MÜNSTER (dpa-AFX) - Mit Tempo 90 erwischt der Kleinwagen den Radfahrer von hinten. Der schleudert hoch in die Luft, seine Schuhe fliegen im hohen Bogen seitlich weg. Das Rad bleibt rund 70 Meter weiter auf dem Asphalt liegen. In der realen Welt wäre der Radfahrer tot. Bei dem gezeigten Crashtest der Unfallforscher der Versicherer liegt die Puppe seltsam verkeilt auf der Straße.
Studienleiterin Kirstin Zeidler schaut schockiert von hinter der transparenten Schutzwand auf das Szenario. "Das will man sich ja nicht in der Realität vorstellen", sagt die Forscherin. Zuvor hat sie in Münster die Zahlen einer Studie vorgestellt. In den vergangenen Jahren haben parallel zum gestiegenen Anteil des Radverkehrs auch die schweren Unfälle mit Radfahrern auf Landstraßen zugenommen.
Der Anteil der Radler am Verkehr ist demnach von 2002 bis 2017 um 37 Prozent gestiegen. Frischere Zahlen gibt es erst im Jahr 2026. Die Zahl der auf Landstraßen getöteten Radfahrer ist seit 2013 um den gleichen Prozentsatz angestiegen. Allein 2023 gab es 189 Tote auf Landstraßen und knapp 3000 Schwerverletzte.
Ein Drittel der Unfälle geschieht ohne Einwirkung anderer
Und überraschend: Bei rund einem Drittel der Verunglückten auf Landstraßen passierte der Unfall ohne Einwirkung eines Dritten. Sprich: Hier stürzten die Radler unglücklich über Kanten, hatten auf Schotter einen schlechten Untergrund oder rutschen auf Laub weg. Dabei machte es bei der Unfallursache keinen Unterschied, ob die Radler mit einem klassischen Zweirad unterwegs waren oder auf dem E-Bike.
In 41 Prozent der Fälle waren Autos der Unfallgegner (41 Prozent) - in 59 Prozent davon verursachten die Autofahrer die Unfälle. 32 Prozent der Unfälle passierten auf der freien Strecke. Autofahrer übersahen Radler im Schattenwurf von Bäumen oder tief stehender Sonne und überproportional oft kam es in der Dämmerung zu Unfällen. Und das überwiegend bei mehr als 70 Stundenkilometern. Dieses Szenario sollte der Crashtest simulieren.
Viele Autofahrer schauen an Kreuzungen nicht in beide Richtungen
Bei Kreuzungen sind schlecht einsehbare Straßenverläufe oder überraschende Vorfahrtsregelungen das Problem. Besonders schwierig ist es, wenn Radfahrer in beiden Richtungen auf einem Radweg unterwegs sind. Der Autofahrer schaut oft nur nach rechts - und übersieht den Radler von links. "Zu ihrem eigenen Schutz der Radler sollte hier die Vorfahrtsregelung geändert werden", rät Zeidler.
Sie wünscht sich, dass der Gesetzgeber reagiert. So ist gesetzlich geregelt, dass innerorts nur schneller als 50 Kilometer pro Stunde erlaubt ist, wenn es gleichzeitig einen von der Fahrbahn getrennten Radweg gibt. "Diese Regelung gibt es für Landstraßen nicht. Das halten wir für falsch", sagt die Leiterin. Beim Bau von neuen Bundesstraßen müsse bereits jetzt ein getrennter Radweg gebaut werden. "Das wünschen wir uns auch für Landstraßen", sagt Zeidler.
Vorhandene Radwege müssen laut den Unfallforschern für die Sicherheit der Radfahrer ausgebaut und die Oberflächen verbessert werden. Oft seien die Radfahrer zwar aus Sicht der Polizei die Verursacher für einen Unfall. Aber es gebe auch Gründe. An Kreuzungen müssen laut Forderung der Unfallforscher deutlich mehr Ampeln oder sogar neue Unter- oder Überführungen gebaut werden./lic/DP/men
Quelle: dpa-Afx