(neu: Aussagen aus Telefonkonferenz, Analysten, Kurs und mehr Hintergrund.)
DARMSTADT (dpa-AFX) - Der Pharma- und Chemiekonzern Merck KGaA
Die seit einem Jahr amtierende Firmenlenkerin nannte erstmals auch konkrete Ziele für 2022, wie üblich gab es bislang nur eine qualitative Prognose. Einem Händler zufolge verfehlten die Ziele die Markterwartungen leicht. Barclays-Analystin Emily Field sprach hingegen von einem soliden Quartal und einer starken Prognose. An der Börse ließen sich die Anleger nicht beeindrucken, die Aktie verlor in einem schwachen Markt zuletzt gut fünf Prozent auf 160,75 Euro und landete unter den größten Verlierern im Dax.
Damit setzt sich die Schwäche fort. Nach einem kräftigen Kursanstieg in den ersten zwei Jahren der Pandemie und einem Rekordhoch im Dezember 2021 bei 231,50 Euro steht das Papier jedoch aus Sorge um einen nachlassenden Corona-Rückenwind unter Druck. Der allgemeine Kursverfall an den Börsen tat sein Übriges. Seit Jahresbeginn hat die Aktie inzwischen rund 30 Prozent eingebüßt.
Merck-Chefin Garijo sprach nun von einem sehr unsicheren wirtschaftlichen Umfeld. Insbesondere der Anstieg der Energie- und Rohmaterialpreise hat sich mit dem Ukraine-Krieg beschleunigt. Der Merck-Vorstand rechnet entsprechend in seiner Prognose mit einem anhaltend hohen Preisniveau. Gleichzeitig setzt der Konzern mit Blick auf die Lockdowns in China wegen des erneuten Corona-Ausbruchs voraus, dass es nur zu zeitlich kurzen und lokalen Einschränkungen mit baldigen Lockerungen kommt.
China ist für Merck der weltweit zweitgrößte Markt. Die Lockdowns träfen auch Konzernstandorte, weshalb man nach nur wenig Einfluss zum Jahresstart im zweiten Quartal größere negative Auswirkungen erwarte, sagte Garijo. Das Unternehmen geht jedoch davon aus, verzögerte Lieferungen in den kommenden Quartalen nachholen zu können.
Im laufenden Jahr will Merck den Umsatz auf 21,6 bis 22,8 Milliarden Euro steigern, nach 19,7 Milliarden im Vorjahr. Das um Sondereffekte bereinigte Betriebsergebnis soll auf 6,6 bis 7,1 (Vorjahr: 6,1) Milliarden Euro zulegen. Die Ziele sieht Merck wegen der wirtschaftlichen und geopolitischen Lage mit großer Unsicherheit behaftet. "Wir beobachten die Lage genau und werden die Ziele anpassen, falls nötig", sagte die Firmenlenkerin. Merck steuere jedoch durch die Situation aus einer "Position der Stärke" heraus. "Unsere Systeme sind so flexibel, dass wir uns jederzeit anpassen können." So hält die Merck-Führung auch ein mögliches Gasembargo gegen Russland für verkraftbar - der Konzern arbeitet bereits seit längerem an einem Notfallplan.
Merck hat in der Pandemie zwei erfolgreiche Jahre hinter sich, in denen das Unternehmen vor allem in seinem Laborgeschäft von der starken Nachfrage von Impfstoffforschern und -herstellern profitierte. Unter anderem beliefert der Konzern die Mainzer Firma Biontech
Zugleich steigt die Nachfrage im Kerngeschäft wieder. Im ersten Quartal kletterte der Konzernumsatz im Vergleich zum Vorjahr um rund zwölf Prozent auf knapp 5,2 Milliarden Euro. Ein Teil war positiven Währungseffekten geschuldet, diese herausgerechnet betrug das Plus aus eigener Kraft noch knapp acht Prozent. Das bereinigte Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) kletterte um knapp acht Prozent auf gut 1,6 Milliarden Euro. Unter dem Strich verdiente Merck nach Steuern mit 884 Millionen Euro rund 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit traf der Konzern die Erwartungen am Markt.
In der Laborsparte zogen im vergangenen Quartal die Erlöse um fast 15 Prozent an, erneut getragen vom Geschäft rund um Produkte und Dienstleistungen für die Arzneimittelherstellung. Inzwischen zieht auch das Geschäft mit Forschern sowie wissenschaftlichen und gewerblichen Laboren wieder an, das in der Pandemie von der zeitweiligen Schließung vieler Einrichtungen stockte.
In der Pharmasparte profitierte Merck von seinem Krebsmedikament Bavencio, dessen Verkäufe sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelten. Der wichtigste Kassenschlager der Sparte, die Multiple-Sklerose-Tablette Mavenclad erzielte ein organisches Umsatzplus von fast einem Viertel. Bei älteren MS-Arzneien verzeichnete Merck jedoch erneut einen Umsatzrückgang. Prozentual einstellige Zuwächse gab es dagegen im Geschäft mit Fruchtbarkeitsmedikamenten sowie mit Arzneien bei Stoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf- und endokrinologischen Erkrankungen.
In der Spezialchemie sorgte erneut das Geschäft mit der Halbleiterindustrie für Schwung. Hier profitiert der Konzern vom Chipboom - die Branche stockt ihre Kapazitäten kräftig auf. Während bei Merck die Erlöse im Geschäft mit Farbpigmenten beispielsweise für Kosmetik und Autolacke nahezu stabil blieben, gab es erneut deutliche Umsatzeinbußen bei Flüssigkristallen etwa für Smartphone-Bildschirme. In dem Bereich setzt den Südhessen bereits seit längerem harte Konkurrenz aus Asien zu. Garijos Vorgänger Stefan Oschmann hatte daher mit dem Zukauf des US-Zulieferers Versum Materials 2019 die Sparte neu auf das Halbleitergeschäft ausgerichtet.
Pressespekulationen zufolge treibt Merck inzwischen den Verkauf des Pigment-Geschäfts wieder voran, ähnliche Pläne hatte der frühere Merck-Chef Oschmann kurz vor seinem Ausscheiden noch ad acta gelegt. "Dazu gibt es von uns nichts Neues", sagte Finanzchef Marcus Kuhnert nun und fügte hinzu: Merck überprüfe regelmäßig, ob Geschäfte noch zum Konzern passten./tav/als/nas/jha/
Quelle: dpa-Afx