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WIESBADEN (dpa-AFX) - Historischer Konjunkturabsturz und tiefe Löcher in der Staatskasse: Die Corona-Krise hinterlässt deutliche Spuren. Erstmals seit 2011 weisen Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen wieder ein Defizit aus. Sie gaben vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes zufolge im ersten Halbjahr 51,6 Milliarden Euro mehr aus als sie einnahmen. Höheren staatlichen Ausgaben standen gesunkene Steuereinnahmen gegenüber. Nach einem Einbruch des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 9,7 Prozent im zweiten Quartal rechnen Volkswirte aber mit einer Konjunkturerholung in den kommenden Monaten.

Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Defizit im ersten Halbjahr bei 3,2 Prozent, wie die Wiesbadener Behörde am Dienstag mitteilte. Zuletzt hatte es 2011 ein Minus in einer ersten Jahreshälfte sowie im Gesamtjahr gegeben. Die Bundesregierung hatte nach Beginn der Pandemie in Europa im März ein milliardenschweres Hilfspaket geschnürt. Insbesondere Soforthilfen und die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge für Kurzarbeit ließen den Angaben zufolge die Ausgaben steigen. Nach Einschätzung der KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib ist das öffentliche Geld in den "raschen und umfangreichen Stabilisierungsmaßnahmen" aber gut angelegt.

Zugleich verringerte sich das Steueraufkommen, das rund die Hälfte der gesamten Staatseinnahmen ausmacht, in der Wirtschaftskrise um 8,1 Prozent. Alle staatlichen Ebenen wiesen ein Finanzierungsdefizit aus, das größte Minus verzeichnete der Bund mit 27,1 Milliarden Euro.

Das BIP brach im zweiten Quartal um 9,7 Prozent im Vergleich zum Vorquartal ein - der stärkste Rückgang seit Beginn der vierteljährlichen BIP-Berechnungen 1970. In einer ersten Schätzung war die Wiesbadener Behörde sogar von einem Minus von 10,1 Prozent ausgegangen. Bereits zum Jahresanfang war die Wirtschaftsleistung gesunken. Europas größte Volkswirtschaft steckt in einer tiefen Rezession.

Im März und April hatten infolge der Pandemie Teile der deutschen Wirtschaft faktisch stillgestanden. Ähnlich verhielt es sich in vielen anderen großen Volkswirtschaften, was den Außenhandel massiv belastete. Export und Import brachen im Zeitraum April bis Juni zweistellig ein. Das galt auch für die privaten Konsumausgaben sowie für die Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen wie Maschinen. Vergleichsweise glimpflich kam bislang der Bau durch die Krise. Die Investitionen sanken im Vergleich zum starken Vorquartal nur um gut 4 Prozent. Großaufträge im Juni bescherten dem Bauhauptgewerbe zudem einen versöhnlichen Halbjahresabschluss.

Um die Konjunktur anzukurbeln, legte die Bundesregierung im Sommer zusätzlich zu den Hilfsprogrammen ein 130 Milliarden Euro schweres Paket für die Jahre 2020 und 2021 auf. Unter anderem wurde die Mehrwertsteuer vom 1. Juli an für ein halbes Jahr gesenkt: von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent. Das soll den Konsum als wichtige Stütze der Konjunktur anschieben. Diese Belastungen dürften von der zweiten Jahreshälfte an auf den Staatshaushalt durchschlagen. Allein die Mehrwertsteuersenkung kostet 20 Milliarden Euro.

Die Koalitionsspitzen von Union und SPD wollten am Dienstag zudem über eine mögliche Verlängerung des Kurzarbeitergeldes von bisher 12 auf bis zu 24 Monate sowie der Überbrückungshilfen für kleine und mittelständische Firmen bis Ende des Jahres beraten.

Die EU-Staaten hatten wegen der Corona-Krise erstmals die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts ausgesetzt, wonach das Haushaltsdefizit nicht über drei Prozent und die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen darf.

Volkswirte gehen davon aus, dass die Konjunktur im zweiten Halbjahr wieder Fahrt aufnimmt. Allerdings dürfte die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung von Commerzbank -Chefvolkswirt Jörg Krämer ihr Vorkrisenniveau erst 2022 wieder erreichen. Von Herbst an dürfte sich die Erholung verlangsamen. "Das liegt vor allem an Hotels, dem Luftverkehr, Reisebüros, Messeveranstaltern und anderen Dienstleistungen, wo normalerweise viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen", sagte Krämer.

Die Stimmung in den deutschen Unternehmen hat sich vorerst weiter aufgehellt. Der Ifo-Geschäftsklima-Index stieg im August den vierten Monat in Folge. "Die deutsche Wirtschaft ist auf Erholungskurs", kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die Unternehmen bewerteten sowohl ihre aktuelle Lage als auch die Aussicht für das nächste halbe Jahr besser. Das Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI sieht zudem Anzeichen für eine kräftige Erholung des Welthandels. Der Containerumschlag in den Seehäfen nähere sich dem vor der Corona-Krise erreichten Niveau an, teilte das RWI mit.

Die Bundesregierung rechnet trotz der erwarteten Erholung im Gesamtjahr mit der schwersten Rezession der Nachkriegszeit. Sie ging zuletzt von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 6,3 Prozent aus. Ähnlich düster sind andere Vorhersagen./mar/ben/DP/eas

Quelle: dpa-Afx