BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die zähe Corona-Impfkampagne in der Europäischen Union könnte nun endlich Fahrt aufnehmen. In den nächsten drei Monaten soll dreimal so viel Impfstoff kommen wie seit Jahresbeginn, wie Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Donnerstag beim EU-Videogipfel darlegte. Produktion, Lieferung und Abgabe sollen weiter hochgefahren werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich erneut hinter diesen europäischen Weg. Streit gab es zwischen den 27 Staaten aber über die interne Verteilung der Impfstoffe.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz beharrte bei der Videokonferenz darauf, dass einige EU-Staaten zusätzlichen Corona-Impfstoff bekommen sollen. Zusammen mit fünf weiteren EU-Staaten beklagt Kurz eine ungleiche Verteilung. Sie kommt dadurch zustande, dass nicht alle EU-Staaten die ihnen nach Bevölkerungszahl zustehenden Mengen von allen Herstellern gekauft hatten. Die Lieferschwierigkeiten von Astrazeneca werfen einige Staaten zurück.
Eine vorgezogene Lieferung von zehn Millionen Dosen des Herstellers Biontech/Pfizer könnte einige Löcher stopfen. Doch gelang vor dem Gipfel keine Einigung über die Aufteilung. In der Videokonferenz wurde nach Angaben von Teilnehmern "hart argumentiert". Kurz hatte vorab gesagt, wenn es keine Lösung gebe, könne das einen Schaden für die EU nach sich ziehen, "wie wir es schon lange nicht erlebt haben". Der Streit zog sich über Stunden hin.
Insgesamt sind überall in der EU die Impfstoffe noch zu knapp, um steigenden Infektionszahlen in der dritten Corona-Welle Paroli zu bieten. Von den knapp 450 Millionen EU-Bürgern sind bisher 62 Millionen mindestens einmal gegen Corona geimpft worden, 18,2 Millionen Menschen zweimal. Die EU-Staaten erhielten von den Pharmakonzernen bisher rund 88 Millionen Impfdosen. Bis 31. März sollen es rund 100 Millionen Dosen sein. Für die Monate April bis Juni hätten die Pharmakonzerne dann 360 Millionen zugesagt, sagte von der Leyen.
Die Kommissionschefin legte auch dar, dass trotz des Impfstoffmangels in der EU erhebliche Mengen exportiert wurden: Seit 1. Dezember waren es 77 Millionen Dosen, davon gingen nach Angaben aus EU-Kreisen allein 21 Millionen Dosen an Großbritannien. Von der Leyen nutzte die Zahlen, um bei den Staats- und Regierungschefs um Unterstützung für verschärfte Exportkontrollen zu werben. Einige Staaten haben jedoch Bedenken, dass EU-Maßnahmen Lieferketten beschädigen könnten. Gipfelteilnehmer hätten darauf gedrungen, mit größter Vorsicht und nach Rücksprache mit Herstellern und EU-Staaten vorzugehen, hieß es.
Bundeskanzlerin Merkel hatte morgens in einer Regierungserklärung im Bundestag darauf hingewiesen, dass Großbritannien und die USA derzeit nur für sich selbst Impfstoffe produzierten. Deshalb sei die EU auf längere Sicht auf die eigene Produktion angewiesen, sagte die CDU-Politikerin. Sie bekannte sich zur Impfstoffversorgung "für die Welt". Sonst werde Europa immer wieder mit neuen Mutationen des Virus konfrontiert werden.
Merkel verteidigte erneut den europäischen Weg. "Bei allen Beschwerlichkeiten glaube ich, dass sich in der Pandemie wieder gezeigt hat, dass es gut ist, dass wir diese Europäische Union haben." Ausdrücklich nannte sie auch die Impfstoffbeschaffung. "Es war richtig, auf die gemeinsame Beschaffung und Zulassung von Impfstoffen durch die Europäische Union zu setzen." Hätten einzelne Staaten Impfstoff und andere nicht, würde dies "den Binnenmarkt in seinen Grundfesten erschüttern", sagte Merkel.
Mit Volldampf will die EU die Pläne für ein "digitales grünes Zertifikat" umsetzen, mit dem künftig in ganz Europa Impfungen, Tests oder eine überstandene Covid-Erkrankung nachgewiesen werden können, wie aus dem Entwurf der Gipfelerklärung hervorging. Das Zertifikat gilt als ein Weg, wieder mehr Reisen in Europa zuzulassen. Deutschland unterstützt das Ziel, dass die Technik bis 1. Juni steht.
Der Kampf gegen die Corona-Krise war Topthema des Videogipfels. Doch hatten Merkel und ihre Kollegen darüber hinaus brisante Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Digitalisierung sowie zu den Beziehungen zu Russland und zur Türkei auf der Agenda. US-Präsident Joe Biden wollte sich am Abend (20.45 Uhr) zeitweise zuschalten und über den Neustart der transatlantischen Beziehungen sprechen./wim/DP/mis
Quelle: dpa-Afx