VENLO (dpa-AFX) - Das Biotechnologie- und Diagnostik-Unternehmen Qiagen hat gute Chancen auf einen Aufstieg in den bald auf 40 Mitglieder erweiterten Dax . Auch abseits der Index-Neubesetzung durchlebt Qiagen bewegende Zeiten. Zur Lage des Unternehmens, was die Aktie macht und was Analysten sagen.

LAGE DES UNTERNEHMENS:

2019 steckte Qiagen noch wegen Problemen bei bestimmten Produktgattungen in der Bredouille und wurde zum Übernahmekandidaten. Doch schon bevor der Übernahmeversuch des US-Konzerns Thermo Fisher Scientific im August 2020 am mangelnden Interesse der Qiagen-Aktionäre scheiterte, wendete sich das Blatt. Die Corona-Pandemie bescherte dem MDax-Unternehmen einen kräftigen Anstieg der Nachfrage nach seinen Covid-Tests.

Die Firma mit Sitz der Holding im niederländischen Venlo und operativem Hauptquartier im beschaulichen Hilden in Nordrhein-Westfalen rüstete auf: Sie erhöhte die Produktionskapazitäten, vergrößerte die Belegschaft, führte Sieben-Tage-Schichten ein und schrieb 2020 nach einem enorm verlustreichen Vorjahr wieder schwarze Zahlen.

Doch durch die weltweiten Impfkampagnen wird aufwändiges Testen inzwischen immer weniger nötig. Für viele überraschend senkte der Konzern vor wenigen Wochen seine Prognosen für 2021, nachdem der Umsatz mit Produkten rund um Covid-19 im zweiten Quartal eingebrochen war. Die Qiagen-Führung um Unternehmenschef Thierry Bernard musste einräumen, dass sie die Nachfrage nach Tests überschätzt hatte.

War die Umsatz- und Gewinnwarnung auch ein Schock für die Anleger, ist der Qiagen-Vorstand doch äußerst zuversichtlich. Denn die Nachfrage nach den übrigen Produkten des Unternehmens außerhalb der Corona-Angebotspalette zieht inzwischen steil an. Zudem verkaufte Qiagen in der Pandemie auch von seinen wichtigsten Diagnostikgeräten ein Mehrfaches der üblichen Mengen. Damit sind nun Analyseplattformen im Markt, die sich auch um Testkits auf andere Krankheiten erweitern lassen.

Hieran knüpft das Qiagen-Management große Hoffnungen. Da der Konzern nach der gescheiterten Übernahme durch Thermo Fisher allein weitermachen will, braucht er nachhaltige Wachstumstreiber. Nicht die Corona-Tests, sondern das Non-Covid-Portfolio ist somit entscheidend. Derzeit setzt das Management auf fünf Pfeiler: Neben Probentechnologien und dem Tuberkulosetest Quantiferon gehören dazu drei Analysegeräte, deren Anwendungsmöglichkeiten beständig ausgebaut werden. Damit zielt Qiagen auch auf wichtige Trendthemen wie Gentherapien. Die Produkte des Konzerns kommen aber auch schon seit langem in der Forensik zum Einsatz.

Hin und wieder flammen erneut Gedankenspiele am Markt auf, wonach eine Übernahme Qiagens doch noch möglich sein könnte. Doch dem erteilt das Management eine Absage. Stattdessen will Qiagen selbst als Käufer auftreten. Finanzchef Roland Sackers bekundete erst kürzlich in einem Interview großes Interesse an einer Erweiterung des Test-Portfolios. Auch schielt er auf einen erweiterten Zugang zur Bioinformatik. Ferner könnte Qiagen laut Sackers im Fall eines Dax-Aufstiegs von seiner bisherigen Absage an Dividenden abrücken. Das Mittel der Wahl waren bislang Aktienrückkäufe.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die meisten Experten hatten sich zuletzt zur Prognosekürzung im Juli geäußert. Von den elf bei dpa-AFX gelisteten Analysten stimmt mit sechs die knappe Mehrheit mit "Halten". Dem stehen fünf Kaufvoten gegenüber. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei knapp 44 Euro und damit knapp 7 Prozent unter dem aktuellen Kurs.

Zu den Experten, die die Seitenlinie bevorzugen, gehört Jefferies-Analyst Peter Wolford. Er senkte zuletzt in Reaktion auf den gekappten Unternehmensausblick sein Kursziel auf 40 Euro, liegt damit aber inzwischen ebenfalls deutlich unter dem aktuellen Niveau. Grundsätzlich äußerte sich Wolford aber positiv: Er bleibe hoffnungsfroh, dass derzeit eine "neue Qiagen" mit einem konsequenteren Fokus, einer klareren Vision und mehr Transparenz hinsichtlich ihrer wichtigsten Treiber entstehe. Längerfristig sieht der Experte einen robusten organischen Wachstumstrend bei dem Unternehmen, jedoch werde dieser Pluspunkt kurzfristig durch die Covid-19-Hürde verzerrt.

Den Analysten Scott Bardo von der Privatbank Berenberg erinnerten die gekürzten Jahresziele schmerzlich an Enttäuschungen durch das Unternehmen aus früheren Jahren. Letztlich habe sich Qiagen zuvor aber zu ehrgeizige Ziele gesetzt. Bardo hält an seiner Kaufempfehlung für die Aktie fest und lobte das gut laufende Non-Covid-Portfolio. Qiagen habe zudem seinen Umsatzausblick stärker gekürzt als die Gewinnziele, was auf bessere Margen hindeute als gedacht. Zudem sei der angekündigte Aktienrückkauf im Volumen von bis zu 100 Millionen Dollar ein Schritt in die richtige Richtung.

Auch den beiden wichtigsten Analysegeräten des Konzerns (Neumodx, Qiastat-Dx) bescheinigte der Experte trotz zuletzt enttäuschender Absatzzahlen eine gute Zukunft abseits der Pandemie. Dies werde aber erst ab 2023 genauer zu sehen sein, wenn Qiagen für diese Geräte ein umfangreicheres Testmenü anbiete, so Bardo.

Laut dem Experten Ulrich Huwald von Warburg Research birgt die gekürzte Konzernprognose aber eine besondere Brisanz: Der Schritt sei explosiv, da der ausgeübte Druck auf den Qiagen-Aufsichtsrat zuletzt größer geworden sei. Investoren hätten die Aufseher für eine Nichterfüllung der Erwartungen verantwortlich gemacht. Die Forderung nach einer Umbesetzung des Gremiums sei aber auf der Hauptversammlung nicht erfolgreich gewesen.

DAS MACHT DIE AKTIE

Der Kurseinbruch nach der Prognosekürzung Mitte Juli ist am Markt schon längst wieder verdaut. Erst im August erreichte die Qiagen-Aktie den höchsten Stand seit Ende 2000. Nach einem Kursplus von fast 40 Prozent im vergangenen Jahr liest sich die bisherige Bilanz für 2021 zwar nicht ganz so üppig. Nach einem holprigen Verlauf hat die Aktie seit Jahresbeginn aber immerhin rund elf Prozent an Wert gewonnen.

Experten attestierten dem Konzern zuletzt recht gute Chancen auf einen Aufstieg in den künftig erweiterten deutschen Leitindex. Nach Berechnungen des Index-Experten Luca Thorißen von Stifel Europe dürften die Qiagen-Aktien ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen um die letzten noch freien Plätze im Dax in den letzten Handelstagen im August für sich entschieden haben - ebenso wie Papiere des Sportartikelherstellers Puma .

Auf längere Sicht hat sich ein Investment in Qiagen allemal gelohnt: Binnen zehn Jahren hat sich der Wert der Aktie mehr als vervierfacht. Mit einer Marktkapitalisierung von knapp 11 Milliarden Euro bringt Qiagen auch deutlich mehr Gewicht auf die Börsenwaage als seine Branchen- und MDax-Kollegen Evotec (knapp 7 Milliarden Euro) und Morphosys (1,7 Milliarden Euro)./tav/stw/nas

Quelle: dpa-Afx