FRANKFURT (dpa-AFX) - Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie rechnet nach deutlichen Rückgängen im zweiten Quartal mit einem schwächeren Gesamtjahr. Die Erlöse dürften 2020 im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent auf 186,4 Milliarden Euro zurückgehen, wie der Branchenverband VCI am Dienstag in Frankfurt mitteilte. Für die Produktion rechnet der VCI mit einem Rückgang von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Rechnet man die Pharmaindustrie heraus, dann dürfte die Produktion um vier Prozent sinken.
Im Mai hatte der VCI seine Prognosen für das laufende Jahr zurückgenommen, nach dem die Branche mit etwa 464 000 Beschäftigten hierzulande noch eine Stagnation bei Produktion und Umsatz erwartet hatte.
"Unsere Branche musste im zweiten Quartal einen historischen Einbruch hinnehmen", sagte VCI-Präsident Christian Kullmann auf der Pressekonferenz. Die Autoindustrie habe in Europa mehrere Wochen stillgestanden. Der Auftragsmangel sei aber nicht nur die einzige Herausforderung gewesen, sondern es habe auch Probleme bei den Lieferketten gegeben. Dennoch rechnet Kullmann nicht damit, dass Chemie- und Pharmaunternehmen die Produktion von Asien nach Deutschland verschieben werden.
Die Produktion in der chemisch-pharmazeutischen Industrie ging im zweiten Quartal um 5,8 Prozent zurück. Ohne Pharma lag die Produktion um 8,5 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Der Umsatz von Deutschlands drittgrößtem Industriezweig schrumpfte um 11,5 Prozent auf 96 Milliarden Euro. Trotz dieses Einbruchs seien die Unternehmen deutlich besser durch die weltweite Krise gekommen als andere Branchen, sagte Kullmann.
Der Verband geht davon aus, dass die Talsohle der Rezession bereits durchschritten ist. "Wir sehen erste Anzeichen einer Erholung", sagte Kullmann. Allerdings sei die Branche von einer "schwungvollen Erholung" deutlich entfernt. Wenn ein erneuter Shutdown verhindert werden könne, dürfte sich die Nachfrage nach Chemikalien und Pharmazeutika im zweiten Halbjahr stabilisieren. Allerdings rechnet der Verband damit, dass die Branche frühestens Ende 2021 das Vorkrisenniveau wieder erreichen wird.
Derzeit ist die Wirtschaft weltweit unterschiedlich stark von der Corona-Pandemie betroffen. "Die Chinesen sind schneller als erwartet aus der Pandemie-Krise herausgekommen", sagte Kullmann. Die Wirtschaft sei dort wieder angesprungen. Allerdings könne China in den nächsten Monaten nicht die neue Lokomotive der Weltwirtschaft werden. In Europa und in den USA habe die Branche hingen mit der Pandemie noch deutlicher zu ringen. Gerade in Brasilien und Indien stelle sich die Situation dramatisch dar, ergänzte Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Es gebe starke Auswirkungen auf die internationalen Handels- und Warenströme.
Für die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft spielt auch die Wahl des US-Präsidenten Anfang November eine wichtige Rolle. "Diese Wahl hat, egal wie sie ausgeht, für die Weltwirtschaft und konjunkturelle Entwicklung erheblichste Bedeutung", sagte der VCI-Präsident. Der Ausgang werde einen starken Einfluss und Einwirkungen darauf haben, wie es etwa mit den protektionistischen Maßnahmen weitergehen werde.
Die konjunktursensible Chemieindustrie leidet schon länger unter einer schwachen Industrienachfrage in Deutschland sowie Handelskonflikten und der Abkühlung der Weltkonjunktur. Vor allem die Krise der Autobranche, die etwa Lacke, Kunststoffe und Reifenrohmaterial von der Chemieindustrie bezieht, belastet die Branche schwer. Derzeit befinden sich laut Kullmann rund 50 000 Chemie-Beschäftigte in Kurzarbeit. Als deutlich robuster erwies sich bisher die Pharmabranche, die teils von einer höheren Nachfrage nach Arzneien in der Corona-Pandemie profitiert.
Im vergangenen Jahr war der Umsatz der Chemie- und Pharmaindustrie um 2,3 Prozent auf 198,3 Milliarden Euro geschrumpft. Die drittgrößte Industriebranche nach dem Auto- und Maschinenbau hat gute Zeiten hinter sich: 2018 hatten die Chemie- und Pharmafirmen im VCI noch einen Rekordumsatz von 203 Milliarden Euro erzielt./mne/men/nas
Quelle: dpa-Afx