MÜNCHEN (dpa-AFX) - Die Corona-Krise scheint den Rückversicherer Munich Re bisher nicht aus der Bahn zu werfen. Das ursprüngliche Gewinnziel für 2020 scheint zwar unerreichbar, doch im Gegensatz zum größten Konkurrenten Swiss Re sind rote Zahlen für die Münchner bisher kein Thema. Im Vergleich zu den Turbulenzen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 scheint der Dax-Konzern diesmal glimpflich davonzukommen. Was beim Unternehmen los ist, was Analysten sagen und wie sich die Aktie entwickelt.

DAS IST LOS BEI DER MUNICH RE:

Die Corona-Pandemie hält die ganze Welt in Atem. Bei der Munich Re, die als Rückversicherer große Risiken von Erstversicherern wie die Allianz und Axa , aber auch von Großkunden rund um den Globus übernommen hat, summierten sich die Corona-Schäden im ersten Halbjahr bereits auf 1,5 Milliarden Euro. Vor allem weil Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele reihenweise ausfallen oder ins nächste Jahr verschoben wurden, muss die Munich Re tief in die Tasche greifen. Auch der Stillstand vieler Betriebe infolge der Krise kommt den Konzern teuer zu stehen.

Hinzu kommt die wachsende Zahl der Corona-Toten in den USA. Nirgendwo sonst auf der Welt drohen Versicherern und Rückversicherern im Lebenssicherungsgeschäft derart hohe Zahlungen.

Dennoch konnte sich die Munich Re bisher klar in der Gewinnzone halten. In den ersten sechs Monaten brach der Überschuss zwar um mehr als die Hälfte auf 800 Millionen Euro ein. Gemessen an der hohen Schadenbelastung infolge der Pandemie fiel der Rückgang aber recht glimpflich aus. Dazu trug auch bei, dass sich die Börsen nach dem Corona-Crash im März wieder berappelt haben. Zudem profitierte die Munich Re von ihrer Erstversicherungstochter Ergo. Das langjährige Sorgenkind konnte seinen Gewinn im ersten Halbjahr sogar steigern.

Zum Vergleich: Der schweizerische Rückversicherer Swiss Re hat infolge der Pandemie bereits Schäden in Höhe von rund 2,5 Milliarden US-Dollar verbucht. Dadurch stand im ersten Halbjahr unter dem Strich ein Verlust von 1,1 Milliarden Dollar.

Wie teuer die Pandemie die Branche am Ende zu stehen kommt, ist bisher schwer einzuschätzen. Die Munich Re hat mehrere Studien zusammengetragen, bei denen die Spanne für die weltweit versicherten Corona-Schäden von 30 bis 107 Milliarden Dollar reicht. Auch deshalb hat sich Vorstandschef Joachim Wenning zu keinem neuen Gewinnziel für 2020 durchgerungen. Finanzvorstand Christoph Jurecka sagte jedoch im Mai, dass ihn rote Zahlen im Gesamtjahr überraschen würden. Die Zahlen des ersten Halbjahrs haben diese Erwartung bisher bestätigt.

Die Munich Re wittert in der Krise allerdings zusätzliche Geschäftschancen. Die Beitragseinnahmen dürften in diesem Jahr mit 54 Milliarden Euro rund zwei Milliarden höher ausfallen als anfangs gedacht. Nur der ursprünglich angepeilte Jahresgewinn von 2,8 Milliarden Euro dürfte unerreichbar bleiben.

Von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragte Analysten rechnen für 2020 im Schnitt mit einem Gewinn von 1,8 Milliarden Euro nach 2,7 Milliarden Euro im Vorjahr. Im nächsten Jahr soll es bis auf 3 Milliarden und 2022 auf 3,2 Milliarden Euro nach oben gehen.

Dabei dürfte der Munich Re zugutekommen, dass das Prämienniveau im wichtigen Schaden- und Unfallgeschäft nach einigen Jahren des Preisverfalls erneut steigen soll. Die hohen Schäden durch die Coronavirus-Pandemie hätten den Trend zu höheren Prämien zusätzlich befeuert, sagt Branchenexperte Johannes Bender von der Ratingagentur Standard & Poor's (S&P).

Die Ratingagentur Moody's hat kurzerhand Rückversicherer-Kunden wie Allianz und Axa befragt. Demnach erwarten die meisten der Erstversicherer, dass sie für Rückversicherungsschutz im nächsten Jahr über 5 Prozent mehr bezahlen müssten als zuletzt. Viele rechneten mit Steigerungen von bis zu 15 Prozent. Voraussichtlich dürften die Preise in keinem Segment sinken, sagt S&P-Analyst Bender. Auch Munich Re und Swiss Re rechnen im nächsten Jahr mit steigenden Preisen. Laut Moody's könnte dieser Trend über 2021 hinaus anhalten.

Dennoch haben die beiden Ratingagenturen ihren Ausblick für die Rückversicherungsbranche unter dem Eindruck der Corona-Krise von "Stabil" auf "Negativ" gesetzt. Die Branche verfüge zwar nach wie vor über ein robustes Kapital, sagte S&P-Analyst Bender. Allerdings hätten die Rückversicherer mehrere Jahre lang ihre Kapitalkosten nicht verdient. Für die Munich Re stehen die Zeichen aber sowohl bei S&P als auch bei Moody's auf "Stabil".

DAS MACHT DIE AKTIE:

Wer sich von Katastrophenschäden und anderen finanziellen Einschlägen nicht verrückt machen lässt, ist als Aktionär der Munich Re in der vergangenen Dekade nicht schlecht gefahren. Seit zehn Jahren hat die Aktie fast 150 Prozent an Wert gewonnen. Auf Fünf-Jahres-Sicht steht immerhin noch ein Plus von rund 50 Prozent zu Buche; auf Sicht von drei Jahren ist es fast genauso viel. Zudem konnten die Aktionäre Jahr für Jahr dicke Dividenden einstreichen.

Auch in der Corona-Krise hat sich das Papier bisher vergleichsweise gut geschlagen. Zwar halbierte sich der Kurs zwischen Mitte Februar und Mitte März von rund 284 auf gut 141 Euro. Doch seitdem ging es wieder deutlich aufwärts. Seit Ende Mai hielt der Kurs trotz weiterer Belastungen infolge der Corona-Krise durchweg über der Marke von 200 Euro. Zuletzt wurde das Papier zu knapp 254 Euro gehandelt. Das sind zwar immer noch knapp vier Prozent weniger als zum Jahreswechsel. Auf Zwölf-Monats-Sicht steht jedoch ein Kursgewinn von fast zwölf Prozent zu Buche.

Wer die Munich Re schon seit der Jahrtausendwende begleitet, kann sich an ganz andere Achterbahnfahrten erinnern. Von fast 400 Euro im Jahr 2000 fiel der Kurs der Munich-Re-Aktie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, dem Zusammenbruch des Neuen Marktes und immensen Verlusten des Rückversicherers im Jahr 2003 auf rund 50 Euro. Nach einer milliardenschweren Kapitalerhöhung ging es - unterbrochen etwa von der Weltfinanzkrise 2008 - mit der Zeit deutlich aufwärts. Selbst die Hurrikan-Serie von 2017 hinterließ nur leichte Spuren beim Aktienkurs.

Mit einem Börsenwert von rund 35 Milliarden Euro befindet sich die Munich Re derzeit im Mittelfeld des deutschen Leitindex Dax. Dabei wird sie nicht einmal halb so hoch bewertet wie ihre Münchner Nachbarin Allianz , die auf eine Marktkapitalisierung von rund 77 Milliarden Euro kommt. Dennoch liegt die Munich Re unter den großen Rückversicherern an der Spitze. Die Swiss Re kommt auf einen Börsenwert von umgerechnet etwas mehr als 23 Milliarden Euro, die deutlich kleinere Hannover Rück auf knapp 18 Milliarden und der französische Rückversicherer Scor nicht einmal auf fünf Milliarden Euro.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die meisten Analysten raten bei der Munich-Re-Aktie nach den Kursgewinnen seit dem Corona-Crash zum Abwarten. Von den 13 Branchenexperten im dpa-AFX Analyser, die ihre Einschätzung seit Anfang April aktualisiert haben, tendieren 8 zum Halten und 5 zum Kauf der Aktie. Im Schnitt schreiben sie dem Papier ein Kursziel von rund 245 Euro zu. Allerdings liegen die Kursziele der Experten teils weit auseinander.

Am pessimistischsten ist Analyst Jonny Urwin von der schweizerischen Großbank UBS mit einem Kursziel von 195 Euro. Mit den Ergebnissen des Schaden- und Unfallgeschäfts im zweiten Quartal konnte die Munich Re ihn zwar überzeugen. Doch die Lebens- und Kranken-Rückversicherung verfehlte seine Erwartungen.

Branchenexperte Jan Lennertz von Independent Research hatte sein Kursziel nach der Halbjahresbilanz der Munich Re von 245 auf 235 Euro gekappt, liegt damit aber weiterhin im Mittelfeld. Seine Einschätzung begründete er mit den teuren Folgen der Corona-Krise für die Munich Re sowie mit der Erwartung, dass die Explosion in Beirut für den Rückversicherer zu einem weiteren Großschaden werden dürfte.

Ganz anders schätzt seine Kollegin Kathryn Fear von der Privatbank Berenberg die Aussichten für die Aktie ein. Sie schreibt dem Papier mit 306 Euro das höchste Kursziel zu. Die in dieser Woche geäußerte Einschätzung, dass die Preise im Rückversicherungsgeschäft im nächsten Jahr weiter steigen dürften, wertet sie als positiv. Die Munich Re dürfte ihrer Ansicht nach zu den Hauptprofiteuren eines steigenden Prämienniveaus gehören.

Die jüngste Entwicklung der Prämieneinnahmen stimmte auch ihren Kollegen Philip Kett vom Analysehaus Jefferies positiv. Zudem bewegten sich die jüngsten Belastungen durch Katastrophenschäden im Rahmen seiner Erwartungen, schrieb er am Dienstag und hob sein Kursziel für die Munich-Re-Aktie von 235 auf 275 Euro an. Konsequenterweise rät er weiterhin zum Kauf./stw/mne/zb

Quelle: dpa-Afx