(Aktualisierung: Bundesnetzagentur im 4. Absatz)
BONN (dpa-AFX) - Die Einspeicherung von Gas in Deutschland ist nach dem Stopp der russischen Lieferungen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 fast zum Erliegen gekommen. Aktuell werde zwar netto noch weiter Gas eingespeichert, sagte ein Sprecher der Bundesnetzagentur am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. "Aber das bewegt sich auf ganz niedrigem Niveau." Wie aus der Webseite von Europas Gasinfrastruktur-Betreiber (GIE) hervorgeht, stieg der Füllstand der deutschen Gasspeicher zuletzt nur noch um 0,09 Prozent am Tag.
Um eine Gasmangellage im Winter zu vermeiden ist Deutschland aktuell bemüht, seine Gasspeicher so schnell wie möglich zu füllen. Laut Gesetz sollen die Gasspeicher bis zum 1. Oktober zu 80 Prozent und bis zum 1. November zu 90 Prozent gefüllt sein. Aktuell ist Deutschland von diesem Ziel allerdings noch weit entfernt. Die Gasspeicher sind gerade einmal zu 64,6 Prozent gefüllt, wie Bundesnetzagentur berichtete. Sie korrigierte damit frühere Angaben, nach denen der Füllstand schon bei 64,9 Prozent lag.
Dass das Auffüllen der Gasspeicher aktuell kaum noch vorangeht, liegt zum großen Teil am Stop der russischen Lieferungen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Durch die zuletzt wichtigste Route für russisches Erdgas nach Deutschland wird seit Montag wegen Wartungsarbeiten kein Gas mehr geliefert. Nach Angaben der Betreibergesellschaft sollen die Arbeiten bis zum 21. Juli dauern. In Deutschland gibt es die Sorge, dass die Pipeline nach den Wartungsarbeiten nicht wieder in Betrieb genommen wird und im Winter das Gas knapp wird.
Theoretisch könnten zwar andere Pipelines wie die Jamal-Pipeline oder auch die Ukraine-Route für den Transport russischen Gases nach Deutschland genutzt werden. Doch geschieht dies offenbar nicht. "Wir können heute so gut wie keine Gaslieferungen aus Russland feststellen", sagte eine Sprecherin der Bundesnetzagentur am Mittwoch.
Nach eigenen Angaben pumpt Russlands Energieriese Gazprom
Um Gas zu sparen und damit mehr Einspeicherung zu ermöglichen, dürften in Deutschland schon bald vermehrt Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung zum Einsatz kommen. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch eine entsprechende Verordnung. "Wir wollen jetzt im Sommer Gas einsparen, um unsere Speicher für den Winter zu füllen", erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Kraftwerke, die mit Kohle und Öl betrieben werden und sich aktuell in der Netzreserve befinden, können demnach bis zum Ende des Winters befristet an den Strommarkt zurückkehren. Die Verordnung soll schon am Donnerstag in Kraft treten.
Aus Sicht der Energieökonomin Claudia Kemfert muss eine Gasmangellage aber selbst dann nicht zwingend eintreten, wenn Russland sämtliche Gaslieferungen nach Deutschland einstellen sollte. "Ob es wirklich zu einem Gasmangel kommt, hängt an verschiedenen Aspekten", sagte die Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) der Deutschen Presse-Agentur. Dazu zählten vor allem der Aufbau von Gaslieferbeziehungen mit anderen Ländern als Russland, das stete Befüllen der Speicher und das Einsparen von Gas.
Daneben gebe es weitere Möglichkeiten. "Aber wenn zumindest die ersten drei Komponenten gut geschafft sind, sehe ich nicht, dass wir tatsächlich eine Gasmangellage bekommen müssen", sagte Kemfert. Deutschland habe mit diesen Maßnahmen begonnen oder sei bereits auf einem guten Weg.
Bei herkömmlichem Erdgas zählen bisher vor allem die Niederlande und Norwegen zu Deutschlands Alternativquellen. Bei Flüssiggas bemühte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf einer Katar-Reise im Frühjahr um neue Lieferbeziehungen. Ob, wann und wie viel mehr Gas wirklich aus dem Emirat kommt, ist offen.
Zum Energiesparen haben Bundesregierung und Bundesnetzagentur Verbraucher und Industrie schon mehrmals aufgerufen. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, bat private Verbraucher und die weniger energieintensiven Unternehmen, aus Solidarität mit der Industrie ab sofort konsequent Energie einzusparen. "Es drohen echte Versorgungsengpässe und unserer gesamten Wirtschaft eine Krise in unbekanntem Ausmaß. Die Folgewirkungen von Abschaltungen einzelner Branchen oder Betriebe sind nicht zu überblicken", sagte Adrian der "Rheinischen Post" (Mittwoch)./hoe/DP/stk
Quelle: dpa-Afx