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BERLIN (dpa-AFX) - Wohin mit dem Abfall? Diese Frage ist beim Thema Atomkraft besonders schwer, zu beantworten. Bis 2031 sollte eigentlich geklärt sein, wo in Deutschland hochradioaktive Abfälle langfristig gelagert werden sollen. Doch daraus wird nichts, wie das Bundesumweltministerium am Donnerstag bestätigte. Das Verfahren zur Standortsuche könne "unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen an die Auswahl des Standortes mit der bestmöglichen Sicherheit nicht bis zum Jahr 2031 abgeschlossen werden", teilte das Ministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Diese Zielmarke steht eigentlich im eigens für den Prozess geschaffenen Standortauswahlgesetz.
Es sei dem Gesetzgeber damals wichtig gewesen, dass mit dem Verfahren zügig begonnen wird, erklärte ein Sprecher des Ministeriums. "Dies war der Hintergrund, dass bei der Novelle des Standortauswahlgesetzes im Jahr 2017 die Jahreszahl 2031 nicht gestrichen wurde." Die Endlagerkommission habe 2016 für das Standortauswahlverfahren eine große Spannbreite für den Zeitbedarf abgeschätzt. "Überraschend wäre es daher gewesen, wenn die aktuelle Terminplanung 2031 hätte bestätigen können."
Dass der ambitionierte Zeitplan wackelt, hatte sich bereits im Vorfeld abgezeichnet. So hatte die "Ostsee-Zeitung" vor einigen Tagen unter Berufung auf das Bundesamt für die Sicherheit nuklearer Entsorgung (BASE) über Verzögerungen berichtet. Nun folgte die Bestätigung der obersten Atomaufsicht.
Vorausgesetzt es bleibt dabei, dass die noch bestehenden drei Atomkraftwerke spätestens im kommenden Frühjahr den Betrieb einstellen, bleiben 1900 Behälter mit 27 000 Kubikmetern hochradioaktivem Müll aus der Atomkraft-Ära übrig. Dieser soll tief unter der Erde verschwinden an einem Standort, der für eine Million Jahre die bestmögliche Sicherheit bietet. Die Suche nach einem solchen Ort birgt Konfliktpotenzial. Das zeigte kürzlich auch die Aufregung über die Entscheidung der Schweiz, unweit der deutschen Grenze ein Atommüll-Endlager bauen zu wollen.
In den 70ern hatten die politischen Entscheidungsträger das niedersächsische Bergwerk Gorleben ohne Mitbestimmung der Bevölkerung als Endlager-Standort festgelegt - und damit große Proteste ausgelöst. Die vor wenigen Jahren neu aufgelegte Suche soll nun nicht nur geowissenschaftliche Daten berücksichtigen, sondern auch transparent und fair ablaufen - eine Mammutaufgabe, für die seit 2017 die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zuständig ist.
Die BGE hat laut Umweltministerium nun ein Dokument vorgelegt, in dem "erstmals unter Berücksichtigung von Terminrisiken und Beschleunigungspotenzialen Zeitkorridore für sämtliche Phasen des Standortauswahlverfahrens dargestellt" würden. Auf dieses Papier stützt sich das Ministerium von Steffi Lemke (Grüne) in seiner Bestätigung des nicht mehr zu haltenden Datums.
Zur Beteiligung der Bevölkerung hat die BGE bereits viele Gespräche geführt. Die Zahl der in Frage kommenden Gebiete hat sie unter Berücksichtigung von Ausschlusskriterien auf 90 eingegrenzt. 54 Prozent der Fläche Deutschlands gelten demnach als geologisch geeignet, das künftige Atommüll-Endlager zu beherbergen. Im nächsten Schritt steht mittels Sicherheitsuntersuchungen eine deutliche Reduzierung auf ungefähr zehn Standortregionen an.
Es könnten auch mehr oder weniger werden, sagte BGE-Sprecherin Monika Hotopp am Donnerstag. Mit einem Ergebnis sei erst in "einigen wenigen Jahren" zu rechnen. Der Zeitplan sei von Beginn an sehr ambitioniert gewesen. Schon bei den ersten Schritten habe man gesehen, dass es einfach länger dauere. "Die Sicherheit steht einfach im Vordergrund." Mitunter muss die BGE wissenschaftliche Methoden erst erarbeiten.
Nach Auskunft des Umweltministeriums steht Deutschland ohne Endlager nicht allein da. Mehr als 60 Jahre nach Einstieg in die Atomkraft sei weltweit noch kein Endlager für hochradioaktiven Müll in Betrieb.
Bislang lagert hochradioaktiver Müll an 16 über Deutschland verteilten Zwischenlagerstandorten. Eigentlich sollte das Endlager ab 2050 in Betrieb gehen. Da auch dieses Ziel nun nicht mehr zu halten sein dürfte, könnte der Abfall länger in den Zwischenlagern verbleiben.
Im vorpommerschen Lubmin soll wegen gestiegener Sicherheitsstandards nach längerer Zeit in Deutschland wieder ein Zwischenlager-Neubau entstehen - in Nachbarschaft zu einem bestehenden Zwischenlager. Auch mit Blick auf die erwartbar längere Zeit der Zwischenlagerung fordern Kritiker für den Neubau eine sogenannte heiße Zelle, in der unter entsprechendem Schutz gegebenenfalls defekte Castor-Behälter geöffnet werden können. Dies ist bisher nicht vorgesehen.
Das Bundesumweltministerium erklärte, dass es nun mit der BGE und dem BASE Gespräche über den weiteren Ablauf und die Schlussfolgerungen aus dem überholten Zeitplan ziehen werde. So oder so - auch nach dem voraussichtlich endgültigen Atomausstieg im kommenden Jahr steht Deutschland noch ein langes Nachspiel bevor./faa/DP/zb
Quelle: dpa-Afx