es zuletzt 42 Verdachtsfälle einer Sinusvenenthrombose nach Astrazeneca-Impfung gab. 3,8 Millionen Mal wurde Astrazeneca inzwischen in Deutschland verimpft. Von den 42 Fällen sind 35 Frauen zwischen 20 und 63 Jahren betroffen gewesen. 8 Betroffene starben. In Dänemark wird die Impfkampagne nun ganz ohne das Präparat des britisch-schwedischen Unternehmens fortgesetzt.
BESCHLUSS ZU ASTRAZENECA:
Die Gesundheitsminister der Länder beschlossen im Einklang mit der Ständigen Impfkommission, dass es für Menschen unter 60 mit einer Astrazeneca-Erstimpfung nun zwei Optionen gibt: Zweitimpfung mit Biontech/Pfizer oder Moderna oder Zweitimpfung mit Astrazeneca. Voraussetzung für die zweite Option ist die gemeinsame Entscheidung mit dem Arzt nach ärztlichem Ermessen, Risikoanalyse und Aufklärung. "Dies soll grundsätzlich in den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte erfolgen." Gleiches gilt für Personen unter 60 aus den Vorranggruppen eins und zwei der Impfpriorisierung. Ansonsten soll Astrazeneca für Menschen über 60 zum Einsatz kommen. Beschlossen wurde, dass die Länder auch die 60- bis 69-Jährigen für diesen Impfstoff mit in ihre Impfkampagne einbeziehen können. So könne "diese besonders gefährdete und zahlenmäßig große Altersgruppe angesichts der wachsenden dritten Welle nun schneller" geimpft werden.
IMPFQUOTEN BEI 60 PLUS:
Millionen Menschen über 60 haben noch gar keinen Impfschutz. Laut Statistischem Bundesamt gibt es in Deutschland rund 28,5 Millionen Menschen über 60. Laut Robert Koch-Institut (RKI) schwanken die Quoten der Erstgeimpften in dieser Altersgruppe in den Ländern zwischen 30,5 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 35,8 Prozent in Niedersachsen am unteren Ende der Skala - und 47,3 Prozent beim Spitzenreiter Bremen. Für manche Länder gibt es keine Angaben.
STREIT UM ASTRAZENECA:
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Gassen, kritisierte, dass die Hausärzte nun weniger Biontech-Impfstoff als zu Beginn und dafür auch Astrazeneca bekommen. Die Impfkampagne werde so massiv ins Stocken geraten, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch). "Das darf nicht passieren!" Ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wies Gassens Behauptung zurück, dass die Impfstoff-Lieferungen an die Arztpraxen halbiert würden. "Vielmehr steigert sich die Impfstoffmenge stetig. Außerdem war immer klar, dass nach zwei Wochen die Praxen Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller bekommen." In der laufenden Woche gehen rund eine Million Biontech-Dosen an die Arztpraxen, in der kommenden Woche sollen es rund 462 000 Dosen Biontech und gut 554 000 Dosen Astrazeneca sein, in der letzten Aprilwoche dann 1,16 Million Dosen Biontech und 343 000 Dosen Astrazeneca. Brandenburg setzt seine Einladungen zur Impfung aus, um mit den vorhandenen Biontech- und Moderna-Dosen Astrazeneca bei Zweitimpfungen zu ersetzen.
VORGEZOGENE BIONTECH-LIEFERUNGEN:
Biontech und Pfizer wollen bis Ende Juni zusätzlich 50 Millionen Dosen Corona-Impfstoff an die EU-Staaten liefern, wie von der Leyen mitteilte. Es handele sich um eine Lieferung, die aus dem vierten Quartal vorgezogen werde. Im zweiten Quartal von April bis Juni kämen somit insgesamt 250 Millionen Dosen Impfstoff von Biontech/Pfizer. Die Lieferung werde nach Bevölkerungsanteil auf die 27 EU-Staaten verteilt. Dieser liegt für Deutschland bei 18,6 Prozent. Von der zusätzlichen Lieferung kann Deutschland also rechnerisch gut 9 Millionen Dosen erwarten. Dies könnte mögliche Ausfälle beim Impfstoff von Johnson & Johnson zum Teil wettmachen. Von der Leyen kündigte zudem Verhandlungen mit Biontech/Pfizer über weitere 1,8 Milliarden Impfdosen für die Zeit von 2021 bis 2023 an.
JOHNSON @ JOHNSON:
Die Folgen des Impfstopps mit dem Präparat von Johnson & Johnson in den USA und die Verzögerungen des Marktstarts in der EU sind unklar. Grund waren auch hier Berichte über Hirnvenenthrombosen. In den USA waren sechs Fälle erfasst worden. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) will kommende Woche ein Gutachten dazu abgeben. Bis dahin könne der Impfstoff aber weiter uneingeschränkt eingesetzt werden - die "Vorzüge des Impfstoffes, Covid-19 zu verhindern", seien höher zu bewerten als die Risiken von Nebenwirkungen. In der EU ist der Impfstoff zugelassen. In Deutschland sollen im zweiten Quartal 10,1 Millionen Dosen und 2021 insgesamt 36,7 Millionen Dosen geliefert werden.
STAND DER IMPFUNGEN UND LIEFERPROGNOSEN:
Als erstes Bundesland hat Bremen die 20-Prozent-Marke bei den Erstgeimpften überschritten, gefolgt vom Saarland mit 19,3 Prozent der Bevölkerung. Die Schlusslichter sind laut nationalem Impf-Dashboard Hessen und Mecklenburg-Vorpommern mit unter 16 Prozent. Insgesamt sind bundesweit nun 16,9 Prozent mit mindestens einer Impfung ausgestattet. 19 Millionen Impfdosen wurden verabreicht. 530 000 kamen am Vortag hinzu. Im zweiten Quartal sollen nun insgesamt knapp 50 Millionen Biontech/Pfizer-Dosen ankommen, bis zu 15,4 Millionen von Astrazeneca, 10,1 von Johnson @ Johnson, 6,4 Millionen von Moderna und 1,4 Millionen von Curevac
Quelle: dpa-Afx