TOKIO (dpa-AFX) - Die Rückendeckung der Chefs der sieben großen Wirtschaftsmächte um Kanzlerin Angela Merkel kam den Olympia-Machern von Tokio gerade recht. "Das wird uns antreiben, unsere Bemühungen noch zu verstärken", sagte Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, nachdem die G7-Führer ihre Unterstützung bei der Rettung der Sommerspiele in Japan zugesichert hatten. Diese sollen als "Symbol der globalen Einigkeit bei der Bewältigung von Covid-19" dienen, erklärten die Staats- und Regierungschefs. Bei allen hehren Worten steckt dahinter wohl auch der dringende Wunsch, das Milliarden-Spektakel Olympia zu bewahren. Droht doch im Falle einer Komplett-Absage ein enormer finanzieller Schaden.
Was kosten die Tokio-Spiele überhaupt?
Die Olympia-Macher rechnen offiziell mit Ausgaben von rund 12,66 Milliarden Euro, das wäre mehr als eine Verdopplung gegenüber den Plänen bei der Vergabe der Spiele 2013. Die Verschiebung um ein Jahr und die Kosten für die Corona-Maßnahmen allein treiben das Budget um mindestens 2,3 Milliarden Euro in die Höhe. Laut einer Studie der britischen Universität Oxford sind die Spiele in Tokio schon jetzt die teuersten in der Geschichte der Sommerspiele. Das IOC weist diese Berechnung zurück, weil zum Beispiel staatliche Ausgaben für die Infrastruktur nicht allein den Spielen zugute kommen.
Was würde eine Absage finanziell für die Gastgeber bedeuten?
Ein Großteil des Geldes für die Arenen, vorbereitende Arbeiten und Werbemaßnahmen ist bereits ausgegeben. Der Löwenanteil der Kosten kommt am Ende auf Japans Steuerzahler zu - vor allem im Fall einer Absage. Dann würde das Finanzierungsmodell der Organisatoren kräftig wackeln. Japanische Sponsoren sollen allein rund 2,7 Milliarden Euro in die Kassen spülen. Der Ticketverkauf soll mindestens 660 Millionen Euro bringen. Hinzu kommt der Anteil des IOC von rund 660 Millionen Euro, von den Top-Sponsoren des Ringe-Zirkels sollen noch einmal mehr als 410 Millionen Euro fließen. Insgesamt sind im Organisationsetat Einnahmen von 5,5 Milliarden Euro geplant. Bei einer Absage ist fraglich, wie viel davon übrig bleibt.
Welches Risiko trägt das IOC?
Olympische Spiele sind das Kern-Produkt des Ringe-Zirkels. Die Vermarktung der Sommer- und Winterspiele bringt längst Milliarden. Für den Vierjahreszeitraum von 2013 bis 2016 mit den Spielen in Sotschi und Rio wies das IOC einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar aus, nach derzeitigem Kurswert wären das 4,7 Milliarden Euro. Rund drei Viertel des Geldes kommen aus dem Verkauf der TV-Rechte. Für Tokio dürften diese Rechte bis zu 2,5 Milliarden Euro wert sein. Die sogenannten Top-Sponsoren überweisen ebenfalls hunderte Millionen an das IOC. Fallen die Tokio-Spiele komplett aus, würden die bereits vom IOC verkauften Rechte massiv an Wert verlieren. Rückforderungen oder ein anderer Ausgleich wären zu erwarten.
Wäre eine Absage ein Fall für die Versicherungen?
Das IOC sichert sich seit den Boykott-Spielen von Moskau 1980 gegen einen Olympia-Ausfall ab. Auch die japanischen Organisatoren dürften entsprechende Policen abgeschlossen haben. Unklar ist, in welcher Höhe Versicherer einspringen würden. Der "Financial Times" zufolge könnte der Rückversicherer Swiss Re 250 Millionen Dollar auszahlen müssen, auch auf die Münchner Rück und Lloyds of London könnten Berichten zufolge hohe Forderungen zukommen. Der IOC-Partner Allianz beziffert seine möglichen Kosten auf einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. Offen ist, ob Vertragsklauseln eine Auszahlung der Summen unter Verweis auf die Corona-Pandemie verhindern könnten.
Wie schwer würde ein Olympia-Ausfall die Weltverbände treffen?
Die Verschiebung habe die Hälfte der 33 Sommersportverbände in erhebliche finanzielle Nöte gebracht, sagte jüngst Dachverbandschef Francesco Ricci Bitti. Das IOC schüttet einen Großteil seiner Einnahmen an die internationalen Fachverbände und die 206 Nationalen Olympischen Komitees aus. Verteilt wird das Geld nach Größe und Bedeutung. Experten zufolge speist sich der Etat der Weltverbände im Schnitt zu einem Drittel aus den Olympia-Geldern. Einige Verbände nahmen wegen der Verlegung zinslose Darlehen vom IOC, das große finanzielle Reserven aufgebaut hat, in Anspruch. Eine Olympia-Absage würde weitere Einschnitte zur Folge haben.
Wie stark wären der Deutsche Olympische Sportbund und die nationalen Fachverbände betroffen?
30 Millionen Euro erhält der DOSB im Vierjahreszeitraum vom IOC. DOSB-Präsident Alfons Hörmann fürchtet "dramatische finanzielle Einschläge" bei einer Olympia-Absage. Jeder Stützpunkt würde die Folgen spüren, meint er. Beim Turner-Bund rechnet man zumindest nicht mit unmittelbaren Konsequenzen, da die Sportförderung trotzdem fließt und von den Sponsoren "erhebliche Kompensationsleistungen" im Absagefall zu erwarten seien. Der Judo-Bund verweist auf die bereits getätigten Ausgaben für die Olympia-Qualifikationen. Gerade kleinere Sparten wie der Schützenbund fürchten sinkende Prämien und steigende Startgebühren, wenn den Weltverbänden die Olympia-Einnahmen fehlen. Die größte Sorge aber teilen alle: Ohne die große Olympia-Bühne fehlt die Chance, werbewirksam um Mitglieder, Sponsoren und Fans zu buhlen und zumindest kurz aus dem Schatten des Fußballs zu treten.
Welche Einbußen müssen die Athletinnen und Athleten fürchten?
Die Sporthilfe errechnete schon im Vorjahr einen Einnahmeverlust von insgesamt rund sechs Millionen Euro bei den 466 Mitgliedern des deutschen Kaders für Olympia und Paralympics. Der Grund: kaum Antritts- und Preisgelder durch fehlende Wettbewerbe und zugleich geringere Sponsorenleistungen. Das ist ein Trend, der sich 2021 noch fortsetzt. Olympische Auftritte sind einzigartige Vermarktungschancen für die meisten Sportler, besonders für Medaillengewinner. Zwar bleiben Leistungen von Sporthilfe und Sportförderung konstant, doch ein olympischer Erfolg steigert die Verdienstaussichten deutlich. Durch eine Tokio-Absage entginge vielen diese Karrierechance./hc/DP/eas
Quelle: dpa-Afx