BERLIN (dpa-AFX) - Neun Monate nach Inkrafttreten des Mietendeckels in Berlin und kurz vor dem Start der zweiten Stufe haben die Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus eine höchst unterschiedliche Zwischenbilanz gezogen. Vertreter der rot-rot-grünen Koalition sprachen in einer Aktuellen Stunde am Donnerstag von einem Erfolgsmodell im Kampf gegen steigende Mieten. Die Opposition war sich hingegen einig darin, dass der Deckel der völlig falsche Weg sei, um dem Wohnungsmangel Herr zu werden und bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen.
Seit 23. Februar sind im Zuge des bundesweit einmaligen Gesetzes die Mieten für rund 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin bis 2025 auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren. Sie dürfen ab 2022 höchstens um 1,3 Prozent jährlich steigen. Wird eine Wohnung wieder vermietet, muss sich der Vermieter an staatlich festgelegte Obergrenzen und zuletzt verlangte Miete halten. Am kommenden Montag (23. November) tritt die zweite Stufe des Gesetzes in Kraft: Überhöhte Bestandsmieten sind dann gesetzlich verboten und müssen gesenkt werden. Das betrifft laut Senat rund 340 000 Wohnungen.
"Der Mietendeckel verschafft den Menschen nicht nur eine Atempause, er trägt auch zum sozialen Frieden bei", sagte die Grünen- Wohnungsexpertin Katrin Schmidberger in der Debatte. Zum einen habe er eine Trendumkehr eingeleitet: Im Gegensatz zu anderen großen Städten seien die Neuvermietungsmieten seit Inkrafttreten um rund zehn Prozent gesunken. Zudem nehme der Deckel vielen Menschen die Angst vor Mieterhöhungen. Schmidberger sprach von einer "radikalen Notbremse gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung". "Denn es gibt kein grundgesetzlich garantiertes Recht auf unendliche Renditen, erst recht nicht, wenn es um das Grundrecht auf Wohnen geht."
Ähnlich äußerten sich die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ülker Radziwill und die Linke-Abgeordnete Gaby Gottwald. Eine öffentlich-rechtliche Mietpreisregulierung sei dringend nötig auf dem Berliner Wohnungsmarkt, so Radziwil, denn: "Verdrängung wurde zur größten Sorge für die Berlinerinnen und Berliner." Schuld am Mangel an bezahlbarem Wohnraum sei auch der Verkauf städtischer Wohnungen vor Jahrzehnten gewesen. "Welch ein Fehler", so Radziwill.
Der wohnungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff, kann dem Mietendeckel hingegen nichts abgewinnen. "Dass Mieter am Helene-Weigel-Platz in Marzahn oder im Märkischen Viertel nicht von Mietpreissenkungen profitieren, aber am Kurfürstendamm im schicken Altbau oder am Kollwitzplatz die Mieten massiv gesunken sind, ist zutiefst ungerecht und unsozial." Gräff kritisierte unter Berufung auf Wohnungsportale, dass sich mit dem Deckel das Angebot von Mietwohnungen in Berlin um 40 Prozent verringert habe. Berlin brauche mehr als neue 300 000 Wohnungen bis 2030. Die Antwort darauf müsse mehr Neubau sein und kein Mietenstopp.
Gottwald wies die Kritik zurück, der Deckel bremse den Neubau aus. "Die Bauaktivität ist auf dem Höchststand. Und die Baugenehmigungen bleiben - auch trotz Corona - auf hohem Niveau."
FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja meinte, der Deckel habe den angespannten Berliner Mietenmarkt "ins Chaos gestürzt": Folge seien "Schattenmieten, Schwarzmärkte, Investitionsstau und ein drastischer Rückgang des ohnehin schon knappen Wohnungsangebots." Harald Laatsch, Sprecher für Bauen und Wohnen der AfD-Fraktion, sprach von Verfassungsbruch und zeigte sich sicher, dass das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel im kommenden Jahr kassiert. Das Gesetz erinnere an sozialistische Politik und führe Berlin "in den Abgrund", meinte er./kr/fdu/DP/men
Quelle: dpa-Afx