DANBURY/PULLACH (dpa-AFX) - Der weltgrößte Gasekonzern Linde bekommt die Auswirkungen der weltweiten Coronavirus-Pandemie zu spüren. Das Gewinnziel für das laufende Jahr kappte das Dax-Unternehmen im Mai. Mit einer leichten Erholung rechnet Konzernchef Steve Angel ab dem dritten Quartal. Allerdings soll es nicht steil aufwärts gehen. Großes Potenzial sieht Angel im Geschäft mit so genanntem grünem Wasserstoff, dass er kräftig ausbauen will. Die wichtigsten Punkte für das Unternehmen, was die Experten sagen und wie es für die Aktie läuft:
DAS IST LOS BEI LINDE:
Linde ist seit der Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair im Jahr 2018 der weltgrößte Anbieter von Industriegasen. Der Konkurrent der französischen Air Liquide beliefert die Auto-, Öl-, Chemie- und Metallindustrie genauso wie Lebensmittelhersteller und Krankenhäuser. Den Löwenanteil seiner Umsätze und Gewinne erwirtschaftet Linde in Amerika, jeweils gut 20 Prozent der Erlöse kommen aus Europa und Asien. Weltweit beschäftigt die Linde plc 80 000 Mitarbeiter. Hauptaktionäre sind angelsächsische Investoren.
Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie hinterlassen auch beim weltgrößten Gasekonzern ihre Spuren. Das Gewinnziel für das laufende Geschäftsjahr reduzierte der Vorstand Anfang Mai. Im ersten Quartal hatte der Dax-Konzern noch einen Gewinnzuwachs im Rahmen der alten Prognose erreicht. Das zweite Quartal werde aber das schwierigste für Linde werden, warnte Steve Angel in einem Interview mit dem "Handelsblatt".
Mit einer leichten Erholung rechnet der Linde-Chef ab dem dritten Jahresviertel. "Doch steil wird es nicht bergauf gehen", sagte er. Kunden wie die Autoindustrie seien auf funktionierende Lieferketten angewiesen und könnten die Produktion nicht von einem auf den anderen Tag wieder hochfahren. Deshalb gehe er von einem Volumenrückgang im Gesamtjahr im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich aus.
Zukünftig will der Linde-Chef vor allem das Geschäft mit grünem Wasserstoff massiv ausbauen. "Die Dekarbonisierung, also die Senkung des Ausstoßes von Kohlenstoffdioxid, ist überall auf der Welt der große Trend", sagte Angel dem "Handelsblatt". Europa beispielsweise plane, seine Konjunkturprogramme mit der Reduzierung von CO2 zu verknüpfen. Grüner Wasserstoff, der durch erneuerbare Energien gewonnen wird, werde dabei eine große Rolle spielen. Das gelte auch für China, Südkorea und Japan.
Linde macht laut Angel schon heute mehr als zwei Milliarden Dollar Umsatz mit der Produktion, dem Vertrieb, der Speicherung und der Anwendung von Wasserstoff. "Und angesichts der erwarteten Investitionsvorhaben von mehr als 100 Milliarden Dollar denke ich, dass sich unser Wasserstoffgeschäft in Zukunft vervierfachen könnte", sagte er. Linde unterzeichnete erst jüngst unter anderem eine Absichtserklärung mit China Power und China National Offshore Oil Corporations (CNOOC) zur Entwicklung und zum Ausbau von grüner Wasserstofftechnologie.
Seit dem Zusammenschluss trimmt Vorstandschef Angel den Konzern auf Profitabilität. Dies kam Linde 2019 zugute - trotz schwacher Konjunktur machte der Konzern mehr Gewinn. Um noch profitabler zu werden, will Angel im deutschen Gasegeschäft 834 der rund 7000 Stellen abbauen. Ob Linde über die in Deutschland mit der IG Metall vereinbarten Arbeitsplätze hinaus weitere Jobs streicht, hängt laut Angel von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung ab.
DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:
Von den acht bei dpa-AFX seit Mitte Mai gelisteten Experten empfehlen sieben die Anteilsscheine zum Kauf. Ein Analyst spricht sich dafür aus, die Papiere zu halten. Bei keinem Experten lautet der Rat, die Aktie zu verkaufen.
Den Branchenexperten Martin Rödiger vom Analysehaus Kepler Cheuvreux stimmen die jüngsten Signale des Managements und der Konkurrenz optimistischer. Das robuste Geschäftsmodell zahle sich aus. Im zweiten Quartal dürfte laut Analyst Peter Spengler von der DZ Bank zwar vor allem das Industriegeschäft in Europa, den USA und Südamerika negativ von der Covid-19-Pandemie betroffen sein. Den langfristigen Gewinntrend der Linde-Aktie sieht er aber weiterhin positiv.
Andrew Stott von der Schweizer Großbank UBS erwartet, dass die Branche durch die Folgen der Corona-Krise zwar nicht so sehr eingebrochen ist wie zunächst gedacht, die jüngste Entwicklung signalisiere aber eine langsamere Erholung.
Mittelfristig dürfte Linde nach Ansicht von Markus Mayer von der Baader Bank vom Geschäft mit grünem Wasserstoff profitieren. Viele Regierungen arbeiteten an einer Wasserstoffstrategie oder hätten sie bereits angekündigt. Dies könne mittelfristig einen starken Effekt auf das Gase- und Anlagengeschäft von Linde haben.
SO LIEF DIE AKTIE ZULETZT:
Im Zuge des Corona-Crashs musste auch die Linde-Aktie bis Mitte März kräftig Federn lassen. Vom zuvor erreichten Höchststand von 208,60 Euro knickte ihr Kurs um 37 Prozent auf 130,45 Euro ein. Mit dem Rückschlag auf das tiefste Niveau seit Herbst 2018 wurde ein Großteil der seit Frühjahr gleichen Jahres laufenden Rally in kürzester Zeit wieder zunichte gemacht.
Doch der harte Einschlag in den Depots der Linde-Anleger ist schon wieder Geschichte. Nachdem sich die Lage zumindest in Europa etwas entspannt und normalisiert hat sowie die Hoffnung eine halbwegs schnelle Erholung der Wirtschaft gestiegen ist, legte die Linde-Aktie wieder kräftig zu - und hat die Verluste aus dem Crash mehr als aufgeholt.
Seit Jahresbeginn liegt das Papier trotz des coronabedingten zwischenzeitlichen Einbruchs im Plus. Am 21. Juli hatte die Aktie auch dank des jüngsten Wasserstoff-Hypes bei 216 Euro ein neues Rekordhoch erreicht.
Die Anteile des Industriegaseherstellers sind seit einiger Zeit gefragt - der Zusammenschluss von Praxair und Linde hat sich für die Investoren bislang voll und ganz ausgezahlt. Seit Ende Oktober 2018 wird die Aktie des fusionierten Unternehmens Linde Plc im Dax gehandelt und hat seitdem fast 50 Prozent an Wert gewonnen - damit liegt das Papier in diesem Zeitraum im Dax-Spitzenfeld.
Die Anteile der Linde Plc knüpften mit ihrer Entwicklung bisher nahtlos an die Gewinne der Anteile an der Linde AG an. Diese hatten sich seit dem Sommer 2016, als die beiden Unternehmen zum ersten Mal über einen Zusammenschluss gesprochen hatten, um fast 40 Prozent verteuert.
Linde ist mit einem Börsenwert von derzeit 111 Milliarden Euro nach dem Softwarekonzern SAP
Quelle: dpa-Afx