DONAUESCHINGEN (dpa-AFX) - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat Union und SPD eine Mitverantwortung für die Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs gegeben. "Jetzt fallen uns die strategischen Fehlentscheidungen der letzten Bundesregierungen auf die Füße", sagte Kretschmann am Samstag beim Parteitag der Südwest-Grünen in Donaueschingen. Sie hätten Deutschland von russischem Öl, Kohle und Gas abhängig gemacht und zugeschaut, wie Gazprom
Dagegen leiste Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der härtesten Energiekrise seit Bestehen der Bundesrepublik Großes. "Er hat in nur sieben Monaten dafür gesorgt, dass wir heute von russischem Öl und russischer Kohle unabhängig sind und dass die Gasspeicher trotzdem zu 90 Prozent gefüllt sind", sagte Kretschmann unter großem Applaus der 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Parteitag.
Der einzige grüne Ministerpräsident in Deutschland nahm Habeck auch gegen Kritik in Schutz. "Es ist keine Schande, in einer Krise auch mal nachzubessern." Die "Ex-Post-Schlaumeier", die hinterher alles besser wüssten, seien in der Krise keine Hilfe. Wer jetzt behaupte, die Gasumlage sei Murks, müsse erstmal eine Alternative vorstellen.
Dass bei dem "Wahnsinnstempo" auch mal etwas schiefgehe, sei ganz normal, sagte Kretschmann. Es sei unredlich, Habeck wegen einer missverständlichen Formulierung in einer Talkshow oder eines handwerklichen Fehlers "runterzumachen". Es müsse Schluss sein mit der ständigen Empörungskultur. Der Regierungschef ermahnte vor allem die Union und die Sozialdemokraten: "Angesichts dessen, in welche energiepolitische Abhängigkeit von Russland uns CDU und SPD in den letzten 20 Jahren gebracht haben, da würde ich mir schon ein bisschen mehr Demut wünschen."
Vor dem Bund-Länder-Treffen am Mittwoch warnte Kretschmann die Ampel davor, den Ländern einen großen Teil der Kosten des Entlastungspakets aufzuhalsen. "Es geht einfach nicht, dass der Bund meint, er müsse die Länder nur über seine Beschlüsse informieren und ihnen dann die Rechnung präsentieren." Gerade in der Krise sei eine faire Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern nötig. Wichtig sei, dass bedürftige Haushalte unterstützt würden und der Staat eine Insolvenzwelle verhindere.
Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte Anfang September ein drittes Maßnahmenpaket als Ausgleich für die rasant steigenden Preise vorgestellt, dessen Umfang sie auf etwa 65 Milliarden Euro schätzt. Kritik daran kam nicht nur aus Baden-Württemberg, sondern auch aus anderen Ländern.
Die grün-schwarze Landesregierung befürchtet, dass sich das Land Baden-Württemberg und die dortigen Kommunen mit etwa 4,8 Milliarden Euro an dem Entlastungspaket der Ampel beteiligen müssen. Kretschmann fordert wie andere Länder-Regierungschefs eine höhere Beteiligung des Bundes. An diesem Mittwoch verhandeln die Ministerpräsidenten in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über das Paket.
Um unabhängiger von Gas, Öl und Kohle zu werden, will Kretschmann bald eine Solarpflicht auch für ältere Gebäude einführen. "Jedes geeignete Haus im Land soll ein kleines Sonnenkraftwerk werden." Er hoffe, dass die grün-schwarze Koalition im nächsten Jahr soweit sei, die generelle Pflicht zu beschließen. Er wisse, dass das nicht von heute auf morgen gehe - auch weil die Krise viele Haushalte finanziell stark belaste. Aber bis 2035 sei das machbar und zumutbar. Bei den jüngsten Verhandlungen über das Klimaschutzgesetz war diese Pflicht zunächst auf Druck der CDU ausgeklammert worden.
Kretschmann verwies auf das Potenzial einer Solardachpflicht. Wenn alle geeigneten Dächer mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet würden, könne man 60 Terawattstunden Strom erzeugen. Das entspreche der Jahresleistung von mehr als fünf Atomkraftwerken. Damit könne man 17 Millionen Haushalte versorgen und damit dreimal mehr als Baden-Württemberg habe. Es gebe viele Bedenken gegen eine solche Ausweitung der Pflicht - bisher muss bei Neubauten und bei grundlegenden Dachsanierungen eine Solaranlage installiert werden. Kretschmann sagte: "Wir brauchen weniger Verhinderungskultur und mehr Ermöglichungskultur."/hot/DP/he
Quelle: dpa-Afx