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LONDON (dpa-AFX) - Die Corona-Pandemie und der vollendete Brexit haben die britische Wirtschaft zu Jahresbeginn wieder ins Minus gedrückt, und dennoch geben sich Experten und Unternehmen optimistischer als zuvor. Nur auf den ersten Blick ist dies ein Widerspruch. Denn der Corona-Lockerungskurs der Regierung von Premierminister Boris Johnson sorgt für Konsumlaune bei den Verbrauchern und für Investitionsbereitschaft bei den Unternehmen - auch bei der deutsch-britischen Wirtschaft. "Die Sterne stehen gut für eine Erholung in der zweiten Hälfte des Jahres", sagte Ökonomin Liz Martins von der Großbank HSBC der Deutschen Presse-Agentur.

Vor allem die Binnennachfrage dürfte die Wirtschaft im Jahresverlauf wieder ankurbeln. Seit Mitte April sind Außengastronomie und Geschäfte wieder geöffnet, am 17. Mai dürfen Restaurants und Pubs auch ihre Innenräume nutzen, Urlaubsreisen sind dann wieder erlaubt.

"Das zum Teil angesparte Geld, das die Briten nicht ausgeben konnten, sorgt jetzt für vermehrten Konsum - und das kommt letztlich auch den deutschen Unternehmen zugute", sagte der Chef der deutsch-britischen Industrie- und Handelskammer (AHK), Ulrich Hoppe, der dpa. Rund 150 Milliarden Pfund (rund 175 Mrd Euro) haben die Briten in der Pandemie angespart, schätzt Michal Stelmach vom Beratungsunternehmen KPMG.

Doch es dürfte ein weiter Weg sein, bis sich die britische Wirtschaft vom heftigen Corona-Schlag erholt. Um rund 10 Prozent war das Bruttoinlandsprodukt 2020 in den Keller gerauscht. Die angekündigten Corona-Lockerungen - am 21. Juni sollen alle Restriktionen aufgehoben werden - wecken zwar Hoffnung auf Stabilität. Das dicke Minus in einem Jahr wieder aufzuholen, damit rechnet aber niemand. Zumal Risiken bleiben, falls es etwa trotz des Erfolgs des Impfprogramms zu einer neuen Corona-Welle mit Lockdown wegen neuer Varianten kommt.

Um 1,5 Prozent schrumpfte die britische Wirtschaft im ersten Quartal, wie das Statistikamt ONS am Mittwoch mitteilte. Demnach liegt die Wirtschaftsleistung immer noch 8,7 Prozent unter dem Vorkrisenniveau des vierten Quartals 2019. Berücksichtigt werden muss aber, dass bis Ende März scharfe Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen galten.

Nun überwiegt der Optimismus. "Trotz eines schwierigen Starts ins Jahr ist das Wachstum im März ein vielversprechendes Zeichen für die Zukunft", sagte Finanzminister Rishi Sunak. Die Zentralbank korrigierte ihre Schätzung kürzlich deutlich nach oben: Um 7,25 Prozent werde die Wirtschaft in diesem Jahr wachsen, zuvor war die Bank of England von 5 Prozent ausgegangen.

Von einer vollen Erholung ist das noch weit entfernt. Die bundeseigene Gesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI) schätzt, dass die Krise erst Ende 2022 "ökonomisch korrigiert" sein werde. Volkswirte verweisen zudem auf die Ungewissheit am Arbeitsmarkt. Im März waren 20 Prozent aller Angestellten in der Privatwirtschaft in Kurzarbeit, wie KPMG-Experte Stelmach betont. HSBC-Ökonomin Martins sagte: "Das große Risiko ist, dass die Arbeitslosigkeit spürbar steigt, wenn die Regierungshilfe ausläuft."

Hinzu kommt ein weiterer Stolperstein, von dem immer noch niemand weiß, wie er sich genau auswirken wird: Der Brexit. Das erste Quartal war das erste seit dem Brexit-Vollzug, also dem britischen Austritt aus EU-Zollunion und Binnenmarkt. Die Zahlen verheißen wenig Gutes für den Handel: Erstmals seit Erfassung der Statistik im Januar 1997 waren Importe aus Nicht-EU-Ländern höher als aus dem Staatenbund. Es sei wegen Pandemie und Rezession noch zu früh, um zu beurteilen, inwieweit es sich um kurzfristige Handelsstörungen oder längerfristige Anpassungen der Lieferkette handelt, betonte das ONS.

Allerdings haben sich einige Aspekte des Brexit-Abkommens noch gar nicht ausgewirkt, wie Experten betonen. So hat die britische Regierung etwa die Umsetzung der neuen Bürokratieanforderungen beim Import - im Gegensatz zur EU - bis zum Jahreswechsel verschoben, doch noch ist nicht absehbar, ob sich die Wirtschaft bis dahin endlich auf die Änderungen eingestellt hat. "Damit wächst das Risiko von Lieferengpässen, zum Beispiel bei Lebensmitteln", warnt die GTAI.

Auch auf den für Großbritannien wichtigen Dienstleistungssektor kommen Probleme zu, die von den Corona-Reiseverboten übertüncht wurden. Weil die Freizügigkeit mit der EU wegfällt, sind für grenzüberschreitende Dienstleistungen nun in vielen Fällen Visa nötig. Zudem haben zahlreiche EU-Bürger Großbritannien während der Pandemie verlassen, allein in London sollen es 700 000 sein - und viele werden nicht zurückkehren. Auf das Vereinigte Königreich komme ein Fachkräftemangel in vielen Bereichen zu, sagte AHK-Chef Hoppe. "Da wird vieles sehr, sehr viel schwieriger werden. Manches wird da auch unmöglich werden."/bvi/DP/fba

Quelle: dpa-Afx