ESSEN (dpa-AFX) - Der schwächelnde Industrie- und Stahlkonzern Thyssenkrupp
Ohne das inzwischen verkaufte Aufzuggeschäft verzeichnete Thyssenkrupp in den Monaten April bis Juni einen Nettoverlust von 819 Millionen Euro, nach einem Minus von 229 Millionen Euro im Vorjahr. Inklusive der Aufzüge kam Thyssenkrupp auf einen Fehlbetrag von 678 Millionen Euro. Der bereinigte operative Verlust (Ebit) betrug im fortgeführten Geschäft 679 Millionen Euro und verschlechterte sich im Vergleich zu den minus 13 Millionen Euro im Vorjahresquartal deutlich. Allerdings lag Thyssenkrupp damit am unteren Ende seiner Prognose - Finanzchef Klaus Keysberg bei der Vorlage der letzten Quartalszahlen im Mai ein Minus von bis zu einer Milliarde Euro nicht ausgeschlossen. Zudem schnitt Thyssenkrupp nicht ganz so schlecht ab, wie von Analysten geschätzt.
"Wir haben hart gearbeitet, um die Kosten kontrolliert zu halten und die Liquidität zu sichern. Damit sind wir im dritten Quartal insgesamt etwas besser durch die Krise gekommen als anfangs befürchtet", kommentierte Konzernchefin Martina Merz die Zahlen. Inzwischen sehe man Anzeichen einer Stabilisierung.
Wegen des corona-bedingten Einbruchs der Wirtschaft mussten alle Bereiche von Thyssenkrupp erheblich Federn lassen. Insbesondere galt das für das Automobilzulieferer-Geschäft sowie die Stahlsparte und den Handel, die hohe Verluste verbuchten. Der Umsatz im fortgeführten Geschäft sackte daher um gut ein Drittel auf knapp 5,8 Milliarden Euro ab. Der Auftragseingang brach noch stärker um 42 Prozent auf rund 4,8 Milliarden Euro ein.
Für das vierte Quartal sieht Thyssenkrupp in nahezu allen Bereichen eine stabile Entwicklung oder eine leichte Verbesserung im Vergleich zum Vorquartal, nachdem die Kunden die Produktion wiederaufgenommen haben. Eine mögliche Ausnahme sei jedoch das Stahlgeschäft, das nicht erst seit der Corona-Krise unter strukturellen Problemen wie Überkapazitäten und Preisdruck leidet. Dennoch rechnet das Management mit einem bereinigten Ebit-Verlust der fortgeführten Aktivitäten im mittleren bis höheren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich. Für das Gesamtjahr sei daher ein bereinigter operativer Fehlbetrag zwischen 1,7 und 1,9 Milliarden Euro wahrscheinlich. Dabei erwartet Thyssenkrupp allein für den Stahlbereich einen Verlust von bis zu gut einer Milliarde Euro.
Durch den vor kurzem abgeschlossenen Verkauf des Aufzuggeschäfts für gut 17 Milliarden Euro sollen Jahresüberschuss und der freie Mittelzufluss "signifikant positiv" ausfallen. Der freie Cashflow im fortgeführten Geschäft dürfte jedoch nochmals erheblich belastet werden. Denn Thyssenkrupp will mit den Erlösen aus dem Verkauf unter anderem auch die Schwankungen des Umlaufvermögens reduzieren, sprich die Verkäufe von Forderungen zum Jahresende reduzieren und Finanzverbindlichkeiten bei Fälligkeit zurückzahlen. Das werde den Cashflow mit 2,5 Milliarden Euro belasten, erläuterte Finanzvorstand Keysberg. Thyssenkrupp erwartet daher im fortgeführten Geschäft im Gesamtjahr einen Mittelabfluss von 5 bis 6 Milliarden Euro.
Mit dem Verkauf des Aufzuggeschäfts will der chronisch klamme Konzern nicht nur die Bilanz entlasten. Neben der Senkung der Verbindlichkeiten will Thyssenkrupp auch selektiv in seine Geschäfte investieren sowie die laufende Restrukturierung finanzieren. Das Unternehmen befindet sich in einem groß angelegten Umbau. So erwägt Thyssenkrupp einen zweiten Anlauf für eine Fusion seines Stahlgeschäfts. Aber auch die Hereinnahme eines Partners, eine eigene Übernahme oder auch die Fortführung auf der jetzigen Basis sind Optionen, über die gerade diskutiert wird. Mitte Mai hatte Merz erklärt, dass es keine "Denkverbote" gebe.
Auch in den Industriegeschäften soll kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Hier hinkt Thyssenkrupp der Konkurrenz hinterher, die meisten Sparten haben nicht die kritische Größe, um wettbewerbsfähig zu sein. Die geplante Neuausrichtung würde den Konzern, der im vergangenen Geschäftsjahr auf einen Umsatz von rund 42 Milliarden Euro kam, noch weiter schrumpfen lassen. So will sich Thyssenkrupp von Bereichen mit einem Umsatz von insgesamt 6 Milliarden Euro trennen. Auch für den Marineschiffbau sucht das Unternehmen nach einer Lösung und hält eine Fusion mit einem Konkurrenten für denkbar.
Zum Kern der neuen Thyssenkrupp sollen weiterhin der Werkstoffhandel und die Industriekomponenten gehören. Das Automobilzuliefergeschäft soll zumindest teilweise in der Gruppe weitergeführt werden. Hier jedoch hält Merz ebenfalls Allianzen und Entwicklungspartnerschaften für notwendig./nas/he
Quelle: dpa-Afx