(neu: weitere Reaktionen und Befragungs-Aspekte)
BERLIN (dpa-AFX) - Als letzter Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestags zur gescheiterten Pkw-Maut hat Verkehrsminister Andreas Scheuer sein Vorgehen gegen alle Vorwürfe verteidigt. Er verstehe Unmut über das Projekt, sagte der CSU-Politiker vor der Befragung am Donnerstag in Berlin. "Fakt ist aber, dass wir rechtens gehandelt haben." Vergabe- und Haushaltsrecht seien eingehalten worden. Scheuer wies auch erneut Millionenforderungen der gekündigten Maut-Betreiber gegen den Bund entschieden zurück. Die Opposition, aber auch die SPD als Koalitionspartner sehen wichtige Kritikpunkte nicht ausgeräumt.
Für den Minister war es schon der zweite Ausschuss-Termin nach einer stundenlangen ersten Vernehmung in einer Oktobernacht. Beim Rückspiel präsentierte er sich nun als offensiver Verteidiger. Mehrfach betonte Scheuer in seinen 45 Minuten dauernden Eingangsworten, nach "bestem Wissen und Gewissen" gehandelt zu haben. Ausgerichtet habe er sich bei allen Entscheidungen am Wohl des Bundes und an sorgfältigen Prüfungen im Ministerium. Beim Amtsantritt im März 2018 habe er einen "klaren gesetzlichen, haushalterischen und politischen Umsetzungsauftrag" für die Maut vorgefunden. "Dieser Auftrag war für mich verbindlich."
Scheuer wies erneut Vorwürfe zurück, rechtliche Risiken nicht genug berücksichtigt zu haben - auch beim Abschluss der Verträge mit den Betreiberfirmen im Dezember 2018 noch vor einem anstehenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Die Richter machten die Maut dann im Juni 2019 zunichte, weil sie Autofahrer aus dem Ausland benachteilige. Denn einen vollen Ausgleich für Maut-Zahlungen bei der Kfz-Steuer sollten nur Inländer bekommen. Scheuer sprach von einem "niederschmetternden Urteil", von dem er "vollkommen überrascht" gewesen sei. Er erinnerte auch noch einmal an das vorherige grüne Licht der EU-Kommission für das deutsche Maut-Modell.
Im Dezember 2018 habe er eine "Abwägungsentscheidung" zu treffen gehabt, erläuterte Scheuer. Eine Option sei ein Vertragsabschluss über ein rechtlich und wirtschaftlich umfassend geprüftes Projekt gewesen, der dem Bund hohe dreistellige Millionenbeträge eingebracht hätte. Die andere Option hätte gelautet, ein "minimales" rechtliches Restrisiko als Priorität zu behandeln und den Vertrag nicht zu schließen, aber Einnahmeausfälle für den Bund in Kauf zu nehmen. Scheuer sagte, er würde aus heutiger Sicht wieder so entscheiden.
SPD-Obfrau Kirsten Lühmann hakte mehrfach nach, welches Gesetz ihn gezwungen habe, den Vertrag unbedingt Ende 2018 zu unterschreiben: "Da fällt mir nichts ein." Scheuer sagte, es sei in der Demokratie gut, wenn ein Auftrag aus dem Parlament vom Minister umgesetzt werde, und verwies auf Finanzplanungen mit einkalkulierten Mauteinnahmen. Lühmann folgerte, es sei Scheuers politische Entscheidung gewesen.
Immer wieder verwies der in seiner Befragung auch auf seinen früheren Staatssekretär Gerhard Schulz, inzwischen Chef des bundeseigenen Lkw-Maut-Betreibers Toll Collect. Schulz galt als "Mr. Maut", bei ihm liefen viele Fäden zusammen. Mehrfach sagte Scheuer, er habe sich bei Schulz - einem "promovierten Europarechtler" - versichert: etwa auch zu Risiken beim EuGH-Verfahren. FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic sagte an die Adresse Scheuers: "Statt ein wenig Demut an den Tag zu legen, weicht er Fragen aus, schiebt die Verantwortung auf seinen ehemaligen Staatssekretär und verweist auf Erinnerungslücken."
Auch in einem anderen Punkt blieb Scheuer bei seiner Linie. Manager der Betreiberfirmen hatten im Ausschuss gesagt, sie hätten Scheuer im Herbst 2018 angeboten, mit dem Vertragsabschluss bis zum Urteil zu warten. Der Minister konterte bei seinem Oktober-Auftritt, so ein Angebot habe es nach seiner Erinnerung nicht gegeben - und bekräftigte das nun noch mal. Die Kündigung der Betreiberverträge gleich nach dem Urteil rechtfertigte er ebenfalls ausdrücklich. Dies sei richtig gewesen, um die Interessen des Bundes optimal zu wahren.
Diverse Rücktrittsforderungen hat der CSU-Mann schon weggesteckt. Für die Opposition steht das Urteil nach gut einem Jahr Ausschussarbeit aber fest. Daran änderte der zweite Auftritt nichts. Die Meinung, dass bei der Maut alles mit rechten Dingen zugegangen sei, habe Scheuer "ziemlich exklusiv", sagte Linke-Obmann Jörg Cezanne. Es sei Vergaberecht gebrochen worden. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte, Scheuers Darstellung sei an Hybris nicht zu überbieten, dass alles richtig gelaufen sei. Aber auch SPD-Obfrau Lühmann sprach erneut von "organisierter Verantwortungslosigkeit" im Ministerium.
Die politische Verantwortung für das Prestigeprojekt seiner CSU verteilte Scheuer noch einmal großflächig. Von der Sinnhaftigkeit sei er überzeugt gewesen, die Maut aber nicht sein Projekt. Als Minister sei er nur für "einen Bruchteil" der Historie seit dem schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2013 verantwortlich gewesen. Es habe sich dann auch nicht um die "CSU-Maut" gehandelt, sondern eine der Koalition aus Union und SPD. Zwei Mal habe sie das parlamentarische Verfahren durchlaufen: mit Bundestag, Bundesrat und zwei Bundespräsidenten.
Der Minister wies auch Vorwürfe zurück, Unterlagen zu verheimlichen. Er habe einen privaten Mail-Account. "Untersuchungsgegenständliche Kommunikation" - also zur Pkw-Maut - habe er nach seiner Erinnerung darüber aber nicht geführt. Er habe "Vollständigkeitserklärungen" zur Kommunikation über die Maut abgegeben, betonte Scheuer. Vorwürfe der Opposition gibt es auch zu seinem Account als Bundestagsabgeordneter.
Nach dem letzten Zeugen will der U-Ausschuss nun den Abschlussbericht angehen, der im Mai oder Juni fertig sein soll - kurz vor dem Bundestagswahlkampf. Vorerst dürfte es also etwas ruhiger werden um die Maut. Dem Steuerzahler aber könnte noch eine saftige Rechnung drohen: Die Ex-Betreiber fordern 560 Millionen Euro Schadenersatz vom Bund. Scheuer wies das klar zurück. Ein Schiedsverfahren läuft dazu.
Und was heißt das jetzt für das politische Schicksal des Ministers? Unions-Obmann Ulrich Lange (CSU) sagte, die Vorwürfe hätten sich an keiner Stelle bestätigt. Scheuer sei "eindeutig entlastet". Der gab sich im Ausschuss überwiegend entspannt. "Sie können die Sonne gerne lassen", meinte er am Nachmittag, als die ihn einmal im Saal blendete. "Für mich geht die Sonne gerade auf."/sam/hoe/DP/he
Quelle: dpa-Afx